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Interview über die Videoarbeit Al Araba Al Madfuna, geschaffen für die Ausstellung zum Kunstpreis der Schering Stiftung in den KW Berlin.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Okt 2012In den KW Institute for Contemporary Art, einer der wichtigsten Kunstinstitutionen Berlins, wird derzeit eine Einzelausstellung von Wael Shawky gezeigt. Sie ist Teil des Kunstpreises, den die Schering Stiftung alle zwei Jahre vergibt und mit dem sie jetzt den ägyptischen Künstler würdigt.
Eigens für diese Schau schuf Wael Shawky die neue Videoinstallation Al Araba Al Madfuna. Dafür wurde der Boden der großen Halle der KW mit Sand aufgeschüttet. Man kann sich auf Steine setzen, angeordnet wie die Fundamentreste eines Hauses in der Wüste. Das Schwarzweißvideo zeigt einen spärlich beleuchteten, kargen Versammlungsraum. Darin sitzen kleine Jungs, gekleidet wie Männer, viele von ihnen mit angeklebten Schnurrbärten. Mit den Stimmen von Erwachsenen erzählen sich die Kinder eine Geschichte, die der Schriftsteller Mohamed Mustagab aufgeschrieben hat (siehe das Interview). Währenddessen gräbt einer der Jungen ein immer tieferes Loch in den Boden des Raums.
Binder & Haupt: Deine Ausstellung in Berlin ist nach deiner neuen Videoinstallation Al Araba Al Madfuna benannt. Wie kam sie zustande? Welcher Gedanke und Kontext steht dahinter?
Wael Shawky: Die Idee dazu geht auf ein Erlebnis vor zehn Jahren zurück. Ein Freund lud mich ein, ihn nach Al Araba Al Madfuna, ein Dorf in Oberägypten, zu begleiten. Mein Freund behauptete, er könne Leute heilen und sogar pharaonische Schätze unter der Erde aufspüren. In Oberägypten gibt es eine lange Tradition der Schatzsuche, zu der solche sogenannte Scheichs zu Hilfe geholt werden. Die sind so etwas wie Schamanen, die "Geister" anrufen, um verborgene Grabstätten der alten Ägypter ausfindig zu machen.
Da mich diese metaphysische Welt schon immer faszinierte, fuhr ich mit nach Al Araba Al Madfuna. Dort verbrachten wir zehn Tage, fast immer in einem der typischen Versammlungsräume nur für Männer, wo wir auch schliefen und aßen und ständig Dorfbewohner zur Begrüßung kamen. Manche von ihnen saßen stundenlang einfach nur schweigend da. Deshalb beschloss ich, meinen Film nur in einem einzigen Raum zu drehen.
Binder & Haupt: Wird tatsächlich in solchen Räumen selbst nach Schätzen gegraben?
Wael Shawky: Ja genau, das tun sie in vielen Häusern dieses Dorfes, manchmal jahrelang. Wenn einer dieser Scheichs kommt und sagt, er "fühlt", dass es da einen Schatz gibt, legt die Familie gleich los. Obwohl sie nach metertiefem Graben nichts findet, bleibt ihre Hoffnung dennoch bestehen. Deshalb holen sie einen anderen Scheich, und der meint dann, sein Vorgänger habe sich geirrt, sie müssten nur einen Meter weiter rechts suchen. Manchmal stirbt eine Generation, und die nächste hat denselben Traum und macht weiter, so dass durchaus zwanzig Jahre lang an derselben Stelle gebuddelt werden kann.
Binder & Haupt: Finden die Leute denn hin und wieder mal etwas Wertvolles?
Wael Shawky: Manchmal schon, und dann ist das ganze Dorf in Aufruhr und gräbt die nächsten zwanzig Jahre weiter…
Binder & Haupt: Immerhin ist das ja eine sehr bedeutende archäologische Zone. Al Araba Al Madfuna liegt auf dem demselben Hügel, unter dem Anfang des 20. Jahrhunderts eine Tempelanlage für den altägyptischen Gott Osiris entdeckt wurde.
Wael Shawky: Ja, es ist schon unglaublich, wenn man die heute so abgeschiedene Gegend sieht und sich dann vor Augen hält, dass dort vor sehr langer Zeit im antiken Abydos eine der bedeutendsten Nekropolen des alten Ägypten war.
Binder & Haupt: Weit über das Anekdotische hinaus ist dein Film ist eine starke Metapher. Warum lässt du die Akteure von Kindern darstellen, die als Männer verkleidet sind und deren Stimmen von Erwachsenen gesprochen werden?
Wael Shawky: Zum Einen, weil ich sehr gern mit Kindern arbeite. Das ist für mich das Beste. Sie sind die Zukunft der Gesellschaft, haben keine dramatischen Erinnerungen, kennen Mohamed Mustagab - den Autor der Geschichte - nicht, wissen nichts über das altägyptische Osirion und nichts von alledem, um das es hier geht. Das ist mir sehr wichtig. Sie haben noch keine festen Vorstellungen davon, wie die Dinge laufen sollten. Wenn man mit Kindern arbeitet, hat man auch nicht diese Komplexität von Geschlechterrollen oder ein schauspielerisches Auftreten. Im Grunde ist es wie mit Marionetten. Die Bedeutung des Themas hat die oberste Priorität, deshalb ist es enorm wichtig, ein sehr starkes Skript und Konzept zu haben, das von den Kindern unglaublich gut und ganz ohne Klischees rübergebracht werden kann.
In diesem Falle war Arbeit mit den Kindern allerdings etwas anders. Bei dem Projekt ließ ich sie die Männergesellschaft Oberägyptens an einem Ort darstellen, zu dem Frauen keinen Zutritt haben. Damit wollte ich die Erfahrungen übersetzen, die ich selbst dort gemacht habe. Aber es gibt noch weitere Aspekte. Während meines Aufenthalts sah ich nicht nur, wie der Scheich die Leute beim Graben nach Schätzen anleitete, sondern auch wie er mit dem Heilen von Leuten begann. Vielleicht weil sie so stark mit einer metaphysischen Welt zu tun haben, trifft man in diesen Dörfern oft Leute, die irgendwie "besessen" sind. Also zum Beispiel Kinder, die mit der Stimme alter Männer sprechen. Und "Exorzisten" sollen solche Fälle heilen, nur dass sie dazu statt des Kreuzes den Koran benutzen. Das habe ich selbst gesehen.
Binder & Haupt: Wirken darin uralte schamanistische Glaubensvorstellungen in Oberägypten fort? Eigentlich ist das doch wohl nicht im Sinne des Korans?
Wael Shawky: Ja, schon, aber so ist das nun mal mit der Gier der Menschen. Ich finde es unglaublich, wie ein metaphysisches System für einen schnöden Materialismus benutzt wird. Alle diese Mittel wie der Koran und die Magie und alles Erdenkliche werden zu einem materialistischen Zweck eingesetzt: den Schatz zu heben. Die Leute wissen, wenn sie ein Stück finden, könnte es für Millionen Dollar verkauft werden, und nur darum geht es. Und im Falle eines Fundes gibt es festgelegte Regeln für die Aufteilung des Gewinns. Ein Drittel geht an den Besitzer des Gebäudes, ein Drittel an den Scheich, der die Suche mit der Anrufung von Geistern leitete, und der Rest ist für die Leute, die gegraben haben. Manchmal ist auch etwas für die Polizei fällig, von der man beschützt wurde, denn natürlich ist diese Schatzgräberei illegal.
Binder & Haupt: Die Geschichte, die du die Kinder in Al Araba Al Madfuna erzählen lässt, hat aber nicht direkt mit dem Graben nach pharaonischen Schätzen zu tun. Worum geht es in der Parabel von Mohamed Mustagab?
Wael Shawky: Es geht darum, wie eine Generation die Ideologien ihrer Vorfahren ererbt, wie sie daran glaubt und wie sich solche Ideen bis ins Extreme steigern können. In dieser einfachen Geschichte spricht Mohamed Mustagab über einen Stamm, dessen Anführer im Sterben liegt und von den umstehenden Stammesmitgliedern nach einer "letzte Anweisung" gefragt wird. Der antwortet kurz bevor er stirbt "ich rate euch, schafft ein Kamel an". Aber bis dahin gab es in der ganzen Siedlung nur Esel, und die Leute wussten nur über Esel Bescheid. Doch nun war das Kamel angesagt, und dieser Gedanke wurde für sie größer und größer, und schließlich führten sie Kamele ein. Mohamed Mustagab beschreibt, wie das Kamel ihr ganzes Leben zu bestimmen begann und sie ihre Häuser, ihre Kleidung und irgendwann sogar ihr Aussehen den Kamelen anpassten.
Später ist dann der neue Anführer auf dem Sterbebett nach seinen letzten Anweisungen gefragt worden, und er sagte "ich rate euch, schafft ein Maultier an". Und wieder wurde ein grundlegender Wechsel vollzogen. Die Leute fühlten sich plötzlich von den Kamelen angwidert und konnten überhaupt nicht mehr verstehen, wie man mit diesen merkwürdigen Kreaturen jemals zusammenleben konnte. Also wurden Maultiere angeschafft, und es kam zu derselben Anpassung wie dereinst bei der Obsession für Kamele, bis hin zur Adaption des eigenen Körpers. Die Geschichte endet damit, dass der dritte Anführer kurz vor seinem Tod den Stammesangehörigen sagt "ich rate euch, schafft ein Schwein an". Es ist eine leichte und hübsche Kurzgeschichte, aber ich denke, sie wird ungemein wichtig im Kontext einer Gesellschaft, die auf dem Vermächtnis ihrer Ahnen aufbaut und das aber zu ernst nimmt.
Binder & Haupt: Es ist auch eine eindringliche Parabel dafür, bis zu welchem absurden Grad sich eine leichtgläubige Gesellschaft von geistigen Führern manipulieren lässt.
Wael Shawky: Ja, absolut.
Wael Shawky (* 1971 in Alexandria) studierte Bildende Kunst an der Universität von Alexandria und an der Graduate School of Fine Arts der University of Pennsylvania (USA). 2010 gründete er das Atelierhaus und Weiterbildungsprogramm MASS Alexandria. Seine Arbeiten wurden unter anderem auf der dOCUMENTA (13) in Kassel (2012) gezeigt. Wael Shawky ist unter den ersten fünf Künstlern, die schon als Teilnehmer der 11. Sharjah Biennale 2013 bekanntgegeben wurden.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
Wael Shawky. Al Araba Al Madfuna
Kunstpreis der Schering Stiftung 2011
26. August - 21. Oktober 2012