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Begegnungen durch Einrahmen und Adaptieren. Zum Schaffen der Künstlerin, Dozentin, Kuratorin, Aktivistin in Karatschi.
Von Simone Wille | Okt 2012Karatschi zählt mit geschätzten 21 Millionen Menschen zu den 10 meist bevölkerten Städten der Welt. Kommerz und Chaos, Armut und Reichtum leben hier dicht nebeneinander. Die populäre Kultur des Landes wurde in den 1990er Jahren als lokale und nicht elitäre Tradition erkannt. Künstler erkundeten die Kultur des Volkes, der Massen, die in den Straßen Karatschis zu finden ist.
Die Werke und das Wirken von Naiza Khan hängen mit dieser Auseinandersetzung unmittelbar zusammen. Das Zusammentreffen mit den Menschen außerhalb der Galerieräume dient zur Schaffung neuer Rahmenbedingungen, um das "Kontemporäre" zu lokalisieren und zu adaptieren. Naiza Khan arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Künstlerin, Kunstlehrerin, Kuratorin und Kunstaktivistin in Karatschi. Sie ist Gründungsmitglied und war langjährige Koordinatorin des Kollektivs "Vasl", das seit über 10 Jahren lokale und internationale Aufenthaltsprogramme für Künstler ausrichtet und zu einer wichtigen Plattform pakistanischer Kunst wurde. Außerdem unterrichtete sie als Mitglied der Fakultät der bildenden Kunst viele Jahre an der Indus Valley School of Art and Architecture in Karatschi. Zu ihren zahlreichen internationalen Ausstellungsbeteiligungen kam im Oktober 2012 die Teilnahme an der Shanghai Biennale hinzu. 2010 kuratierte Naiza Khan die viel beachtete Ausstellung The Rising Tide - New Directions in Art from Pakistan 1990-2010 im Mohatta Palace Museum in Karatschi.
Vor gut 10 Jahren begann die Künstlerin, sich vorwiegend mit dem weiblichen Körper zu beschäftigen, der ihr als eine Metapher kultureller, sozialer und persönlicher Beengtheit gilt. Diesbezüglich von großer Bedeutung ist ihr Zyklus Henna Hands (2000-2003). Die im südasiatischen Subkontinent allseits bekannte Hennamasse wurde von Khan im Jahr 2000 zunächst mit Hilfe von Schablonen direkt auf die Wand einer Galerie in Karatschi aufgetragen. Sie reihte die Henna-Hände in Form eines Frauenkörpers aneinander. Angesichts der geringen Präsenz der Frau im öffentlichen Bereich wagte es die Künstlerin, die aus Henna-Händen zusammengesetzten Frauengestalten in einer gelungenen Aktion an den Wänden verschiedener öffentlicher Orte anzubringen. In Stadtvierteln, die von der Bevölkerung der unteren Mittelschicht bewohnt sind, wurden diese Arbeiten einer ungewöhnlichen Konfrontation mit der Öffentlichkeit ausgesetzt und so - wenn auch nur für kurze Zeit - integrativer Teil der Masse.
Spannungen rund um den weiblichen Körper standen noch für einige Jahre im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Es entstanden Arbeiten auf Papier, die sich gegen die Erwartungshaltung richteten, mit der Künstlerinnen vor allem aus der muslimischen Welt konfrontiert sind. Solche Dinge wie modische Dessous und mittelalterliche Keuschheitsgürtel, Korsett und Zwangsjacke wurden einander gegenüber gestellt. Oft eingebettet in dekorative Pflanzenmotive erlangten sie durch eine solche isolierte Darstellung einen fetischartigen Charakter. Die Serie Heavenly Ornaments (2005-2008) war eine direkte Folge dieser Arbeiten. Die Künstlerin fasste das Entstehen derartiger skulpturaler Arbeiten so zusammen: "The ideas evolved through the drawings, until I felt they were beginning to look like objects. I was drawn to making a bodycast in paper and plaster. And then casting this off into latex... this eventually led to working with metal." (Interview, 2005)
Naiza Khans Interesse am Erforschen und Observieren urbaner und öffentlicher Räume begann mit den Henna Hands und führte sie nach mehreren weiteren Stationen hinaus vor die Küste Karatschis nach Manora Island. Was Khan an dieser kleinen Insel mit 14.000 Einwohnern interessiert, geht über ihr bisheriges künstlerisches Engagement im Zusammenhang mit der sozialen Welt hinaus. Auf der Suche nach dem bestmöglichen Umgang mit der Geschichte des Ortes entstand eine Serie von Arbeiten, die Zeichnungen, Aquarell, Digital- und Siebdruck, Fotografie, Video- und Tondokumentation, aber auch Skulpturen beinhalten. Teile des Manora Archive, wie die Künstlerin ihre langfristige Auseinandersetzung mit der Insel betitelt, werden auf der Shanghai Biennale 2012 gezeigt.
Von Manora Island aus blickt die Künstlerin auf die Situation einer viel geplagten Region, auf den unaufhaltsamen urbanen und architektonischen Sturm, der als Folge geopolitischer Streitigkeiten symbolhaften Charakter annimmt. So wie sich Schriftsteller schon immer uneinig darüber waren, ob man diese Millionenmetropole als den stolzesten oder aber den traurigsten aller Orte bezeichnen soll - unentschlossen zwischen Liebe und Hass -, so versucht Naiza Khan die unzähligen Metaphern der Stadt zu bewältigen. In ihrer komplexen Behandlung von Geschichte und Zeitgenossenschaft betont die Künstlerin dabei ihr ausgeprägtes Engagement für die Idee, dass sich Kunst sowohl mit der Vergangenheit als auch mit der ethischen Frage der Gegenwart auseinandersetzen sollte.
Simone Wille
Kunsthistorikerin. Autorin des Buches "Modern Art in Pakistan. History, Tradition, Place", veröffentlicht 2014 von Routledge, Neu-Delhi.