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Internationale künstlerische Fortbildung bei Ashkal Alwan in Beirut mit Dozenten aus aller Welt.
Von Kaelen Wilson-Goldie | Jan 2012Am 14. September 2011 betraten vierzehn Studenten ein Gebäude am östlichen Stadtrand von Beirut und fanden dort über zweitausend Quadratmeter sanierten Fabrikraum vor, die es wert waren, damit zu spielen - und es wurde für die nächsten elf Monate ihrer. Es gab da eine Bibliothek (ein ziemliches "work in progress"), einen Leseraum, einen Schneideraum, eine sogenannte "schmutzige Kiste" für Malerei und Skulptur, Unterrichtsräume, Bereiche für Zusammenkünfte und Filmvorführungen. Die Büros für die Verwaltung lagen noch über der Etage, auf der jahrzehntelang Möbel gefertigt worden sind. Was zu Atelierraum wurde, war groß genug, um mit dem Fahrrad weite Achten zu fahren, was einige Studenten tatsächlich taten. Eine großformatige Skulptur des Künstlers Marwan Rechmaoui aus Leitungsrohren, das Überbleibsel einer Ausstellung achtzehn Monate vorher, erstreckte sich von einem Ende bis zum anderen wie eine Requisite oder ein Katalysator einer noch nicht ausgeformten Idee.
Alle Studenten waren Künstler, und viele von ihnen stellten ihre Werke bereits seit einigen Jahren aus. Die meisten kamen aus dem Ausland - aus Ägypten, Palästina, Jordanien, Italien, Frankreich oder den USA - aber in den Tagen vor der informellen Einweihung der Räumlichkeiten hatte keiner von ihnen, nicht einmal diejenigen, die ihr Leben lang im Libanon gelebt hatten, irgendeine Vorstellung davon, auf was genau sie sich eigentlich einließen. Sie waren - und sind es noch - die Versuchskaninchen, die erste Klasse des Home Workspace Programms von Ashkal Alwan, einem gebührenfreien, mit keinem Diplom abschließenden Experiment der künstlerischen Ausbildung, das gleichermaßen Inkubator, lebendiges Archiv, Forschungseinrichtung und Produktionsfonds ist. Obwohl es sich weder um ein Aufenthaltsprogramm, noch um einen der üblichen MFA [Master of Fine Arts] handelt, ist das Programm nichtsdestotrotz grundlegend pädagogisch, mit gleicher Gewichtung von Studium und Atelier. Jeder der Involvierten verweist darauf, dass in diesem Jahr nicht nur die Studenten, die zumeist als Teilnehmer bezeichnet werden, sondern auch die Mitarbeiter, Spender, Berater, Gast- und Stammlehrkräfte Versuchskaninchen sind.
Ashkal Alwan, förmlicher bekannt als die Libanesische Assoziation für Bildende Künste, begann 1994 lediglich mit einem Büro. Anfangs ging es der nicht-kommerziellen Organisation - gegründet von Christine Tohme, Marwan Rechmaoui, Rania Tabbara, Mustapha (Zico) Yamout und Leila Mroueh - vor allem darum, zeitgenössische Kunst in den öffentlichen Raum von Beirut zu bringen. Projekte in den Sanayeh und Sioufi Gärten, an der Corniche [Uferstraße] und auf der Hamra Straße kamen zu einer Zeit zustande, als Debatten über den Wiederaufbau der Stadt nach dem Krieg hitzig, intensiv und relativ ergebnisoffen geführt worden sind - bevor der Ausverkauf und die Wiederherstellung des Stadtzentrums durch das private Immobilienunternehmen Solidere zu einer traurigen, unumstößlichen Tatsache wurde.
2002 veranstaltete Ashkal Alwan das erste Home Works Forum für Kulturelle Praktiken, das die aktuelle Kunstszene von Beirut erfolgreich zur Welt hin öffnete. "Viele Jahrzehnte haben wir nur im Westen produzierte Bücher, die wir für geeignet hielten, ins Arabische übersetzt," schrieb Tohme, Direktorin von Ashkal Alwan, damals. "Wir hießen nur jene willkommen und lasen sie, die mit unserer Sache sympathisierten." Das Home Works Forum war tatsächlich ein Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber jenen verstreuten Intellektuellen, die solche Mutmaßungen und Trennungen überwanden, und eine Einladung an sie, hierher zu kommen, ihre Arbeiten zu präsentieren, ihre Ideen zu diskutieren und dazu beizutragen, die "Fragen, die gestellt werden müssen", herauszufinden.
Als im April 2010 die fünfte Ausgabe des Home Works Forum stattfand, hatte Ashkal Alwan ein kleines Büro und zog dann in größere Räumlichkeiten um. Die Organisation überstand allerlei regionale Umbrüche, von der zweiten Intifada in Palästina und der von den USA angeführten Invasion im Irak bis zur Ermordung des früheren libanesischen Premierministers Rafik Hariri und allem, was danach passierte. Tohme ist zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre mit der Planung einer dauerhafteren Einrichtung - einer Schule - beschäftigt gewesen, die nicht nur die Tatsache deutlich machen würde, dass Ashkal Alwan zu einer funktionierenden, wenn auch weiterhin flexiblen Institution herangereift war (mit einem Beirat, einem Beraterstab für die Lehrpläne, Mitarbeitern und einem Technikerteam), sondern auch einen grundlegenden Übergang vom urbanen zum zivilgesellschaftlichen Raum bedeutet.
Das Home Workspace Program ist in vieler Hinsicht ein Test. Es begab sich in eine Lücke gescheiterter Staatsgebilde, untauglicher Bildungssysteme, dem Fehlen öffentlicher Dienstleistungen und dem Bankrott lange aufrecht erhaltener, endlos unterhöhlter Ideologien. Kann die Schule zu einer Zeit, in der es für einen aus Europa kommenden Studenten viel leichter ist, ein Visum zu bekommen, als für einen aus Ägypten (und trotz der rhetorischen Einigkeit der arabischen Welt in der Palästinenserfrage ist es für einen Studenten aus Palästina nahezu unmöglich), überhaupt ein Zentrum des Lernens und kritischen Denkens sein, das Beirut, Libanon und der arabischen Welt in dieser Hinsicht dient? Kann sie ein Laboratorium nicht nur für Innovationen in der zeitgenössischen Kunstpraxis, sondern auch für gehaltvollere Erfahrungen von Bürgerrechten und zivilgesellschaftlichem Engagement sein? Kann sie eine Gemeinschaft mobilisieren, um von ihr Unterstützung zu bekommen, und zwar langfristig, Jahr für Jahr?
Vor einigen Jahren ging Christine Tohme auf Drängen des Künstlers Tony Chakar zu einem Vortrag des Architekten Youssef Tohme (sie sind nicht miteinander verwandt) an der Académie Libanaise des Beaux-Arts. Sie war beeindruckt, und da sie sich die Fabriketage schon mietfrei gesichert hatte (eine Spende der Association Philippe Jabre), fragte sie ihn, ob er zu einer Umgestaltung der Räumlichkeiten bereit sei. Zuerst lehnte er das ab und sagte, dass er keine Innengestaltungen konzipieren würde. Christine insistierte, und schließlich sagte Youssef zu, machte die Arbeit umsonst und fragte seinerseits: Was soll dort geschehen? Wofür braucht ihr den Raum? Zwei Jahre lang gingen die Fragen hin und her, während Youssef das entwarf und modifizierte, was jetzt so erscheint, als sei es nur eine ganz minimale architektonische Intervention gewesen, doch tatsächlich handelt es sich um eine unglaublich umfassende Instandsetzung, durch die eine hoch modulare Ausstattung zustande kam, wo jedes Detail maximiert zu sein scheint, um die Möglichkeiten der Studenten zu multiplizieren und den Raum mit der Straße und der Stadt dahinter zu verknüpfen.
Für den ersten Kurs gingen über 200 Bewerbungen ein. Emily Jacir, die erste ständig anwesende Dozentin, entwickelte ihren Lehrplan ausgehend von den Vorschlägen der vierzehn ausgewählten Studenten. Ihr Programm konzentriert sich auf Schlüsselwörter und Studienabschnitte: Aufstand, Revolution, postkoloniales Erbe, traumatische Orte, unterdrückte Geschichten, Gauner, Troubadoure und Strategien des Widerspruchs. Im ersten Monat vertiefte man sich in die Beschaffenheit von Beirut selbst, mit Workshops lokaler Künstler, Architekten und Kuratoren wie Akram Zaatari, Rami Daher und Mirene Arsanios. Der Filmexperte Kamran Rastegar leitete ein sechswöchiges Seminar über postkolonialen Film, gefolgt von Workshops der Künstler Alfredo Jaar und Willie Doherty. Bis zum Abschluss des Kursjahres werden die Studenten sechs weitere Sitzungen absolvieren - u.a. mit Hito Steyerl, Hassan Khan und Lina Saneh - und dann im Juli dem Publikum die Projekte, an denen sie in dieser Zeit gearbeitet haben, mit einem Katalog und einer Ausstellung im Stile offener Ateliers präsentieren.
Die Idee ist, dass jedes Jahr ein anderer Resident-Dozent einen neuen Lehrplan für die ankommende Klasse konzipiert, die auf etwa fünfzehn Studenten begrenzt sein wird. Es gibt keine geographischen Quoten, aber das Hauptaugenmerk gilt durchaus Künstlern aus der arabischen Welt. Auch hinsichtlich der Disziplinen gibt es keine Beschränkungen, so dass das Programm offen für visuelle und darstellende Künstler, Filmemacher, Kritiker, Kuratoren und andere mehr ist. Zusätzliche finanzielle Unterstützung wird für die Unterbringung oder als Mietzuschüsse für aus dem Ausland nach Libanon kommende Studenten angeboten. Doch weil die Schule so neu ist, bleibt der Prozess noch in Veränderung begriffen. Anders als Jacir entwickelte der für 2012-2013 aufgestellte Dozent Matthias Lilienthal (der aus dem Theaterbereich kommt und mit Christoph Schlingensief zusammengearbeitet hat) seinen Lehrplan - mit Modulen zu erdachten Formaten, Intimität und Voyeurismus, der Form der Vortragsperformance sowie Kunst und Technologie - bevor er weiß, wer seine Studenten sein werden (vielleicht besteht die Idee darin, dass sich Bewerber der Herausforderung stellen könnten, auf diese Themen zu reagieren).
Vor nunmehr fast zwei Jahren hielt der Historiker Andrew Ross beim fünften Home Works Forum in Beirut einen Vortrag, in dem es explizit um das Phänomen des Guggenheim Abu Dhabi ging, der aber auch Fragen der Ausbildung einschloss, die zu den vielen und heiklen Themen der Veranstaltung gehörte. "Kunstschulen sind unbändiger als Museen", sagte er. "Sie sind nichts für touristische Stadtpläne. Schäbig gekleidete Freidenker sind kein Verkaufsargument." Was in einem Bildungsunterfangen geschieht, "kann nicht vorhergesehen werden", fügte er hinzu, "und könnte durchaus aufrührerisch sein". Das würde in der Golfregion nicht gut ankommen, aber das Home Workspace Program kann damit wahrscheinlich umgehen und wird so etwas sogar begrüßen.
Kaelen Wilson-Goldie
Autorin, lebt in Beirut. Redaktionelle Mitarbeiterin von Bidoun; schreibt u.a. für The Daily Star, Artforum, Frieze.