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Rezension der Ausstellung in London mit Projekten, die den Wunsch nach Veränderung in der arabischen Welt thematisieren.
Von Liane AlGhusain | Sep 2012Location, Location, Location. Ganz recht, drei Orte. The Changing Room, eine Ausstellung arabischer Kunst, zuerst in Italien realisiert, kam jetzt nach London, wo sie an drei Orten gezeigt wird: einem Westminster Bürohub im New Zealand House, einer unterirdischen Galerie und in Davenport's Zauberladen an der Station Charing Cross. Tatsächlich wirken die Werke oft wie ein Zaubertrick, bei dem die Dinge nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Ein Video von Adel Abidin von einer Gruppe äthiopischer Männer, die im traditionellen Tabla- oder Trommelkreis sitzen, scheint nichts anderes als das zu sein, bis man sieht, dass sie ihre üblichen Perkussionsinstrumente gegen aufgeblähte Rundungen von Fladenbrot eingetauscht haben.
Die von den Trommlern intonierten Rhythmen sind hypnotisierend, eine nur durch die sich selbst erschließende Metapher unterbrochene Faszination - im Zuge der ägyptischen Revolution ist Brot zu etwas geworden, das für Menschenrechte steht. Mit Schlips und Anzug bekleidet, nehmen die Musiker ihre Arbeit ernst, und ihre Rhythmen sind zeremoniell. Sie feiern Geburten, Hochzeiten und das Hochgefühl, das ein wirklich guter Abend in Kairo mit sich bringt (alle Trommler, die Abidin zusammenholte, spielen professionell für Bauchtänzerinnen in Nachtclubs). Aber hinter der emotionalen Qualität ihrer Lieder steht die Sorge, Brot nach Hause auf den Küchentisch zu bringen (Adel Abidin, Bread of Life, 2008).
Diese Art von Leichtigkeit, mit der brisante soziale Themen in ein geeignetes künstlerisches Medium eingebracht werden, ist bei den meisten der von Aida Eltorie kuratierten Werke anzutreffen. Nermine Hammams Postkartenset Upekkha (2012) steht im Café des Bürohub unauffällig neben einem Wasserkrug und Trinkgläsern. Durch Photoshop sind die Soldaten der ägyptischen Armee auf den Postkarten in ein neues Ambiente verlagert worden - in die Ferien. Wenn sie vor einem sonnigen Strand oder schneebedeckten Bergen stehen, erlangt der Ausdruck der Soldaten eine neue Dimension. Man kann das als spaßig sehen oder es aber als traurig empfinden, wie indigniert und verloren die Soldaten erscheinen, wenn sie von unsichtbarer Hand und mit mysteriöser digitaler Software aus ihrem üblichen Kontext gerissen sind. Es ist besonders verwirrend, junge ägyptische Soldaten zu sehen, die in die hektische Atmosphäre eines Startup-Zentrums im Herzen Londons platziert worden sind.
Hammam schreibt in ihrem Künstlerstatement, wie jung diese wirken, wenn sie "aus großen Augen und engen Rahmen schielen", und in dieser neuen Umgebung von "Kodak"-Ferien kommt ihre Jugend letztlich auf eine sorgenfreie Weise zum Ausdruck … nur tragen sie eben noch ihre Uniformen und Gewehre. Im Westminister Hub des New Zealand House werden Qualitäten erkennbar, die ägyptische Nationenbildung und Startup-Kultur gemeinsam haben, wenn sie schier unerschöpfliche Mengen an Energie darauf verwenden, zu neuen Grenzen vorzustoßen.
Bei The Changing Room vermischen sich durch die jeweiligen Orte auch Bedeutungen. Die ganz direkte Erfahrung, Ibrahim Saad beim Malen eines Wandbilds im Schaufenster von Davenports Zauberladen (eine Marke, die Bill Roys Familie seit 1898 gehört und sie zu einer der ältesten "Zauberfamilien" Englands macht) zuzusehen, gibt einem eine Kostprobe traumhafter Orchestrierung. Das Geschäft, das sich unterirdisch am Ausgang 9 des U-Bahnhofs Charing Cross befindet, ist verborgen und zugleich bestens zugänglich. Wenn man es sich so anschaut, hat es etwas von dem Bahnsteig 5½ der King Cross Station, von dem aus Harry Potter und seine Freunde nach Hogwarts gelangten. Steht man zusammen mit anderen Kunstliebhabern, angehenden Zauberern und U-Bahn-Pendlern vor Davenport’s und betrachtet die Schichten und Veränderungen des Wandbilds, ist die Atmosphäre angefüllt mit einem elektrisierenden Gefühl des Alles-könnte-passieren.
Aladin macht's möglich - ihm ist es zu verdanken, dass The Changing Room in London sein(e) Zuhause fand. Der Experte für Bürgerdiplomatie und Kunstkurator erklärt, dass der Charing Cross Durchgang so inklusiv wie nur irgend möglich ist: frei, öffentlich, und er schützt auch vor Regen. Er erläutert, dass seine Mitarbeiter, der schon erwähnte Magier und Gemeindeorganisierer Bill Roy sowie die Gründer des Westminister Hub gleichermaßen "anti-Vernissage" eingestellt sind und es vorziehen, die entfremdende Hackordnung der kommerziellen Kunstwelt zugunsten einer wahrhaftigen "Gemeinschaft mit dem Kontext" zu vermeiden. Aladin schildert die Situation der zurückhaltenden Eröffnung von The Changing Room - ausgerichtet auf einer Bank am Trafalgar Square mit Getränken und Gebäck, geliefert von einem bis spät nachts geöffneten Eckladen. Die übersprudelnden Gäste, Künstler und Freunde, verließen die Freiluftparty nur, um den letzten Zug noch zu erwischen, der das Zentrum Londons verlässt.
Aladin stimmte auch die Partnerschaft von The Changing Room mit dem London Olympiad Festival ab und merkt dazu an, dass das Projekt ohne die Unterstützung der Büros des British Council im Vereinigten Königreich und der MENA Region, 7 point 9 sowie Finding Projects u.a.m. nicht möglich gewesen wäre. Die Liste der angesehenen internationalen Organisationen, die bereitwillig ihre Agendas mit der Ausstellung verknüpft haben, verleiht ihrer Präsentation und ihrem Stil einen starken Eindruck, jedoch einen, der Aladins Einschätzung zufolge eben nicht durch die Olympiade "kontaminiert" oder kommerzialisiert ist. Stattdessen präsentiert sich The Changing Room als eine ideale Plattform für das Zusammenbringen diverser Interessen. Dazu gehören die individuellen künstlerischen Interpretationen von kollektivem Widerspruch in der arabischen Welt sowie die Teilnahme verschiedener Städte und Dachverbände an dieser alternativen Form einer politischer Veranstaltung.
Zu den partizipatorischen Momenten in der Ausstellung gehört Karim Al Husseinis Black Box, die als eine alternative Wahlurne funktioniert, in die das Publikum seine selbst geschriebenen Kommentare und Hoffnungen für die arabische Welt einwerfen kann. Ein Druck auf "Play" auf dem iPod, das an dem Werk Gulf of Phantasmagorias von Anas Al Shaikh hängt, versetzt das Publikum in die Lage, solch eine vielfältige Zusammenstellung von Audio-Schnipseln aus dem Irak und der übrigen Golfregion zu hören, dass man durch die Formbarkeit von Propaganda zur Genüge in die Lage versetzt wurde, nach Hause zu gehen und die eigene gut gemeinte Schmährede aufzunehmen.
Die Installation Greatest Hits von Khaled Barakeh ist ähnlich fesselnd. Der Künstler sammelt Artefakte, um die ausgeprägten Spannungen im arabisch-israelischen Konflikt darzustellen, und bezieht dabei seine Inspiration aus der Ironie und Inkongruenz des Benennens. Die Greatest Hits Sammlung verwischt die Definition eines "Hits", indem Popkultur mit militärischer Taktik verbunden wird, und Barakeh schafft erfolgreich einen Bericht über die allgemeine Akzeptanz der israelischen Gewalt. Zu der anwachsenden Sammlung von Objekten gehört eine Regenbogenfahne mit dem Titel The Rainbow War, was auf das Phänomen des "Pink-Washing" bezogen ist. Der Begriff steht dafür, dass die israelische Regierung Homosexuellenrechte als ein Ablenkungsmanöver zur Verdrängung der Frage der Menschenrechte von Palästinensern vorbringt. Neben der Fahne gibt es ein Objekt mit dem Titel The Gift (Das Geschenk), bestehend aus einer großen Weltkarte, aus der das gesamte Landstück von Palästina/Israel herausgeschnitten ist. Hinter dem Loch leuchtet ein rotes Licht und gibt der gesamten Form der umkämpften Nation das intuitive Erscheinungsbild einer glühenden Wunde.
Vielleicht der größte Zaubertrick ist die Einbeziehung der Fotografien Nation State von Larissa Sansour in die Ausstellung. Ihre Arbeit hat einen geradezu mythischen Charakter erlangt als "das Werk, das dem Lacoste Elysée Preis ein Ende bereitete". Nation State ist eine Serie phantastischer Fotos, die ein luxuriöses Hochhaus mit einem Stück von Palästina auf jeder Etage zeigen - Ramallah und Jerusalem sind unter den Städten und Plätzen, die in dem Gebäude eine eigene Suite erhalten. Auch wenn die gigantische Weltfirma Lacoste und ihre Partner das Werk für "zu pro-palästinensisch" erachteten und den renommierten Kunstpreis daraufhin ganz und gar einstellten, wird The Changing Room seinem Namen gerecht, indem die Schau die Aufmerksamkeit dafür aufrecht erhält und Sansours Werk neues Leben verleiht.
Liane AlGhusain
Kuratorin, Beraterin, Journalistin, Lehrerin. 2010 Mitbegründerin der Contemporary Art Platform Kuwait. Lebt in Beirut, Libanon.
Orte:
The Underground Gallery und Davenports Magic Shop
Exit 9, Charing Cross Underground
London, WC2N 4HZ
The Hub Westminster
First Floor, New Zealand House
80 Haymarket
London, SW1Y 4TE
The Changing Room
15. August - 30. September 2012
London 2012, Kulturprogramm der Olympischen Spiele
Kuratorin: Aida Eltorie
Künstlerinnen und Künstler:
Adel Abidin, Karim Al Husseini, Sama Alshaibi, Anas Al-Shaikh, Khaled Barakeh, Hassan Hajjaj, Nermine Hammam, Ines Jerray, Ibrahim Saad, Steve Sabella, Marwan Sahmarani, Larissa Sansour, Khaled Ramadan, Bassem Yousri