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Rezension des Festivals für Videokunst & Experimentalfilme, Medrar for Contemporary Art, 25. Sept. - 7. Okt. 2013.
Von Mai Elwaki | Okt 2013Eine deutsch-indische Filmproduktion in Kairo ohne Untertitel vorzuführen ist eine unübliche Entscheidung. Doch während der Eröffnungsnacht des 5. Kairo Videofestivals fesselte Bernd Lützelers experimenteller Kurzfilm Dutzende Zuschauer. Zehn Minuten lang hallte in den beiden Vorführsälen von Medrar nichts anderes wider als die tiefe ruhige Stimme, die zu den flüchtigen Bildern von Bombay aus dem Off sprach. Zu dieser Produktion von 2011 hatte Lützeler den Sprecher Harish Bhimani - berühmt geworden als Erzähler in der Rolle von Zeit [Samay] in der Fernsehserie The Mahabharat (1988-1990) - als The Voice of God eingeladen.
Erstmals seit seiner Gründung 2005 durch das in Kairo ansässige Künstlerkollektiv Medrar wurde das Festival über den Bereich der Videokunst hinaus erweitert. Aus über 800 Bewerbungen, die als Ergebnis einer internationalen Ausschreibung eingeschickt worden sind, wählte Medrar 160 Low-Budget Video-Kunstwerke und experimentelle Kurzfilme aus. Jedes in das zweiwöchige Vorführprogramm und die drei alternierenden Ausstellungen einbezogene Werk sollte für sich ein gewisses Maß an Originalität und Experiment aufweisen und in dieser Hinsicht auch zur Geltung kommen.
In voller Absicht sind keine zwei Arbeiten mit ähnlichen Themen, visueller Sprache oder Technik nacheinander gezeigt worden. Der Vorführung von The Voice of God ging Volkspark (2011) voraus, und im Anschluss daran folgte The Artist (2013). Volkspark ist eine Posse, präsentiert als Dokumentarfilm des deutschen Künstlers Kuesti Fraun. Darin geht es um Autorität und soziale Beziehungen in einem öffentlichen Park, wo der Protagonist von allen Vorbeikommenden eine Steuer verlangt. Demgegenüber gibt es in The Artist von Verica Kovacevska offensichtliche Bezüge zur Geschichte der Videokunst. Gezeigt wird die übliche Merkliste der Künstlerin mit dem Durchstreichen von Aufgaben, sobald sie diese ausgeführt hat.
Das Festival sollte die diversen Techniken und Konzepte, mit denen Künstler und Filmemacher in aller Welt derzeit experimentieren, widerspiegeln. Es bemühte sich auch darum, die unvermeidlichen Überschneidungen zwischen deren Werken hervorzuheben und deutlich zu machen, welche Mittel die beiden Gruppen voneinander übernehmen und wie sie die Grenzen ihrer Medien erweitern. Diese Vision spiegelte sich in der diesjährigen Edition des Festivals im Untertitel deutlich wider: Videokunst & Experimentalfilme. Sie war ganz offensichtlich in der Präsentation der Künstlerin und Filmemacherin Hala Elkoussy, als sie In Search of a City (in the Papers of Sein) (2011) vorführte und zur Diskussion stellte. Elkoussy wurde als Gastreferentin eingeladen, weil ihr filmisches Schaffen dahingehend einzigartig ist, wie es Elemente der Performancekunst, des Video, Theater und Kino miteinander verknüpft, um Geschichten aus ihrer Heimatstadt Kairo zu erzählen.
In diesem Film setzte sie gewissenhaft eine Erzählung als Drehbuch um, die durch das Tagebuch einer anonymen Flaneurin inspiriert ist, das die Künstlerin von einem Verkäufer alter Dokumente erhielt. Sein, wie Elkoussy ihre Protagonistin nennt, stellt ihre Erinnerungen an die Geschichte des Zentrums von Kairo, erbaut in der Zeit des Khedivat [autonomer Vasallenstaat des Ottomanischen Reiches - A.d.Ü.] nach europäischem Muster, dem heutigen Leben gegenüber. Der Film ist eher ein Biopic der Innenstadt von Kairo als von Sein und flirtet in seinem erzählerischen Ansatz mit Spielfilm, Theater und dokumentarischer Fotografie. Im Grunde verwendet er sogar dieselbe visuelle Sprache wie Elkoussys Ausstellung von Straßenfotografie Journey Around My Living Room in der Mashrabia Gallery in diesem Sommer.
Ein weiterer Beitrag des Screening Programms, der diesen Ansatz des Storytellings zu teilen scheint, ist Short History of Abandoned Scenes, eine Produktion von 2013 des aus Italien stammenden Fotografen und Videokünstlers Rä di Martino. Durch schauspielerische Versatzstücke aus dem Leben der gegenwärtigen Einwohner erzählt der Film die Geschichte der Atlas Film Studios in Ouarzazate, Marokko, wieder. Zwei einheimische Jungs und ein Nay-Spieler [Längsflöte - A.d.Ü.] führen einprägsame Szenen aus dem britischen Filmklassiker Lawrence von Arabien (1962) vor den Ruinen der originalen Filmkulissen auf. In der Rolle von Auda ibu Tayi [im Original gespielt von Anthony Quinn] drückt einer der Jungs seinen Unmut darüber aus, in Akaba (Jordanien) kein Gold zu finden. Der Klang der Nay ist im Hintergrund zu hören. Durch den gesamten Film folgt di Martinos Kamera den Dreien von einer verlassenen Kulisse zur nächsten.
Der Film von Rä di Martino gehört zu den zehn Werken, die Medrar aus der Sammlung der Dutch Living and Media Art Foundation ausgewählt hat. LIMA ist eine verkleinerte Neugründung des Netherlands Media Art Institute (NMIK), das 2010 zum Programm der vierten Edition des Festivals beitrug. Als das NMIK Anfang 2013 wegen finanzieller Probleme schließen musste, initiierten die Mitarbeiter LIMA mit derselben Sammlung, zu der verschiedene Arbeiten von Marina Abramović und Gary Hill sowie von jüngeren Künstlern gehören. Diese Sammlung ist eine großartige Ressource für das Videofestival in Kairo gewesen. Deren Modell für die Bewahrung und Verbreitung von Werken der Videokunst und dafür, sie Künstlern, Studenten und Forschern zugänglich zu machen, ist für Medrar sehr anregend gewesen, denn das Kollektiv in Kairo sucht nach Wegen für die Promotion des Schaffens der von ihm unterstützten Künstler, die mit Video und Digitronics experimentieren. Deshalb lud Medrar den Vertriebsleiter von LIMA, Theus Zwakhals, nach Kairo ein, um die Stiftung und deren Arbeit vorzustellen und ein Modell zu erörtern, an dem es in weiten Teilen der Arabischen Welt mangelt.
Die in diesem Jahr ausgebreiteten Ideen des Kairo Videofestivals sind nur der Beginn eines längeren und hoffentlich nachhaltigen Einsatzes für neue Experimente in der Videokunst und im Film. Seine Breite und Offenheit brachten ein vielfältiges Publikum dazu, Nacht für Nacht wiederzukommen. Video ist in Ägypten nicht mehr nur eine aufkeimende Kunstform, denn Tausende Menschen beschäftigen sich heutzutage mit dem Medium, indem sie Erzählungen schaffen, Mashup- und Hoaxvideos produzieren und sie auf YouTube veröffentlichen. Aber dieser Fokus, der von vielen anderen Filmfestivals im Lande nicht angeboten wird, fördert bei den Kreativen und dem Publikum eine erweiterte und größere Wertschätzung dafür und schafft eine Plattform, auf der Künstler ihr Schaffen präsentieren und gemeinsam mit anderen diskutieren können.
Mai Elwaki
In Kairo lebende Autorin, Mitbegründerin des arabischen Online-Kunstkanals medrar.tv. Bis April 2013 war sie die Kulturredakteurin der englischsprachigen Nachrichtenwebsite Egypt Independent. Sie bloggt auf Arab Art Beat.
5. Kairo Videofestival
Videokunst & Experimentalfilme
25. September - 7. Oktober 2013
Veranstalter: