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Über seine Videoarbeit Blind Ambition und die Glasskulptur The Knot auf der dOCUMENTA (13).
Von Kaelen Wilson-Goldie | Aug 2012Im Sommer 2011 war Hassan Khan gerade in der Mitte der Laufzeit seiner ersten Einzelausstellung in New York, im Queens Museum, angelangt, als der Kurator Sohrab Mohebbi einen Abend mit Videoscreenings in Alwan for the Arts in Lower Manhattan organisierte, auf die ein Gespräch mit dem Künstler folgte. Khan lebt und arbeitet in Kairo, und er reist viel, um sein Werk zu realisieren und auszustellen. Deshalb konnte er zu dieser Veranstaltung nicht nach New York kommen, sondern skypte von zu Hause aus, am frühen Morgen groggy vom Schlaf oder von dessen Fehlen.
Im Museum platzierte Mohebbi Khans magistrale, 52 Minuten dauernde Vierkanal Videoinstallation The Hidden Location (2004) im Dialog mit einer Auswahl aus Lust (2008), einer Serie von 50 scheinbar zufälligen Alltagsbildern, die Khan mit der Kamera seines Mobiltelefons aufgenommen hatte und die irgendwie evokativ als "fotografische Miniaturen" beschrieben sind. Nach der Eröffnung führte Khan auch The Big One (2009) auf. Das einstündige Konzert baut auf eindeutigen Elementen der New Wave Shaabi-Musik auf, einem von Khan verehrten Genre, sowie auf Aufnahmen mit Studiomusikern in Kairo. Zum Teil soll damit die Popularität eine Musikstils hinterfragt werden, der düster, grob und zugleich überaus gefühlvoll ist. Im Screeningprogramm präsentierte Mohebbi Transitions (2002) und ein paar von Khans frühen Videoarbeiten aus den späten 1990er Jahren, um einen Eindruck von seiner Arbeitsweise zu vermitteln, ohne dabei retrospektiv zu sein.
In der darauffolgenden Frage-und-Antwort Sitzung wurde nach Khans Interesse für Musik, Film, Erzählung und Fragmentierung gefragt. Und dann kam die Frage, die gerade mal sechs Monate nach dem Beginn der Demonstrationen auf dem Tahrir Platz, die letztendlich zum Sturz der Diktatur von Husni Mubarak führten oder den Diktator wenn nicht gar den Rest seines Regimes zumindest verdrängten, vielleicht unumgänglich war.
Was dachte Khan über die Revolution und wie ging er damit in seinem Schaffen um? Das zumindest schien die Frage gewesen zu sein, die von einer jungen Frau so überaus höflich formuliert gestellt wurde, dass wir alle in dem kleinen Raum im Zweifel blieben, ob dies tatsächlich das war, was sie mit der Beziehung zwischen seinem Werk, einem kürzlich stattgefundenen Ereignis und dem Kontext, in dem er zu Hause ist, meinte. Doch Khan blieb gelassen, denn anscheinend hatte er mit solch einer Frage gerechnet und eine Antwort parat.
Sein Werk war da "vor dem Ereignis und nach dem Ereignis", sagte er. "Mich interessiert nicht, was das Ereignis ist oder war, sondern wie man sich damit auseinandersetzt. Das bedeutet nicht, seinen Inhalt zu negieren. Aber als ein Künstler überdenke ich meine Arbeitsweise wegen des Ereignisses nicht. Als menschliches Wesen fühle ich jedoch ein großes Bedürfnis, mich öffentlich zu engagieren, aber das war schon immer der Fall. Wie dem auch sei," fügte er anstelle einer überschwänglicheren Antwort hinzu, "arbeite ich an einem Blind Ambition genannten Film, der diese Stimmung haben könnte."
Springen wir zum Sommer 2012, und Blind Ambition ist jetzt fertiggestellt. Das mit den Kameras zweier Mobiltelefone aufgenommene, 47 Minuten lange Video ist schwarzweiß, untertitelt, stumm mit Ausnahme der Momente, in denen seine Darsteller sprechen, und projiziert auf einem einzigen Monitor. Entstanden im Auftrag der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev für die dOCUMENTA (13), wird es derzeit in einem Ausstellungsraum im Untergeschoss der Neuen Galerie in Kassel gezeigt. In diesem dunklen Raum befindet sich Blind Ambition einem weiteren, ganz verschiedenen Werk von Khan gegenüber, betitelt The Knot (2012), einer Skulptur aus Milchglas in der Form eines wie eine Acht gebundenen Knotens.
"Ich wollte diese beiden Arbeiten zusammen haben, weil sie komplett andere Sprachen sprechen," sagt Khan. "Es sind separate Werke. Ich wollte sie zueinander in Beziehung bringen. In Blind Ambition geht es um die Konditionen materieller Kultur. The Knot ist ziemlich entfernt von diesen Konditionen und hat mit Form zu tun. In meinem Schaffen interessieren mich immer diese beiden Pole und wie sie miteinander zu tun haben."
Auf vielfache Weise baut Blind Ambition auf den Beweggründen von drei früheren Werken auf: Conspiracy (dialogue/diatribe) von 2006, das Konversation als künstlerisches Material, als ein Medium seiner selbst behandelt; Muslimgauze R.I.P. (2010), das einen spezifischen Moment erfasst und ihn festhält; und The Hidden Location mit der akribischen Struktur aus sechzehn Kapiteln, die auf vier in einem perfekten Kubus angeordneten Bildschirmen ablaufen.
Blind Ambition zeigt neun Sequenzen, jede davon ist eine soziale Situation an einem öffentlichen Ort. Vier Angestellte einer Werbeagentur halten ein Meeting in einem schicken Café ab. Im Food Court eines Einkaufszentrums analysieren zwei Freunde Verpflichtungen. Weitere zwei Männer erscheinen katatonisch in einem Verkehrsstau. Zwei Mädchen bereden die Unwägbarkeiten von Freundschaft, Loyalität und Betrug, während sie eine Einkaufsarkade entlang laufen. Sechs Jungs spielen Fußball auf einem Grünstreifen zwischen Bahngleisen und der Straße, bis ihr Interesse auf ein verlassenes Auto umschwenkt, das sie fast zerstören. Andere sechs Jungs, etwas älter, streifen über einen Parkplatz und diskutieren Schulden, die drohen, zu einer explosiven Angelegenheit zwischen ihnen allen zu werden. Ein Ladeninhaber tritt auf die Straße hinaus, um einen Telefonanruf zu tätigen und schultert das Gewicht einer nicht spezifizierten Last.
Zwischen den Situationen gibt es Interludien, in denen Formen des öffentlichen Transports erscheinen - Züge, Straßenbahnen, U-Bahnen, Sammeltaxis, Minivans, Kleinbusse, alles Erdenkliche. Was Khan als "blink cuts" bezeichnet, trägt den Betrachter von einer Szene zur nächsten weiter, indem der Rhythmus einer jeden Sequenz beendet und tabula rasa gemacht wird. "Ich möchte, dass es so vieles ist", sagt er, "aber es sollen keine Geschichten über die Stadt sein", ein unter den Angehörigen der zeitgenössischen Kunstszene Kairos verbreitetes Klischee.
Während die Interludien mit der zweiten Kamera aufgenommen wurden, ist das gesamte Bildmaterial der neun Sequenzen mit der ersten gefilmt worden. Der Schnitt als solcher ist in vieler Hinsicht irreführend. "[Er] schafft die Illusion einer realen Zeit, obwohl die Aufnahmen doch aus vielen verschiedenen Momenten über einen längeren Zeitraum hinweg ausgewählt sind," sagt Khan. "Wir haben ein Zeitbewusstsein, das ein fortlaufendes zu sein scheint, [doch es] wird hervorgebracht aus Schnitten, oder Sprüngen und Lücken. Dieses Paradox unterbricht die Aktion vor uns und produziert eine parallele Ökonomie, auf die wir als Publikum uns einlassen können, statt einfach nur zu beobachten."
Das Stück hat eine improvisatorische Stimmung, doch es wurde mit 27 Schauspielern aufgenommen, die Drehbuchszenen vorsprachen, einstudierten, sich genauestens daran hielten und für ihre Zeit bezahlt worden sind. Die Situationen sind Khan zufolge "absolut fiktiv". Doch die Details sind mehr als das. "Ich sehe die Details als Historie. Ich kann diesem Gefühl nicht entgehen." Und wovon die Details handeln - ein Telefon, eine Uhr, Kleidung, ein Akzent, Körpersprache, eine Buchempfehlung, eine Anekdote über einen abwesenden Freund, ein Bild auf dem Display eines Laptops, eine Zigarette vor dem Anzünden mit dem Mund direkt aus der Schachtel nehmen, ein tiefliegender Autositz, rollende Augen, ein altes Lied flüsternd singen - sind die zerfurchten Landschaften und emotionalen Höhen und Tiefen von Klassen.
Blind Ambition befasst sich auf unterschiedliche Weise mit leerem Geschwätz - Klatsch, üble Nachrede, Gerüchte, Anspielungen, Mutmaßungen, Spekulationen, Prahlerei, leeres Getue, Freunde und Kollegen von Angesicht zu Angesicht oder hinter deren Rücken beschimpfen -, was man den Regeln guten Verhaltens zufolge unterlassen sollte. Aber dies sind auch Muster von Umgangssprache, der Stoff sozialer Bindungen, und für Khan ist es die Substanz des Werkes überhaupt. In Bezug auf seine Schauspieler sagt er: "Es ist so, als ob sie jedes Mal, wenn sie reden, die Welt erschaffen würden. Aber diese Welt vereinnahmt sie auch."
Ein paar Tage nach der Eröffnung der dOCUMENTA (13) nahm Khan an einem weiteren Gespräch teil, dieses Mal persönlich, mit Sarah Rifky, einer der achtzehn kuratorialen Agenten von Christov-Bakargiev. Und wieder wurde die unvermeidliche Frage gestellt, dieses Mal etwas expliziter. Welchen Bezug hat sein Schaffen zu diesem Konflikt? "Es ist kein Konflikt", entgegnete Khan. "Es ist eine Revolution."
Als er bedrängt wurde, weshalb er es immer abgelehnt hat, die Kontexte, Hintergrundgeschichten und persönlichen Motivationen offenzulegen, von denen seine eigene Ambition geleitet war, lachte er und sagte: "Weil ich an das Kunstwerk glaube. Das ist mein utopischer Traum, der scheitert. Selbst wenn diese Dinge wahr und wichtig sind, und ich denke, sie sind es, sind sie nicht dazu da, das Kunstwerk hervorzubringen. Die Revolution wird in Blind Ambition nie erwähnt. Es ist so, als wenn sie nie stattgefunden hätte. Es könnte davor oder danach sein, nur ein paar Detail wären anders. Die Leute reden ohnehin die ganze verdammte Zeit über Revolution."
Kaelen Wilson-Goldie
Autorin, lebt in Beirut. Redaktionelle Mitarbeiterin von Bidoun; schreibt u.a. für The Daily Star, Artforum, Frieze.
The Knot. 2012
Glasskulptur
70 x 3 x 6,5 cm
Blind Ambition. 2012
Einkanalvideo, synchronisierte Stimmen
HD-Video, aufgenommen mit Mobiltelefonen
45 Min.
Gezeigt in der
dOCUMENTA (13)
9. Juni - 16. September 2012
Kassel, Deutschland