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Joana Hadjithomas & Khalil Joreige. Projekte von 1997 bis 2012, Ausstellung im Beirut Exhibition Center, bis 20. April 2012.
Von Stefanie Baumann | Mär 2012Gleich beim Betreten des Beirut Exhibition Center, wo die Ausstellung How Soon is Now: A Tribute to Dreamers (Wie bald ist jetzt: Ein Tribut an Träumer) stattfindet, trifft man auf eine riesige Luftaufnahme von Beirut aus dem Jahr 1997. Tatsächlich ist diese Arbeit Circle of Confusion aber ein Puzzle aus 3.000 Bestandteilen. Die Besucher sind aufgefordert, dessen Teile mitzunehmen, um sich Stück für Stück ein Stadtviertel oder eine Uferregion anzueignen. Je löchriger das historische Foto wird, umso mehr kommt der Spiegel dahinter zum Vorschein. Das Bild verändert sich demzufolge ständig durch die davor gerade stattfindenden Bewegungen, aber was am meisten aus diesem zerlegten Mosaik hervordringt, ist das Bild des Betrachters in einer Art invertiertem Blick, wobei man selbst als Betrachter reflektiert wird.
Von Anfang an ist der Besucher deshalb mit einer Komplexifizierung des Raumes und der eigenen Position darin konfrontiert. Durch die fragmentierte Fotografie von Beirut, der libanesischen Hauptstadt, in der die beiden Künstler während der 15 Jahre Bürgerkrieg aufwuchsen und die im Fokus ihrer langjährigen künstlerischen Bemühungen ist, finden sich die Betrachter selbst im Spiel inmitten des Ausstellungsraums wieder. Doch diese Spiegelung kann nur auf Kosten der Ganzheit des originalen Bildes geschehen.
So zerrissen wie die Stadt Beirut zwischen ihren multiplen Vergangenheiten und Zukunftserwartungen ist, bleibt sie weit davon entfernt, leicht erfasst werden zu können. Immer wieder zerstört und neu aufgebaut, offenbart seine architektonische Landschaft eine Vielzahl an heterogenen Spuren unterschiedlicher Zeiten und Ereignisse. Durch die Plakate und Graffiti, die von vergangenen und gegenwärtigen Ideologien zeugen, überlagern immer mehr Bedeutungsebenen diese schon aufgeschichtete Umgebung. Beirut existiert nicht lautet die provokative Notiz auf der Rückseite der Teile, aus denen Circle of Confusion zusammengesetzt ist. "Es existiert doch", schreibt die Kuratorin Mirene Arsanios in ihrem Text zur Ausstellung - aber nicht als ein klar umrissener, greifbarer Raum.
Auf der Rückseite der Wand, auf der Circle of Confusion hängt, ist dessen Entwicklung, das schrittweise Verschwinden der Luftaufnahme, in einem Loop projiziert - Beirut wird ständig dekonstruiert, nur um neu zu erstehen. Der Unterschied in der Wiederholung, von der das Schicksal der Geschichte Beiruts bestimmt ist, wird zu einem wesentlichen Element ihres möglichen Bildes.
Und indem der Status existierender Bilder hinterfragt wird, produziert jedes der in dieser Ausstellung gezeigten Werke irgendwie mögliche Bilder des fragmentierten Beirut. Lebanese Rocket Society: Elements for a Monument (Libanesische Raketengesellschaft: Elemente für ein Denkmal), das neueste der präsentierten Kunstwerke, fokussiert auf einen speziellen historischen Moment und entfaltet diesen in einer komplexen Konstellation, wobei dessen mannigfaltige Auswirkungen erfasst werden: es geht um ein fast vergessenes Projekt, das eine Gruppe von Forschern an der Armenischen Haigazian Universität in den 1960er Jahren unternommen hat. Während die Amerikaner und Russen mit ihrem rasenden Weltraumwettrennen beschäftigt waren, entwickelten diese libanesischen Wissenschaftler die erste Rakete der arabischen Welt. Die Forscher träumten von der Erkundung des Weltraums, doch die bald schon erfolgte Einmischung der Armee führte zu einer gewissen Ambiguität, weil eine Rakete auch als Waffe benutzt werden kann. Das Projekt ist für die Künstler ein Prisma, in dem sich gleichzeitig die Bemühungen einer kleinen Gruppe um wissenschaftlichen Fortschritt, die geradezu romantischen Träume von Freiheit, die angespannte politische Situation des Kalten Krieges und die in der arabischen Welt aufkommenden Ideologien brechen.
Lebanese Rocket Society ist konzipiert als ein Work in Progress, bestehend aus verschiedenen Teilen, von denen einige nicht in der Ausstellung zu sehen sind - wie zum Beispiel die Reproduktion der Rakete Cedar IV in Originalgröße, die der Haigazian Universität geschenkt wurde, und der experimentelle Dokumentarfilm, der erst später im Jahr 2012 Premiere haben wird.
Innerhalb der Ausstellung Wie bald ist Jetzt? ist die Installation ziemlich komplex. Ein Archivfilm auf einem kleinen Fernsehschirm zeigt den Start von Cedar IV, und auf einer langen Wand daneben hängen 32 gleich große rechteckige Fotografien dicht bei dicht. In Gänze betrachtet reproduzieren sie die originale Rakete Cedar IV, wobei jedes Segment nur einen kleinen Teil davon erfasst. Bei näherer Betrachtung offenbart sich, dass die Fragmente keine flachen Abbildungen sind, sondern Volumina, die durch das Falten des gesamten Bildes in 32 Teile entstehen, so dass immer nur ein oberes Segment zu sehen ist und die anderen zwar latent präsent sind, aber verborgen bleiben. Unten auf jedem Fragment reproziert eine Seite von Das Album des Präsidenten (was auch der Titel dieser Fotoinstallation ist) den Start von Cedar IV. In der Nähe zeigt ein Film einen der Forscher, der sich erneut an die Arbeit an diesem Projekt machte. Er blättert in diesem Album, erläutert dabei, wie die Rakete funktionierte, und erweckt vermittels seiner persönlichen Erinnerungen diesen vergangenen Moment wieder zum Leben.
Es gibt auch eine Fotoserie vom Transport der Reproduktion der Cedar IV durch Beirut zur Haigazian Universität. Während die Umgebung der Stadt scharf erscheint, ist die Rakete selbst verschwommen, möglicherweise wegen der Geschwindigkeit, doch ist sie dadurch im Grunde nicht zu unterscheiden von den Raketen, die ganze Viertel der Stadt zerstört haben. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit ist durch die erdachten Konnotationen des Jetzt infiziert.
Eine weitere Arbeit im Zusammenhang mit diesem Projekt ist Ein Teppich, bestehend aus einem 5,5 x 3 m großen Teppich mit dem Motiv einer Briefmarke, die 1964 anlässlich des 21. Jahrestages der Unabhängigkeit des Libanon ausgegeben wurde und die Rakete Cedar IV abbildete. Dieser Teppich hat dieselbe Größe wie ein anderer, den mehr als 400 armenischen Mädchen in den 1920er Jahren webten und dem Weißen Haus als Dank für die Unterstützung ihres Waisenhauses im Libanon durch die Amerikaner anboten. Ebenfalls gezeigt werden einige Reproduktionen von Archivfotos sowie Filme, die diese Prozedur dokumentieren.
Die Goldene Scheibe ist das letzte Element im Kontext von Die Libanesische Raketengesellschaft. Dabei handelt es sich um die Projektion einer sich fortwährend drehenden Scheibe auf den Fußboden. An der Wand hängt eine Zeitschiene mit den Nummern der Sounds, die in demselben Raum ertönen: Satellitengeräusche, Alphabete in verschiedenen Sprachen, ein Kaak-Verkäufer, eine Rede von Präsident Nasser 1967, etc. Diese heterogenen Tracks sind ein Echo des Soundmilieus der 1960er Jahre - nicht nur Töne des Alltagslebens oder des Enthusiasmus von Wissenschaftlern für ihre Entdeckungen, sondern auch die politische Atmosphäre von Hoffnung im Pan-Arabismus. Ist mit der Voyager Golden Record, die von den Amerikanern als Zeichen des Lebens auf der Erde ins Weltall geschickt wurde, der Sound jener Epoche uns selbst völlig fremd geworden?
Neben diesen neueren Werken werden im selben Raum auch ein paar ältere Projekte präsentiert, wobei ein intimer Dialog zwischen all diesen Arbeiten entsteht. Anhaltende Bilder und 180 Sekunden anhaltende Bilder besteht aus einem Super-8-Film aus dem Besitz von Joreiges Onkel, der während des Bürgerkriegs verschwunden ist, und den individuellen Drucken seiner 4500 Einzelbilder. Man kann auf den bleichen Bildern kaum etwas erkennen: von Zeit zu Zeit lässt sich plötzlich eine geisterhafte Erscheinung ausmachen. So wie in Circle of Confusion sieht sich der Betrachter einer Art Puzzle gegenüber, aber hier ist es aus Augenblicken komponiert, räumlich ausgebreitet, um ein Tableau von Zeitbildern zu formen. Auch in Latente Bilder geht es um unentwickelte Aufnahmen, in diesem Falle des Fotografen Abdallah Farah. Statt der Fotografien kann man Bilder der noch nicht entwickelten Filmrollen und 38 schwarze Abbildungen sehen, die Kontaktabzügen mit Beschreibungen dessen ähneln, was auf den Fotografien zu sehen gewesen wäre.
Zwei Filme werden auf Fernsehschirmen gezeigt: Barmeh/Rounds mit Rabih Mroué in der Hauptrolle, der mit dem Auto durch Beirut fährt und dabei über die Stadt redet, die völlig überbelichtet und deshalb nicht erkennbar ist. Sein Reden und der Sound aus dem Radio beziehen sich auf die Umgebung, aber diese bleibt nichtsdestotrotz imaginär, unreal, nicht greifbar.
Don’t Walk geht auf eine persönliche Erfahrung der beiden Künstler zurück: 1999 war Joana Hadjithomas wegen einer gefährlichen Schwangerschaft mehrere Monate an das Bett gefesselt. In dieser Zeit filmte sie ihre intime Umgebung, während Khalil Joreige die Welt draußen filmte und sie ihr so ans Bett brachte.
Bestiaires und Equivalences sind Fotoserien von in Beirut aufgefundenen Spuren. Bestiaires zeigt solche Materialdetails wie Metallstücken oder Überbleibsel zerstörter Autos. Diese erscheinen merkwürdig vertraut, phantasmagorisch - Assoziationen an Tierformen kommen auf, eröffnen ein nahezu surrealistisches Verständnis der Umwelt; die Nähe zu Brassais Unfreiwilligen Skulpturen ist offensichtlich. Equivalences präsentiert auf eine eher verwirrende Weise baufällige Behausungen in Beirut; die Komposition lässt das Bild fast abstrakt erscheinen.
How Soon is Now: A Tribute to Dreamers beleuchtet verschiedene Aspekte von Beirut, seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Vergangenheit, so wie sie in der Gegenwart wahrgenommen wird, wobei durch mögliche Bilder und Formen verschiedene Zeiten miteinander verweben und Realitäten ineinander greifen und dabei einen Zugang zu den darin enthaltenen traumhaften, unwirklichen Elementen eröffnen. "Sollte Erwachen die Synthesis sein aus der Thesis des Traumbewusstseins und der Antithesis des Wachbewusstseins?", fragte Walter Benjamin in Das Passagenwerk. "Dann wäre der Moment des Erwachens identisch mit dem 'Jetzt der Erkennbarkeit', in dem die Dinge ihre wahre - surrealistische - Miene aufsetzen."
Stefanie Baumann
Professorin für Kunstphilosophie an der Libanesischen Akademie der Schönen Künste. Lebt in Beirut und Paris.
Die Ausstellung wird präsentiert von Ashkal Alwan und dem Beirut Exhibition Center
Kuratiert von Ashkal Alwan
Assoziierte Kuratorin: Mirene Arsanios
Das Künstlerpaar erhielt den Abraaj Capital Art Prize 2012. Ihre Arbeit wird während der Art Dubai vom 21. bis 24. März 2012 in Madinat Jumeirah, Dubai, gezeigt
Weitere Ausstellung:
Lebanese Rocket Society: Teile III, IV, V
18. März - 19. April 2012
The Third Line, Dubai
How Soon is Now: A Tribute to Dreamers
28. Februar - 20. April 2012