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Projekte und urbane Interventionen als poetische Kritik der sozio-politischen Situation Algeriens.
Von Caroline Hancock | Jan 2012Nach ihrer Ausbildung in Kunst und Design an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Algier entwickelte Amina Menia ihre künstlerische Praxis im urbanen Kontext. Mit Strategien des Hervorhebens, diskreten architektonischen Interventionen oder fotografischer Dokumentation hinterfragt sie fortwährend den Zustand des öffentlichen Raums, die Geschichte und Gegenwart eines Ortes, dessen Inbesitznahme und Wiederaneignung. Ihre ortsspezifischen Werke sind oftmals mit langen Prozessen des Austauschs und der Verhandlungen verbunden, wobei sie Lücken und gesellschaftliche Schlupflöcher offenlegt. Da sie an einem Ort, wo man diese Art von Kunst nicht gewohnt ist, auf viele Formen des Widerstands stößt, sind etliche ihrer Projekte bis heute nicht realisiert worden und existieren nur als Konzepte.
Menia hat einen tiefen und allumfassenden Abscheu gegenüber dem Wort interdit - dem französischen Ausdruck für "verboten" -, das ihrer Meinung nach in ihrer Heimatstadt Algier (bis heute ihr Hauptaktionsfeld) überhandnimmt. Ihre Arbeitsweise könnte als eine weiche Militanz bezeichnet werden, denn sie kritisiert systematisch fehlende Freiheit und ideologische Durchdringungen der öffentlichen Sphäre. Chrysanthèmes (2010-2011) ist eine fotografische Dokumentation von verstreut liegenden, verwahrlosten und prachtvollen Monumenten für Märtyrer sowie verschiedener Erinnerungsstelen. L'Age d'or [Das goldene Zeitalter] (das in Form einer Installation, einer Ausstellung und einer Publikation erscheinen wird) bezieht sich auf Sigmund Freuds Forschung in Die Zukunft einer Illusion (1927) und beginnt mit einer Sammlung der in ihrer Umgebung vorherrschenden orientalistischen Bildsprache - Keramikdekorationen in der Stadt, Gemälde, Fotografien, Postkarten - und untersucht, wie und wann dieses spezielle traditionalistische visuelle Erbe daherkam. Menia versucht, eine solche obsessive Nostalgie für vergangene Zeiten zu hinterfragen, weil sie die möglichen Zukunftsprojektionen der Nation weiterhin behindert. Gleichzeitig wird sie die komplexen physischen und mentalen Effekte der Veränderungen von Straßennamen vom Ende der französischen Kolonialherrschaft bis zur algerischen Unabhängigkeit aufzeichnen. Die erklärte Freudianische Absicht besteht darin, eine Analyse der gegenwärtigen Realität zu ermöglichen.
Teile der Serie Extra Muros (2005 - fortlaufend), die - wie schon der Titel erahnen lässt - für Bereiche jenseits der Wände einer Galerie oder einer Institution konzipiert ist, sind ironischerweise an solche Barrieren gestoßen. Umgesetzt werden konnte lediglich temporäres Gitterwerk aus Gerüsten an der Außenseite der Bastion 23, einem restaurierten ottomanischen Gebäude am Fuße der Kasbah (2005). Diese Arbeit bezog sich auf die in diesem Teil der Stadt typischen Gerüste (échafaudage) mit ausgeklügelten Gestaltungen, die Häuser vor dem Einstürzen bewahren. Mit Mauresque, geschaffen 2008 für die Biennale von Pontevedra in Spanien, replizierte sie ein weiteres verbreitetes Architekturelement, das barreaudage (eine algerische Abwandlung des französischen Wortes barreau, was Gitter bedeutet), das sie nach innen gerichtet installierte und mit dem sie auf die gemeinsame arabisch-andalusische Kultur anspielte.
Kapitel 2 ist 2006 für die U-Bahn von Algier konzipiert worden. Diese war zu jener Zeit das, was Menia eine "urbane Legende" nannte: die 1979 in Auftrag gegebenen Bauarbeiten begannen 1982 und dauerten 30 Jahre. Im November 2011 konnte schließlich eine Linie eröffnet werden, doch jahrzehntelang sind lediglich nicht funktionierende U-Bahneingänge im Stadtzentrum zu sehen gewesen. Amina Menias Absicht bestand darin, dieses utopisch anmutende Projekt sichtbar zu machen, indem sie öffentliche Führungen durch die Bahnhöfe mit ihren nicht fertiggestellten Ticketschaltern und Bahngleisen als eine Möglichkeit organisiert, diese unterirdischen und ansonsten nicht zugänglichen Räume zumindest für einen flüchtigen Moment in Besitz zu nehmen. Die mit dem Entscheidungsprozess ermächtigten Offiziellen ließen sich viel Zeit und gaben dann keinerlei rationale Begründung dafür ab, weshalb sie dieses Vorhaben nicht erlauben.
Kapitel 3 ist eine 2007 konzipierte skulpturale Intervention im Jardin d'Essais, einem französisch und englisch gestalteten öffentlichen Park, der den Einwohnern Algiers jahrelang unter dem Vorwand der Renovierung vorenthalten wurde. Der Vorschlag für das Projekt beinhaltete drei Meter hohe Betonplatten sowie Gehwege und Sitze aus verschiedenen Materialien - diese Stadtmöbel sollten quasi unsichtbar sein und neue Perspektiven auf den Raum und damit dessen Neuaneignung anregen.
La Parisienne war früher einmal ein beliebter Ort im europäischen Teil der Stadt und wurde dann zum Gegenstand heftiger Debatten über Grundstückserschließung. Das für das lokale Architekturerbe bedeutsame Gebäude stürzte ein, und die gegenwärtige Baulücke ist Gegenstand großer Auseinandersetzungen. Für Kapitel 4 im Jahr 2008 stellte sich Menia einen Event vor, bei dem sie die verschwundene Form des zerstörten Gebäudes mit Stützbalken andeutet. Der Prozess dieser temporären (Re)Konstruktion sollte gefilmt werden, womit auch eine Bezugnahme auf ähnliche Strategien z.B. von Dan Graham, Hans Haacke oder Gordon Matta-Clark beabsichtigt war. Nach jahrelangen Diskussionen zerschlugen sich alle Hoffnungen 2011 mit der endgültigen Ablehnung. Es gibt derzeit keine Produktion. Es bleibt immateriell. Die Struktur wurde angelegt. Und über die Nachproduktion wird mit ihrem Nicht-Publikum und der Gemeinde an sich debattiert.
Das Überraschende bei solchen Ablehnungen ist die Tatsache, dass die betreffenden Vorschläge offenkundig bescheiden, praktisch, unbedenklich, leicht und zu geringen Kosten realisierbar (bis auf die im Park vielleicht) erscheinen. Aber selbst wenn sie nicht umgesetzt sind, besteht die Arbeit doch hauptsächlich aus der Idee für dergleichen Projekte. Solche Dokumentationen wie die Korrespondenz, Fotografien und Entwürfe existieren, ebenso Menias Geschichten über endlose Verhandlungen und Prozeduren, die bürokratische Ineffizienz oder Machtspiele veranschaulichen. Obschon sich die verschiedenen mit Autorität ausgestatteten Körperschaften, mit denen sie zu kooperieren versuchte, sicher fühlen mögen, weil sie ihre Projekte unsichtbar belassen, ist es eben das, was ihr Schaffen so radikal, hoch relevant und grundlegend macht. Sie hat die Begabung, genau den Punkt zu treffen. Aber die Unmöglichkeiten, auf die sie stößt, sind mit Potenzialen aufgeladen.
Durch wiederholte Fehlschläge hat Amina Menia eine mutige und noch unverstandene Ästhetik der Anklage entwickelt. Trotz ihrer Liebesbeziehung zu ihrer Geburtsstadt und ihrem Heimatland weist sie missbilligend auf blinde Akzeptanz oder sogar Sprachlosigkeit in der Gesellschaft hin und ist deswegen an der Ermutigung zum Wandel beteiligt. Ihre absichtsvollen Gesten und sozialen Brüche sind poetische Kritiken der soziopolitischen Situation in Algeriens Nachkriegszeit. Indem Menia neue künstlerische Gebiete außerhalb der lokalen White Cubes erschließt, kämpft sie unermüdlich gegen jedwede Missstände um sie herum.
In Le Blanc de l'Algérie (Paris, Editions Albin Michel, 1995, S. 145; Deutsch: Weißes Algerien, Zürich 2002) zitiert die Autorin Assia Djebar aus Samuel Becketts The Unnameable (1953; Deutsch: Der Namenlose) ganz treffend: "You must go on, I can't go on, I'll go on." Vielleicht ist das bis auf weiteres auch eine notwendige absurde Litanei für Amina Menia.
Caroline Hancock
Freischaffende Kuratorin und Autorin. Lebt in Paris, Frankreich.