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Learning by Heart. Erste Einzelausstellung der libysch-kanadischen Künstlerin. The Third Line’s Project Space, Dubai.
Von Valerie Behiery | Nov 2012Learning by Heart (Auswendiglernen) im Projektraum der Galerie The Third Line in Dubai ist die erste Einzelausstellung der jungen libysch-kanadischen Künstlerin Arwa Abouon. Sie bedeutet auch so etwas wie eine Rückkehr. Nach einem frühen Erfolg und sich anbahnender Karriere nahm die Künstlerin eine dreijährige Auszeit, um sich anderen Dingen zu widmen. Doch seit ihre Begeisterung für die künstlerische Tätigkeit zu Beginn dieses Jahres wieder auflebte, hatte sie neuerlichen Erfolg, sowohl hinsichtlich des Produzierens von Kunst als auch der Einladungen, diese auszustellen. Gegenwärtig nimmt sie an der Ausstellung teil, die das Institut du monde arabe in Paris fünfundzwanzig Jahren arabischer Kreativität widmet. Im Frühjahr 2013 wird Abouons Schaffen im ZKM in Karlsruhe zu sehen sein.
Ausstellungskoordinatorin Dina Ibrahim schwärmt von der neuen Schau und betont, "The Third Line ist begeistert, dass Arwa, eine Künstlerin mit so passionierter Anhängerschaft in der Region und auch international, in unseren Ausstellungsraum zurückgekehrt ist". Ibrahim beschreibt Learning by Heart als "die thematische Fortsetzung ihrer früheren Serien in dem Bemühen solche abstrakten und schwer fassbaren Angelegenheiten wie menschliche Emotionen und insbesondere Glauben darzustellen" und konstatiert auch treffend eine neue "Reife und Tiefe hinsichtlich des Themas und der formalen Umsetzung".
Die Ausstellung in Dubai setzt auf vielfältige Weise dort an, wo die Künstlerin aufgehört hatte, und enthält auch wieder ein starkes autobiographisches Element, den Einsatz von Familienmitgliedern als Modellen und das Medium der Fotografie. Doch die Bilder lassen neuen Ernst und Zurückhaltung sowie eine komplexere Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Anblick, Darstellung und Wissen erkennen. Die Ausstellung ist klein, sie besteht nur aus drei vielteiligen Werken.
Mirror, Mirror, Allah, Allah ist ein Farbfotografie-Diptychon, in dem dieselbe Szene der in einen Spiegel blickenden Künstlerin wiederholt wird, wenn auch umgekehrt. Die Bilder sind minimalistisch, zu sehen sind nur die Wände und der Boden sowie die Künstlerin und deren Reflektion im Spiegel. Im Bild rechts trägt Abouon das weite weiße Gewand, das manche muslimische Frauen vor dem Beten anlegen. In dem verzierten ovalen Spiegel wird die Künstlerin jedoch unverschleiert reflektiert, bekleidet mit einem einfachen schwarzen Woll- oder Baumwolloberteil. Auf der linken Fotografie sind die Position der Figur und des Spiegels wie in einem realen Spiegel invertiert. Abouon trägt nun schwarze Jeans und Oberteil, während sie in ihrem Spiegelbild weiß verschleiert erscheint. Auf beiden Fotografien blickt die im Profil gezeigte Künstlerin in den Spiegel und nicht zum Betrachter hin. Es ist nur diese nicht zusammenpassende Spiegelung - das Bild in und außerhalb des Bildes -, die den Blick des Betrachters auf sich zieht und fesselt.
Wie in früheren Arbeiten, dienen bewusste visuelle Einfachheit und Humor dazu, ein auf den Islam bezogenes Thema anzugehen. Hier wird das Zeichen des Schleiers durch die Inszenierung einer berühmten Märchenszene, in der es um kulturelle Erwartungen weiblicher Schönheit geht, uminterpretiert. Abouon, die zu einer Minderheit zeitgenössischer Künstler gehört, die sich als praktizierende Muslime zu erkennen geben, erläuterte, dass die Arbeit durch ihre eigene Beziehung zum Hidschab und ihren Wunsch, diesen vielleicht auch irgendwann zu tragen, veranlasst ist. Während das anfängliche Lachen, das dieses Werk provoziert, die heftigen Debatten über den Schleier zerstreut, geht Mirror, Mirror, Allah, Allah über Fragen der Kleidung, des Verhüllens und des "Wer ist die Schönste im ganzen Land?" hinaus. Dem Diptychon ist eine Besorgnis erregende, sogar traurige Dimension zu eigen. Dem Betrachter stellt sich eine Reihe unbeantworteter Fragen. "Ist ein Bild real?", "Kann ich dem vertrauen, was ich sehen?" oder "Ist Sehen zugleich Wissen?" Die neue Ungewissheit hinsichtlich visueller Darstellung und Selbstdarstellung, die in dem Diptychon präsent ist, wird noch stärker, wenn man es mit früheren Arbeiten voller Gewissheit über die Beständigkeit des Blicks und der Materialität vergleicht.
An der Wand gegenüber von Mirror, Mirror, Allah, Allah ist Silent Sight ist eine Installation aus vier monochromen Leinwänden und je einer Fotografie an beiden Enden der Reihe zu sehen. Auch diese hinterfragt die Viabilität von Vision und visueller Darstellung als vom Wissen abhängige Formen. Die Schwarzweißfotos sind Nahaufnahmen des Vaters der Künstlerin. Die Augen im Gesicht des älteren Mannes, weicher gezeichnet durch seinen weißen Bart, sind geschlossen, so als würde er auf etwas hören. Er hält seine runzeligen Hände hinter die Ohren, oder im Gegensatz dazu im anderen Bild vor den Mund. Die Bilder evozieren den Beginn und den Abschluss des muslimischen Gebets, entfalten ihre Wirkung jedoch ohne diesen spezifischen kulturellen Bezug. Die Verbildlichung von Bikulturalität, in der visuelle Kraft und Schönheit Übersetzung ermöglichen, ist charakteristisch für Abouons Kunst. Die vier Leinwände, die von weiß zu schwarz changieren und den Weg von der einen Fotografie zu der anderen markieren, enthalten rätselhafte Wörter oder Sätze. "I hear you" und "I am everything and nothing you see" ist auf zwei davon in Englisch zu lesen, während auf den anderen beiden in Brailleschrift "Mohammed" und "Allah" steht. Dass die einzige ausdrückliche Bezugnahme auf den Islam und islamische Spiritualität derart kodiert ist, hat nicht allein mit dem Thema der Cross-Kulturalität zu tun. Silent Sight, wie der Titel lautet, postuliert die Beschränkung physiologischer Vision und Darstellung. Indem die Arbeit auf eine Erweiterung der visuellen Arena abzielt, um diese mehr als eine Reflexion über erlebte Realität aufzufassen, bringt sie textuelle oder taktile Elemente ein oder, anders ausgedrückt, andere Sinne als die Vision.
Die dritte Arbeit, I’m Sorry / I Forgive You, ist ein Diptychon, das die Eltern der Künstlerin dabei zeigt, wie sie sich gegenseitig die Stirn küssen. In dem erzählerischen Aspekt und dem reicheren, uneingeschränkten Modus der Visualität mögen frühere Arbeiten nachklingen, doch die Inszenierung verdeutlicht größeres Selbstbewusstsein und eine beinahe barockartige Ästhetik. Auf der Fotografie transponierte die Künstlerin verschiedene tesselierende Muster auf die Kleidung der Eltern, den Hintergrund und sogar den Rahmen. Abouon benutzte zwar in der Vergangenheit schon die visuelle Spannung aus miteinander konkurrierenden perspektivischen und flächigen Darstellungsweisen als eine ästhetische Strategie, aber noch nie tat sie das bis zu diesem Extrem. Die Ebene geometrischer Gestaltung im islamischen Stil betont die Szene und verunklärt sie zugleich. Hervorgehoben wird sie, weil sie weil sie die Aufmerksamkeit auf die zwischenmenschliche Beziehung der Eltern zu lenken und ihr Form zu geben scheint, und verunklärt wird sie, weil ihre Op-Art-Effekte es erschweren, den Blick auf den Ehemann und seine Frau gerichtet zu halten. So wie in Mirror, Mirror, Allah, Allah und Silent Sight ist die Künstlerin auch in I’m Sorry / I Forgive You darum bemüht, die Darstellung auszuweiten, um eher das zu integrieren, was gefühlt oder erahnt wird, als das, was man bloß sehen kann.
Nicht zufällig hat Abouon ihre Ausstellung Learning by Heart genannt. Die Gewissheit abbildhafter Bildwelt, die ihr Schaffen so charakteristisch geprägt hat, ist zum Teil durch ein tieferes Verständnis von Vision und Darstellung ersetzt worden und tritt infolgedessen zusammen mit anderen Sinnen und Fähigkeiten auf. Auf der Suche nach der visuellen Transkription von Erfahrung benutzt die Künstlerin eine Vielfalt an Mitteln und Bezügen zu kulturellem, mnemischen, emotionalem und anderen Arten immateriellen Vermögens, die individuelle und kollektive Systeme des Wissens und des Sehens hervorbringen. Es wird tatsächlich interessant sein zu sehen, was als Nächstes kommt.
Valerie Behiery
Postdoktorale Stipendiatin, Universität Montreal. Beraterin und Autorin für visuelle Kunst. Lebt in Montreal, Kanada.
Arwa Abouon: Learning by Heart
24. Oktober - 29. November 2012