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Interview mit dem marokkanischen Künstler über seine Arbeiten im summer\'s lab 2012 von Le Cube, Rabat.
Von Elisabeth Piskernik | Nov 2012Der unabhängige Kunstraum Le Cube wurde 2005 von der in Rabat lebenden Österreicherin Elisabeth Piskernik gegründet, um jungen Künstlerinnen und Künstlern aus Marokko und anderen Ländern eine Plattform für künstlerisches Experimentieren zu bieten. Dies kann sich in konzeptuellen Arbeiten sowie Installationen, Videokunst, Fotografie, Performance oder auch Malerei artikulieren. Von Beginn an wurde die Kooperation mit Kunstschaffenden und Institutionen aus dem Ausland gesucht und ein Aufenthaltsprogramm aufgebaut, das den internationalen Austausch fördert.
Mohamed Arejdal, geboren 1984 in Guelmim, lebt nomadisch in Tanger, Rabat und an anderen Orten Marokkos und im Ausland.
Elisabeth Piskernik (EP): Im Jahr 2009 hast du dein Studium am Institut National des Beaux Arts in Tétouan abgeschlossen. Es folgten mehrere Projekte, die meisten im öffentlichen Raum. Im Sommer 2012 wurdest du eingeladen, im Rahmen des Projekts summer’s lab des Kunstraums Le Cube in Rabat über deine Arbeitsweise zu reflektieren und zu experimentieren. Was sind deine Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser "Nachdenk-Pause"?
Mohamed Arejdal (MA): Die Einladung kam genau zum richtigen Moment, um mich zurückziehen und Energie für weitere Projekte tanken zu können. Ich trat den Künstleraufenthalt ohne ein vorgefertigtes Konzept an, ließ meine Gedanken schweifen und realisierte den Großteil der Arbeiten erst sehr spät. In meinen Überlegungen kam mir der Standort Rabat als administrative Hauptstadt mit dem Parlament und den seit langem stattfindenden Demonstrationen sehr gelegen. Für mich ist dieses Szenario die Kulisse Marokkos. Es repräsentiert all das, was sich hinter der schönen Fassade verbirgt, ist ein Gegenpol zu dem Theater, das den Zuschauern im Allgemeinen geboten wird.
EP: Während des summer’s lab hast du erstmals eine Skulptur geschaffen, Crank - Die Mühlkurbel, eine in zwei Hälften geteilte Weltkugel aus Sandstein. Was bewog dich zu dieser Arbeit?
MA: Die Skulptur stellt eine traditionelle Mühle dar, mit der marokkanische Frauen Mehl mahlen. Mit dem Titel Crank beziehe ich mich auf ein kleines Detail des Globus, die Kurbel, die jedoch essentiell ist, um die Weltkugel in Bewegung zu bringen. Sie wurde ganz bewusst an jener Stelle angebracht, an der sich die USA befinden, um deren politische und wirtschaftliche Vormacht zu verdeutlichen. Crank ist die Metapher für eine Welt, in der das Gleichgewicht, die Verteilung von Gütern, Nahrung und Bildung nicht stimmt.
EP: Während des summer’s lab sind zwei weitere Arbeiten entstanden: Greenislam und Azro N’Tmazert. Welche Bedeutung hat Greenislam?
MA: Das Objekt Greenislam stellt einen aus zwei Pannendreiecken bestehenden Stern dar. Es ist der Stern der marokkanischen Flagge, und die im Titel genannte Farbe Grün gilt in der islamischen Wertvorstellung als heilig. Mit der Arbeit möchte ich auf jene Ideologie hinweisen, die den Islam für ihre politischen Zwecke benutzt.
EP: Und wie ist Azro N’Tmazert zu verstehen, eine beeindruckende Installation aus Steinen?
MA: Azro N’Tmazert ist ein Ausdruck in der Berbersprache Amazigh und bedeutet in etwa "Der Stein der Heimat". Die Geschichte und die durch die ehemals französische Präsenz beeinflusste Architektur des Appartements, in dem der Kunstraum Le Cube untergebracht ist, haben meine Erinnerung an die Worte meines Vaters wachgerufen: "Nur mit den Steinen seiner Heimat kann man seine Heimat bauen!"
Die Installation Azro N’Tmazert besteht aus einer Wand aus Steinen, die die Tür zu einem Raum versperrt. In diesem Raum steht für den Betrachter unsichtbar Greenislam, und mittels einer kleinen Kamera wird das Objekt (ein Stern), auf eine Wand im Hauptraum projiziert. Was sieht man wirklich? Ist es das, was sich hinter einer Steinmauer verbirgt und nicht sichtbar ist? Ist die Projektion Realität oder subjektive Interpretation? Es bleibt ein Spiel mit dem Außen und dem Innen, dem Lokalen und dem Globalen.
EP: Vor dem summer’s lab hast du zusammen mit weiteren marokkanischen Künstlern der jungen Generation am Projekt PLPAC im Institut français de Rabat teilgenommen. Es war nicht das erste Mal, dass ihr als Gruppe zusammenarbeitet. Definiert ihr euch als Künstlerkollektiv, vergleichbar mit dem 2005 gegründeten Collectif 212? Siehst du in solch einer engen Zusammenarbeit mit Künstlerkollegen besondere Synergieeffekte?
MA: Nein, wir bezeichnen uns nicht als Kollektiv. Wir arbeiten zusammen, um gewisse Ziele zu erreichen, die wir im Alleingang nicht schaffen könnten. Wir sind eher als lose Gruppe zu sehen, die temporär im Sinne eines Kollektivs arbeitet. Man unterstützt sich gegenseitig, geht aber dabei eigene künstlerische Wege.
Tatsächlich war das Projekt PLAPAC nicht die erste Erfahrung als Gruppe. Schon früher gründeten wir Mohssine Haraki, Mohamed El Mehadaoui und Otmane Fikraoui Reseau domestique (Hausnetzwerk). Es handelt sich um eine Art "Aufenthaltsprogramm", bei dem die beteiligten Künstler bei Familien auf dem Lande wohnten, um den Unterschieden zwischen Stadt und Dorf nachzugehen. Während der Projektzeit bauten wir eine Bibliothek, ein Kino, ein Hotel und ein Hamam auf, sozusagen eine vorübergehende urbane Infrastruktur.
EP: Wie siehst du die gegenwärtige Situation der Künstler in Marokko?
MA: Es gibt keinen wirklichen Rahmen für Kultur und für uns Künstler, weil der Staat kaum in diese Sparte investiert. Kunst und Kultur bringen keinen nennenswerten Ertrag, Marokko hat andere Prioritäten.
Ich sehe es so, dass wir Künstler im Dunkeln arbeiten, vor einer schwarzen Mauer, durch die ein kleiner Lichtstrahl dringt, der unsere Hoffnung auf eine bessere Zukunft als marokkanische Künstler ist.
>> Französischer Originaltext / En français
Elisabeth Piskernik
Gründerin und Leiterin des Kunstraums Le Cube - independent art room in Rabat, Marokko. Diplom in Kunstgeschichte der Universität Wien.
summer's lab 2012:
Mohamed Arejdal
Open studio - work in progress
27. September - 23. Oktober 2012