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Obsessiv, zwanghaft kuwaitisch. Mendeel Um A7mad (NxIxSxM), eine multimediale Installation in der Contemporary Art Platform Kuwait.
Von Liane AlGhusain | Mai 2012Die bis zur Unkenntlichkeit verwestlichte kuwaitische Jugend ist auf der ständigen Suche nach Wiedererlangung von Identität. In den letzten Jahren hat die Schaffung einfallsloser, durch Pop Art inspirierter Kunstwerke mit Themen der traditionellen Musiklegende Awad Al-Dokhi gezeigt, dass die Austreibung des westlichen Einflusses aus der kuwaitischen Kultur ziemlich unglückselig ist, wenn sie über die Manipulation westlicher Kunstästhetik versucht wird.
Das kann man von Mendeel Um A7mad (NxIxSxM), einer Multimediainstallation, die im Januar 2012 in der Lagerhalle der Contemporary Art Platform Kuwait gezeigt wurde, gewiss nicht sagen. Die Arbeit von Khalid al Gharaballi und Fatima Al Qadiri ist ein wohldurchdachter Versuch, nicht nur das Wesen kuwaitischer Kultur und Gesellschaft zurückzugewinnen, sondern es voll in Besitz zu nehmen, indem der barocke Chic Kuwaits aus unverdorbener Sicht aufs Feinste kanalisiert wird. Mit der scharfsinnigen Nutzung von Humor, Symbolen, Charakteren und Kostümen begegnet Mendeel Um A7mad (NxIxSxM) der inhärent klaustrophobischen Kaskade von Selbstgewissheit, die einen überkommt, wenn man seinem eigenen Videobild gegenübersteht und derart mit seiner eigenen Kultur konfrontiert ist, die ganze Zeit begleitet vom lachenden Publikum und dessen Kommentaren.
In Gharaballis und Al Qadiris jüngstem Werk Mendeel Um A7mad (NxIxSxM) kommen Nadia, Iqbal, Sarah und Majida zu dem nur Frauen vorbehaltenen Ritual des Chai Dhaha zusammen, einem vormittäglichen Treffen zum Teetrinken und dummes Zeug reden. Die Multimediainstallation besteht aus einem 12-minütigen Film, der im Inneren einer riesigen, 7 x 7 x 30 Meter großen Nachbildung einer Schachtel für Papiertücher projiziert wird. Die Künstler kennzeichnen die Taschentuchschachtel als ein nationales Zeichen Kuwaits - ohne sie würde kein einziger Raum im ganzen Land als bewohnbar gelten. Der überzogene Reinlichkeitstick und das großtuerische Gehabe der Bevölkerung in der Zeit nach dem Ölboom wird scharfsinnig vermittelt durch die Installation der "Hi Tissue"-Box, die von der Nationalen Papiergesellschaft Kuwaits höchstselbst gesponsert wurde. Von ebensolch epischen Proportionen wie der Projektionsraum für Medeel Um A7mad in der gigantischen Taschentuchbox sind die verschiedenen Personen, die in dem 15minütigen, im Loop laufenden Film porträtiert sind - was impliziert, dass deren Gespräch ewig um sich selbst kreist.
Als irakische Frau bietet Majida, die muntere Hostess, einen neutralen Angriffspunkt für die Kritik an Kuwait. Sie befürwortet Mischehen im Interesse genetischer Vielfalt, rühmt europäische Geschichte und Museen und traut sich, eng anliegende Roberto Cavallis zu tragen, die sie Sarah zufolge "wie eine afrikanische Frau" aussehen lassen. Die "Ladies" hänseln Majida wegen ihrer Obsession für Abmagerungstechniken und die Fetischisierung von Blond. Majida kompensiert ihre leichten Abweichungen von kuwaitischen Normen, indem sie zwischendurch solche Sätze wie "oh, wie schändlich" trällert.
In ihrer dunklen Abaya vertritt die an dieser Teerunde teilnehmende Sarah die konservative Seite des Spektrums. Sarahs Standpunkt funktioniert in dem im Kunstwerk wiedergegebenen Gespräch als ein gutes Backboard für Kontroversen. Sie fordert die anderen bei einer Reihe von Themen heraus: deren Vorliebe für Gold, Pailletten und Stickerei, obwohl sie sich solche extravaganten Accessoires nicht leisten können; der neue Trend, Hochzeitseinladungen als SMS zu verschicken; der Hang ihres Sohnes, Frauen aus Thailand mitzubringen - wobei sie ihre Stimme zunehmend verlässt und sie Anginova-Tabletten als ihren pharmazeutischen Talisman anführt. Sie beklagt den schlimmen Zustand von Kuwait, mit all den "boyas" (Lesben) und den extremen Balzritualen. Sarahs Konservativismus (ihr Name ist der traditionellste der vier) bietet die Gelegenheit zu schockieren und sich zu empören, und ihr skatologischer Humor ist unerwartet und irgendwie unangebracht. Es gibt so etwas wie ein Herausplatzen, auf das Sarahs selbstgerechtes Selbst Anspruch zu erheben scheint, und ihre spontanen Einwürfe bewirken Spannung statt Katharsis.
Iqbal ist vielleicht die beste Darstellung der Anspannung in jener Mentalität des "Niemals genug", die der Einstellung der Kuwaitis zum Wohlstand unterliegt. Die Figur der Sportlehrerin an einer öffentlichen Schule ist al Gharaballi zufolge mit einem "seltsamen Minimalismus" ausgestattet, und ihre Kleidung in Übergröße und monochromen Erdtönen ist charakteristisch für die 1990er Jahre. Die hart arbeitende Mutter und Sportlehrerin ist die sympathischste aller Figuren - Iqbal gibt sich größte Mühe, an ihrer Schule "jenen Mädchen hinterherzurennen". Sie nimmt Babynahrung als Teil der Lebensmittelsubventionen der Regierung für kuwaitische Bürger mit nach Hause, obwohl sie keine Babys hat, und sie beteiligt sich an einer Kundgebung in der Hoffnung, die Regierung würde ihr die Darlehen erlassen. Wenn sie zu ihrer Wallfahrt zur Taschentuchbox aufsteht, nimmt Iqbal ihren geschätzten Trainerbeutel mit - es ist ein merkwürdiger Einblick in die Sorgen solch einer verbissen mittelmäßigen und doch anrührenden Figur.
Wenn es an Nadia ist, zur Hi Tissue Box im Zentrum hinüberzugehen, stolziert sie ziemlich gut für einen Mann mit hohen Absätzen. Die anpassungsfähige Nadia konvertierte - zur Technologie. Als die progressivste der vier Frauen ist sie die am meisten abgekoppelte, die das Thema ohne Übergang zu den neuesten Gratisapps für iPhones wechselt und es auf sich nimmt, den Ladies einen Crashkurs über die Wunder von Personalcomputern zu geben. Nadia könnte überall eine wohlhabende Frau sein, von Palm Springs über Hongkong bis Kuwait. Sie rundet die Zusammenkunft von NxIxSxM ab - von der affektierten konservativen Sarah, über die Fußballmutter Iqbal, die Pseudoaußenseiterin Majida bis zu ihr als angehender Technokratin.
Angesichts der authentischen Natur einer jeden Gestalt ist es beinahe nebensächlich, dass männliche Schauspieler alle weiblichen Rollen spielen. Als überaus aufmerksame Männer haben die Schauspieler unbewusst die Redeweise und Ausdrücke der Frauen angenommen, die sie darstellen, und den ureigenen Kern einer jeden Figur herausgearbeitet. Die Schauspieler verkörpern ihre Figuren organisch - ohne Enthaarung oder Zögern. Dies ist eine ästhetische Entscheidung von Gharaballi und Al Qadiri, die erklärten, dass sie nicht den Weg der Satire gehen wollten, sondern es ihnen eher um einen dokumentarischen Stil geht, den sie auf ihre ganz eigene Weise erreichen. Sie bemühten sich, Geschmacklosigkeit zu vermeiden, und das Werk kommt als eine heitere Hommage an die Frauen und die Rituale Kuwaits daher, die bislang weitgehend undokumentiert geblieben sind.
In ihrem vorhergehenden Schaffen haben Gharaballi und Al Qadiri zusammengearbeitet, um Nischensexualität in der Homosexuellenszene von Kuwait zu dokumentieren, einem Land, das so stark von Geschlechterpolitik betroffen ist, dass die heteronormative Dynamik selbst die unklarsten sexuellen Bereiche zu durchdringen scheint. In der WaWa Serie (2011) porträtieren die Künstler die Schnittpunkte zwischen weiblichen arabischen Pop-Ikonen und arabischem Lesbianismus - die Grenze zwischen Schwärmerei und Vergötterung ist verschwommen und vermischt mit der verzehrenden Natur von Sexualität. In der Arbeit ist das Bewusstsein ihrer eigenen Transgression vorhanden, die Fotografie WaWa Complex ist untertitelt "Lass mich leben" im libanesisch-arabischen Dialekt der meisten Pop-Songs.
Die künstlerische Praxis von al Gharaballi und Al Qadiri hebt sich durch den Grad ab, bis zu dem ihr Werk individuellen Charakteren simultan und voll innewohnt. Ihre Arbeit Dragas aus dem Jahr 2009 ist ein Vorläufer des intimen Blicks auf die Dynamik von NxIxSxM (Najla x Iqbal x Sarah x Majida). Die Fotoserie porträtiert Dragqueens, deren Ensembles und Titel und spielt indirekt auf Verknüpfung an, in denen Erscheinungsbild und Fetisch zusammenkommen, lokale auf globale Trends treffen.
In ihrem künstlerischen Statement zu Mendeel Um A7mad [NxIxSxM] erläutern al Gharaballi und Al Qadiri: "Im Gegensatz zu Diwaniya bleibt Chai Dhaha ein weitgehend undokumentiertes Phänomen. Beim Googeln nach den Worten 'Chai Dhaha' (in Englisch oder Arabisch) sind die Ergebnisse unbedeutend, sie erbringen kein einziges Bild, Video oder einen brauchbaren Text." Dank ihrer Bemühungen sowie der von Nadia, Iqbal, Sarah, Majida und der exponentiell großen Persönlichkeiten kuwaitischer Frauen ist das dabei, sich zu ändern.
Liane AlGhusain
Kuratorin, Beraterin, Journalistin, Lehrerin. 2010 Mitbegründerin der Contemporary Art Platform Kuwait. Lebt in Beirut, Libanon.
Mendeel Um A7mad (NxIxSxM)
Multimediainstallation
25. Januar - 9. Februar 2012