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Über Künstler und/in Community - Künstler arbeiten in kleinen Städten Kirgisistans und Tadschikistans.
Von Georgy Mamedov | Feb 2012Das Sowjetische ist für die Künstler in Zentralasien immer das wichtigste Thema gewesen. Von außen betrachtet kann man über die Akzentuierung der sowjetischen Problematik in der zeitgenössischen Kunstpraxis der Region unterschiedlicher Meinung sein - einige mögen das für sehr lokal halten, andere werden es als einen Trend ansehen, der einst gefordert war, sich jetzt aber erschöpft hat. Doch wie es scheint, wird das sowjetische Erbe und seine Transformationen und Mutationen noch lange der Schwerpunkt nicht nur der künstlerischen Erkundungen und Praktiken, sondern jeglicher sozialer Reflexion über die zeitgenössischen Realitäten in Zentralasien sein. Die Sowjetherrschaft schuf die Grundlage aller sozialer Kontroversen unserer Zeit in der Region. Ernsthafte ethnische Konflikte und Vielfalt von Völkern, Sprachen und Kulturen; Wirtschaftswachstum oder das Gegenteil davon - ein tiefer und umfassender Niedergang der Infrastruktur und Rezession; Effizienz oder fehlendes Funktionieren sozialer Institutionen; politische Turbulenzen oder "ewige Stabilität"; unglaubliche Armut und nicht weniger unglaublicher Luxus - alle diese heutigen Realitäten sind tief verwurzelt in der sowjetischen Vergangenheit der Region. All ihre traumatisierende und destruktive Erfahrung auf der einen Seite sowie die inspirierende und emanzipatorische auf der anderen verlangen umfassende Reflexion und Verstehen, was möglicherweise nur jetzt zustande kommen kann, weil es eine Generation von Künstlern und Forschern gibt, die auf das Thema des Sowjetischen nicht durch die Brille der Nostalgie und persönlichen traumatischen Erfahrung der Auflösung individueller Identität, sondern auf gewisse Weise "objektiv" blicken kann, aus einer nüchternen und doch engagierten Perspektive.
Die Produktion solcher Reflexionen und die Versuche, das sowjetische Erbe in der sozialen Realität von heute aktuell zu betrachten, war das erklärte Ziel des Projekts Künstler und/in Community, initiiert von dem in Duschanbe befindlichen Baktrischen Kulturzentrum und kuratiert von mir selbst. Mit dem Hauptfokus auf Kirgisistan und Tadschikistan sollte es auch die Überschneidung von künstlerischer Praxis und sozialer Agenda problematisieren. Das Projekt begann mit der einmonatigen, intensiven theoretischen Sommerschule für junge Künstler in Duschanbe im August 2010 und wurde mit der Hauptaktivität fortgesetzt - einem Aufenthaltsprogramm in kleinen Provinzstädten in Kirgisistan und Tadschikistan. Im November 2011 kamen alle Teilnehmer des Aufenthaltsprogramms in Bischkek zu einer dreitägigen abschließenden Konferenz zusammen, um sich über ihre Projekte und Reflexionen miteinander und mit dem allgemeinen Publikum auszutauschen. Das Aufenthaltsprogramm umfasste zehn Projekte von zwanzig Künstlern aus sieben Ländern - Kirgisistan, Tadschikistan, Kasachstan, Usbekistan, Russland, Iran und sogar Kolumbien. Zu ihnen gehörten sowohl junge Künstler - vor allem aus Bischkek, wo die Szene junger Kunst traditionell sehr aktiv und dynamisch ist - und solche, die schon in der internationalen Kunstszene präsent gewesen sind - wie Oksana Shatalova und Jamshed Kholikov.
Die Konzentration bei diesem Projekt auf kleine Provinzstädte kann mit zwei Gründen erklärt werden. Zum Einen ist das ein Versuch, eine für die zentralasiatischen Staaten typische Zentralisierung zu überwinden - die meisten finanziellen und menschlichen Ressourcen sind in den Hauptstädten konzentriert, so dass wenn wir über die kirgisischen oder tadschikischen Kunstszenen sprechen, wir im Grunde nur die in Bischkek und Duschanbe meinen. Zum Anderen sind die für das Programm ausgewählten Kleinstädte Relikte des sowjetischen Modernisierungsprojekts. Diese Städte hatten die modernste und am weitesten entwickelte soziale Infrastruktur - Schulen, Krankenhäuser, Sportstadien und Kulturzentren. Sie bündelten Internationalismus, Arbeitseifer und sozialen Wohlstand. Man kann also sagen, dass diese kleinen Städte eine Art von Skizzen, Entwürfen der "leuchtenden Zukunft" waren, die vom Rest des Landes gesucht wurde. Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion besteht die alltägliche Realität dieser Städte in der Stilllegung der Industrieproduktion, dem Verlust und Abbau der sozialen Infrastruktur. Eine dieser für das Aufenthaltsprogramm ausgewählten Städte ist das im Norden von Tadschikistan gelegene Taboschar, das einst Teil der sowjetischen Nuklearindustrie gewesen ist und heute oft als eine "Geisterstadt" beschrieben wird. In diesem Text will ich über zwei Projekte schreiben, die dort stattgefunden haben.
Im Rahmen ihres Aufenthalt in Taboschar versuchten Kirill Adibekov (Moskau) und Olga Jitlina (St. Petersburg) die Gründe zu analysieren und zu verstehen, die zum Scheitern des überambitionierten sowjetischen Emanzipations- und Modernisierungsprojekts in Zentralasien geführt haben: "In den späten 1920er Jahren begann die groß angelegte 'Sowjetisierung' des Ostens, und eines ihrer Hauptziele war die Emanzipation der Frau. Der Film von Dsiga Wertow Drei Lieder über Lenin (1934) ist sowohl Bestandteil dieses Projekts als auch gleichzeitig ein enthusiastischer Bericht darüber. Indem wir das, was wir in Tadschikistan gesehen und gehört hatten, den Montagestrukturen von Wertow gegenüberstellten, versuchten wir zu verstehen, wie das sowjetische Frauenprojekt in der Region ankam und was davon zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion übriggeblieben ist. Wir möchten die Gründe seines Scheiterns und seine historische Bedeutung verstehen." (Olga Jitlina)
In ihrem Film Montage basierend auf "Drei Lieder über Lenin" von D. Wertow stellen Kirill und Olga Szenen aus Wertows Film ihren Interviews mit zwei jungen Frauen aus Taboschar gegenüber. Wertows konstruktivistische Montagestruktur in seinem Film von 1934 ist so simple wie dies: "Hier ist der See, wo keiner war. Hier wachsen die Bäume, wo sie es nicht taten. […] Hier erhebt sich die Fabrik, wo sie nicht war. Die Universität wurde eröffnet, wo es zuvor keine gab. Von Alt zu Neu, von der Vergangenheit in die Zukunft…" (D. Wertow). So einfach wie dies war die Art, wie das Neue den Platz des Alten einnahm, nicht nur im Film, sondern auch im realen Leben. Und diese Simplizität spiegelt sich nun andersherum in den Geschichten der jungen Frauen, wenn sie über die Sowjetzeit reden, die sie nach den Aussagen ihrer Eltern nur als eine Art Paradies kennen. "Die Leute sind damals nicht krank geworden." Die Zeit in Tadschikistan scheint rückwärts zu verlaufen - vom Neuen zum Alten, von der Zukunft in die Vergangenheit: "Hier gibt es keine Zukunft, weder für mich noch für meine Kinder."
Jamshed Kholikov (Duschanbe) unternahm mit einer Gruppe seiner Künstlerkollegen und Bewohnern von Taboschar einen Versuch, jene "Zukunft in der Vergangenheit" in Form des lokalen Erinnerungsmuseums zu bewahren, das sie im Kulturhaus der Stadt schufen. Das Museum ist etwas ganz anderes als ein konventionelles örtliches Geschichtsmuseum mit dem formalen Bericht über heimische Errungenschaften und ideologischen Mist, nämlich eine Multimediainstallation, inspiriert von persönlichen Geschichten und lokaler Mythologie, gesammelt von Künstlern in Interviews und Gesprächen mit den Einwohnern von Taboschar. Das Installations-Museum ist Stadt-Kasten genannt worden. In der Sowjetzeit sind Taboschar und viele andere Siedlungen dieser Art nicht auf den allgemeinen Karten verzeichnet gewesen, und statt mit ihrem Namen wurden als Postkasten Nr. … bezeichnet.
Das neue Museum wird von den Künstlern und ihren örtlichen Mitarbeitern nicht nur als eine Raum für die Aufrechterhaltung und Konservierung von Erinnerung angesehen, sondern auch als ein aktiver öffentlicher Raum, der auf gewisse Weise der lokalen Gemeinschaft zurückgegeben wird. Jamshed Kholikov will dieses Projekt weiterführen, indem er in Zusammenarbeit mit dem Kulturhaus in Taboschar ein regelmäßiges Aufenthaltsprogramm für Künstler, Kuratoren und andere Kreative startet.
Das globale und zentralisierte Emanzipationsprojekt in Zentralasien scheiterte, und nur wenige lokale, von seinem Pathos inspirierte Enthusiasten unternehmen höchstwahrscheinlich verzweifelte Versuche, seinem Zerfall zu staubigen Ruinen neue Werte hinzuzufügen und zu bewahren. Die Vergangenheit, die dereinst die Zukunft gewesen ist, zu bewahren und zu aktualisieren, ist kein einfaches Unterfangen, aber vielleicht wird es seine Komplexität erlauben, zumindest den Zugang zur Gegenwart zu finden.
Georgy Mamedov
* 1984. Kurator der Plattform SHTAB (Schule für Theorie und Aktivismus - Bischkek). Lebt in Bischkek, Kirgisistan.
Künstler und/in Community
Ein Projekt über das sowjetische Erbe in der heutigen Realität Zentralasiens, begonnen im August 2010. Mit Künstleraufenthalten in kleinen Städten Kirgisistans und Tadschikistans.
Kurator: Georgy Mamedov
20 Künstler aus Kirgisistan, Tadschikistan, Kasachstan, Usbekistan, Russland, Iran, Kolumbien.
Veranstalter: