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Neue Wege der Kunst Pakistans 1990-2010. Mohatta Palace Museum, Karatschi.
Von Simone Wille | Apr 2011Wie reagiert Kunst auf gesellschaftliche Entwicklungen, auf extremistische Gewalt, auf soziale Ungleichheit? Welche Aussagen werden von Künstlern erwartet, die neben Postkolonialismus und Postmoderne den Stellenwert ihrer Identität stets neu zu positionieren suchen, heute mehr denn je im Sinne geopolitischer Signifikanz? Die Ausstellung The Rising Tide (Ansteigende Flut), kuratiert von der Künstlerin Naiza Khan, unternimmt den Versuch, die künstlerische Entwicklung des Landes anhand der vergangenen zwei Jahrzehnte festzumachen.
Während sich die sogenannte Elite und heranwachsende Mittelschicht im Pakistan der 1990er Jahre mit westlichen Konsumgütern eindeckte, erhielt die arbeitende Klasse jene Kultur am Leben, von der sich die dominierenden Klassen entfernt hatten. Auf der Suche nach der Definition von Kultur unternahmen Künstler anthropologische und soziologische Untersuchungen und traten buchstäblich in die Häuser gewöhnlicher Menschen ein, um das zu finden, was sie als "gelebte Kultur" bezeichneten.
Der künstlerische Austausch abseits herkömmlicher Studiopraktiken und Galerieräume hat die Kunstwelt Pakistans bis heute nachhaltig beeinflusst. Roohi Ahmed´s Installation Mobius Karachi (2010) empfängt den Besucher der Ausstellung gleich im ersten Raum und vermittelt das verhängnisvolle Gefühl, der Komplexität der Stadt Karachi nicht entrinnen zu können. Dieses aus Kartografien geschneiderte und ineinander verstrickte Konstrukt findet seinen Vorgänger in einer Serie von Landkarten (1999). Ahmed zeichnete in diesen Landkarten den Weg nach, den sie täglich mit dem Bus durch die Stadt zur Arbeit nahm. Die Busroute änderte sich beinahe täglich auf Grund lokaler Unruhen und Bandenkriege im ethnisch zerrütteten Karachi der 1990er Jahre. Die Markierungen entlang der weißen Linien weisen auf jene Stellen hin, an denen Attentate verübt wurden.
Film- und Populärkultur
Schon bald eine Ikone der 1990er Jahre geworden und ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist die Arbeit Very Very Sweet Medina (1999) von Durriya Kazi und David Alesworth. Die Arbeit thematisiert Träume und Hoffnungen in Zusammenhang mit Migration und der Suche nach dem perfekten Zuhause. Ein Jahrzehnt später scheint vom heimeligen "Zuhause" nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Hinter Huma Mulji´s glitzernder Fassade der Spiegelskulptur Twisted Logic (2010) verbirgt sich eine zerbrechliche und verletzliche Welt.
Ein weiterer Klassiker der jungen pakistanischen Kunstgeschichte ist die Arbeit Urdu film series (etwa 1990) von Iftikhar Dadi. Sie basiert auf Fotografien des damals einzigen staatlichen Filmkanals, der Urdu-Filme aus den 1960er und 1970er Jahren zeigte. Dadi beleuchtete in diesen Arbeiten, wie die kollektive Formierung einer modernen urbanen Gesellschaft mit den Mitteln des Fernsehens in Gang gebracht wurde. Das Thema Film und populäre Kultur findet sich auch in Ahmad Ali Manganhars Arbeiten. Seine großformatigen Acrylbilder thematisieren vor allem die Brutalität der zeitgenössischen Urdu- und Hindi-Filme, deren moralisches Ziel es ist, Religion, Staat und Gesetz aufrechtzuerhalten. Die technische Vorgehensweise der kommerziellen Plakatmaler aus seinem heimatlichen Sindh dienen ihm als Inspiration - nicht zuletzt auch, um dem malerischen Feinschliff eins auszuwischen!
Dass auch Rashid Ranas Arbeiten unverkennbar vom heimischen Film beeinflusst sind, zeigt seine frühe Arbeit Motia (Jasmine) aus dem Jahr 2000. Er malte Filmszenen in der Art von Farbfilmnegativen, wodurch er realistische Szenen näher an die Zweidimensionalität rückt und sie der Brutalität ihrer Aussagen beraubt. Ein weiterer Verweis auf das Medium Film findet man in den Arbeiten von Mehreen Murtaza. Digital manipulierte Fotografien wie Divine Invasion (2008) präsentieren ein phantasmagorisches Konstrukt, in dem eine übereinander gestapelte Welt auf makabre Weise durch die Last des Fortschritts und der Technologie aufrecht gehalten wird. Man denkt hier an die italienischen Futuristen und an Giacomo Balla, der sich 1912 noch für aufheulende Autos und den universalen Dynamismus begeistern konnte.
Urbane Realität
Arif Mahmood, Karachis bekanntester Fotochronist, arbeitete 2008 mit dem Porträtfotografen Shaukat Mahmood zusammen. Mahmood hielt Einblicke in die Stadt Karachi in doppelter Version fest und lud Shaukat Mahmood ein, immer eines der beiden Bilder mit Wasserfarben zu übermalen. Das Resultat sind eigenständige Farbbilder, die dem Schwarzweißbild eine andere Realität entgegenzusetzen scheinen.
Malcolm Hutchesons Passion, die Technik der alten ruh khitch (spirit pull auf Punjabi) Kamera zu erlernen, hat ihn den Menschen der Stadt nähergebracht. Die ruh khitch Kamera besteht aus einem handgemachten, transportablen Studio. Zeit spielt bei der bis zu vier Sekunden langen Aufnahme eine wichtige Rolle. Die porträtierten jungen Männer scheinen diese Zeit zu haben, während sie in Lahores stark verschmutzten Abwässern eine Auszeit von der unerträglichen Hitze der Stadt nehmen.
Protagonisten der Geschichte
Nationale Geschichtsvermittlung hat in Pakistan einen hohen Stellenwert. Staatliche Autorität, politisch konstruierte und instrumentalisierte Geschichtsschreibung wurden bereits von international erfolgreichen Künstlern wie Bani Abidi thematisiert. Imran Channa geht in der Ausstellung etwas zaghafter an das Thema heran, wenn er in Find the real Jinnah (2009) die Authentizität der offiziellen Geschichte hinterfragt.
Mit einem Verweis auf die Veränderbarkeit von Identität durch simple äußere Eingriffe geht Ayaz Jokhio in Self portrait (2005) ans Werk. 99 haarlose Selbstporträts auf A4-Papier dienen als Ausgangspunkt. Der Eingriff diverser Personen ausgehend von der Anweisung, den Kahlköpfigen mit Haaren zu versehen, ergab ein facettenreiches Portfolio von Porträts, die auf unterschiedliche Herkunft wie auch Alter und Religionen schließen lassen. Und natürlich verweist die Zahl 99 auf die 99 Namen Gottes im Koran, von denen ein jeder für eine Eigenschaft Allahs steht.
Das Thema Stadt
Die Thematisierung des urbanen Raumes ist der bestimmende Faktor in der Ausstellung. Christophe Polack und Asiya Sadiq Polack bieten während der Dauer der Schau sogenannte "mohalla" (Nachbarschaft/Stadtviertel) Touren an, um die Räumlichkeiten des Museums in die Stadt auszuweiten. Dabei werden diverse revitalisierende und konservatorische Stadtprojekte des Teams vorgestellt.
Farida Batool bringt in ihren Linsenrasterdrucken Qadam Qadam Azad (2008, Freiheit Schritt für Schritt) und Ek Shehr Jo Udaas Hai (2010, Eine Stadt ist traurig) die Narben zum Ausdruck, die jahrzehntelange Unruhen im Land hinterlassen haben. Solche Sicherheitsmaßnahmen wie das Leben hinter hochgezogenen Mauern und Schutzzäunen zeugen von der Angst vor Feinden aus dem eigenen Land und von außerhalb.
Abdullah Syeds Installationen lassen noch einmal Mythos und Legende aufleben, reflektieren aber auch Krieg und Terror. The Flying Rug IV (2008) ist ein Konstrukt aus gefalteten US-Dollarscheinen, während The Flying Rug of Drones (2009) aus Metallklingen besteht. Diese fliegenden Teppiche und ihre Schattenwürfe wirken fragil, wenngleich auch bedrohlich in ihrer Doppeldeutigkeit. Sie erwecken das Gefühl, dass sich der Westen noch immer mit der Faszination des Orients auseinandersetzt, während sich der Orient längst seine eigene Meinung über den Westen gebildet hat.
Die Ausstellung präsentiert selbstbewusste Positionen von 43 Künstlern, die kein Blatt vor den Mund nehmen, um politisch und gesellschaftlich brisante Themen anzusprechen.
Simone Wille
Kunsthistorikerin. Autorin des Buches "Modern Art in Pakistan. History, Tradition, Place", veröffentlicht 2014 von Routledge, Neu-Delhi.
Kuratorin: Naiza Khan
The Rising Tide
New Directions in Art From Pakistan, 1990-2010
1. November 2010 - 29. März 2011