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In der tunesischen Szene der visuellen Kunst vollzieht sich ein Wandel, in dem Aktion und Wachsamkeit vorherrschen.
Von Rachida Triki | Feb 2012>> Französische Version / En français
Die tunesische Revolution führte zu einer Demokratisierung des sozialen, politischen und kulturellen Lebens. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit fanden im Land freie und unabhängige Wahlen statt. Die unmittelbaren Konsequenzen dieser Veränderungen sind: 1) die Stärkung der Zivilgesellschaft mit ihren Bewegungen von Sitzblockaden, Streikes und Protesten für mehr Freiheit und Gleichheit; 2) die Ankurbelung des kulturellen Lebens auf allen Ebenen: ein vielfältiger werdendes Theater, Film- und Dokumentarfilfestivals in Südtunesien, zunehmend verbreitete Straßenkunst; 3) die Stimulierung des politischen Lebens mit einer Verteilung der Macht und einer aktiven Opposition.
In der tunesischen Szene der visuellen Kunst vollzieht sich ein Wandel, in dem Aktion und Wachsamkeit vorherrschen:
Eine aktive und wachsame Zivilgesellschaft
Die visuellen Künste wurden strukturell repräsentiert und verteidigt von der Union des Artistes Plasticiens Tunisiens (UAPT, Vereinigung Tunesischer Bildender Künstler). Heutzutage hat die demokratische Dynamik zur Entstehung verschiedener Vereinigungen geführt: das schon 2009 gegründete Syndicat des Métiers des Arts Plastiques (SMAP, Gewerkschaft Visueller Kunstberufe), die sich insbesondere um den Aufbau von Strukturen bemüht, mit denen die Interessen visueller Künstler verteidigt und ihre Unabhängigkeit garantiert werden können; der Verband, der von jungen Künstlern geleitet wird und dafür eintritt, den beruflichen Status von Kunstschaffenden zu sichern, die Politik der Vergabe von Fördermitteln für die Produktion und das System der Kunstankäufe, so wie es vom Kulturministerium gehandhabt wurde, zu verändern. Diese Position wird auch von anderen, nach der Revolution vom Januar 2011 gegründeten Vereinigungen vertreten: das ist der Fall bei der Fédération Tunisienne des Arts Plastiques (FTAP, Tunesische Föderation der Visuellen Künste), bestehend aus verschiedenen Zusammenschlüssen junger Künstlern auf nationaler und regionaler Ebene. Bei diesen diversen Gruppierungen gibt es heutzutage ein Streben nach kommunalen Aktionen für die Verteidigung und Förderung der visuellen Künste in Tunesien.
Eine deutliche Steigerung der Anzahl künstlerischer Manifestationen
Im letzten Jahr haben wir eine große Zahl an Kunstausstellungen gesehen, von denen die meisten das Thema der revolutionären Bewegung und die Frage der Bürgerrechte aufgriffen. Diese Ausstellungen fanden sowohl in existierenden Galerien als auch in Räumen statt, die durch die Kunst wiederbelebt worden sind, wie im Falle der Galerie de l’information auf der Hauptstraße von Tunis.
Auf den Straßen gab es etliche künstlerische Manifestationen: Happenings, kollektive Malaktionen mit Beteiligung des Publikums, Grafitti, etc. In der heutigen Zeit bleibt der öffentliche Raum, der von Künstlern sofort nach den Aufständen im Januar 2011 besetzt worden ist, für sie eine kleine Garantie ihres Anrechts auf die Stadt und auf künstlerische Freiheit. Außerdem war die Haltung der Künstler als Bürger am deutlichsten sichtbar in solchen Ausstellungen wie Chronique d’une revolution (Chronik einer Revolution), Dégagement, la Tunisie un an après (Befreiungsschlag, Tunesien ein Jahr danach), Dégage! une révolution (Hau ab! Eine Revolution), Jasmins, entre art et révolution (Jasmin, zwischen Kunst und Revolution), Je vote (Ich wähle), etc.
Seit dem 14. Januar 2011 ist Fotografie das sichtbarste Medium
Im Laufe eines Jahre sind viele junge Fotografen, die Aufnahmen von den Aufständen machten, durch Ausstellungen in öffentlichen oder privaten Räumen bekannt geworden. Dieses neue Genre des künstlerischen Fotojournalismus weckte das Interesse von Galeristen, die bislang diesbezüglich reserviert geblieben waren. Die Fülle der Fotografie in dieser Bewegung führte zu der Entscheidung, ein "Haus der Fotografie" zu gründen, initiiert von einem jungen Fotografen.
Die Abbildungen fotografischer Kunstwerke sind durch Facebook und durch das Fernsehen in Tunesien und international weit verbreitet worden. Neben Grafikdesigners waren es auch diese Fotografen, die ausgewählt worden sind, um in Europa an verschiedenen Veranstaltungen zu dem teilzunehmen, was die Bezeichnung "der Arabische Frühling" erhielt.
Eine schnelle Demokratisierung der Künste angesichts eines de facto nicht existierenden Markts
Die abrupte Demokratisierung der Künste führte natürlich zu sehr ungleichen ästhetischen Kreationen. In vielen Produktionen zu Zeiten sozialer Bewegungen war es oft die Protesthaltung der Kunstwerke, die von den Galeristen bevorzugt wurde. Trotz alledem hatte die Dynamik des Schaffens und Ausstellens keine Stimulierung des Kunstmarkts zur Folge, der eng und zurückhaltend blieb. Die wenigen Sammler lassen lieber weiterhin Vorsicht walten, obgleich sie diese jungen Künstler ermutigen. Und obwohl die Ankaufkommission des Kulturministeriums versuchte, ihre Erwerbungen von Kunstwerken zu auszuweiten, um vom Ministerium bislang ignorierte Ausstellungsräume einzubeziehen, kann von einer Neustrukturierung oder womöglich sogar von einem neuen Kunstmarkt keine Rede sein.
Was die Kunstwerke betrifft, die zu Ausstellungen nach Europa und insbesondere nach Frankreich reisten, so sind diese nicht ausgewählt worden, um in einen größeren Kunstmarkt integriert zu werden, sondern als Fenster zur tunesischen Revolution und ausgehend von einem Interesse dafür.
Eine produktive Debatte über die Szene visueller Kunst
Es fanden zahlreiche Veranstaltungen statt, um den heutigen Platz der Kultur in einer Periode des demokratischen Übergangs und darüber hinaus die Situation der Künste zu diskutieren. Genannt seien:
Rachida Triki
Tunesische Kuratorin und Autorin. Professorin für Ästhetik und Kunstphilosophie an der Universität Tunis.