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Zweitägiges Lern-Camp für Debatten und Austausch, Hyde Park Speakers’ Corner in London.
Von Rose Issa | Nov 2011Am Freitag, dem 30. September, und am Sonnabend, dem 1. Oktober 2011 wurden die Londoner von zwei bemerkenswerten Phänomenen überrascht: dem heißesten Herbsttag in Großbritannien seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und dem Anblick von Patchwork-Zelten auf dem grünen Areal des Hyde Park, die an jene auf dem Tahrir-Platz in Kairo erinnerten. Dies war der Beitrag der ägyptisch-deutschen Künstlerin Susan Hefuna zu The Edgware Road Project, einer von der Serpentine Gallery entwickelten Initiative, um lokale und internationale Künstler mit Leuten aus diesem geschäftigen Londoner Viertel zusammenzubringen.
Im Mai 2011, im Gefolge der ägyptischen Revolution, führte Hefuna in der Townhouse Gallery in Kairo einen Workshop mit 40 Leuten aus der Stadt durch, darunter Beobachter und Teilnehmer der jüngsten Aufstände. Sie sollten solche traditionellen ägyptischen Zelte wie diejenigen, die einige Demonstranten auf dem Tahrir-Platz errichtet hatten, mit persönlichen Geschichten, Losungen, Mitteilungen über ihre Reaktionen auf diese Ereignisse und ihren Hoffnungen für die Zukunft Ägyptens in Form von Stickereien, Patchwork, Malereien und Illustrationen an den Innenwänden dekorieren. So war z.B. das Kentucky Tahrir Zelt durch den Zorn darüber inspiriert, dass die Regierung behauptet hatte, die Menschen würden nur zum Demonstrieren auf den Tahrir-Platz gehen, weil sie vom örtlichen Kentucky Fried Chicken freies Essen bekämen.
Innerhalb eines jeden Zeltes gab es kleine Monitore, auf denen Videointerviews mit den Teams, die das jeweilige Zelt gestaltet haben, mit Passanten und Demonstranten aller Altersgruppen und sozialer Schichten zu sehen waren. Diese Interviews drückten die ganz persönlichen Gefühle junger und alter, reicher und armer Bewohner, von Straßenkindern und Intellektuellen Kairos aus. Nachdem sie in Kairo ausgestellt waren, sah die Öffentlichkeit diese Zelte dann bei der zweitägigen Veranstaltung an der Hyde Park Speaker’s Corner - einer signifikanten und symbolischen Stelle, denn dieser Teil des Parks ist seit Jahrhunderten der Ort für öffentliche Meetings, Debatten und den Austausch von Ideen.
Die Aktivitäten während der zwei Tage waren jedem zugänglich. Besucher aus der Gegend, Touristen und zufällig vorbeikommende Spaziergänger mischten sich mit Schulkindern, Studenten, Musikern und bekannten Persönlichkeiten, um auf riesigen, mit anregenden Sprichwörtern und Zitaten bestickten Kissen auszuruhen, sich die Videointerviews in den Zelten anzuschauen, dem Sound der Installation zu lauschen, Tanzdarbietungen von Studenten in von Hefuna entworfenen Kostümen zuzuschauen, einen Wunsch auf ein Band zu schreiben und dieses an qafas (korbähnliche Strukturen aus Palmholz) zu binden, die von Kairo nach Alexandria geschickt und dann nach London verschifft worden sind, um dort mit solchen handschriftlichen Wünschen auf Stoffbändern geschmückt zu werden. Kleinere qafas dienten den Besuchern als Sitze und Tische. Da Melodien ägyptischer populären Musik - einschließlich von Om Kalsoum und Amr Diab - die Luft erfüllten, ließen sich viele Passanten sogar auf einige spontane Tänze ein.
Zur gleichen Zeit wurde ein Bildungscamp für Kinder abgehalten, und es gab eine freie Tombola mit in Ägypten handgefertigten Preisen wie kleinen Spielzeugzelten, traditionellen Aroussa-Puppen ("kleine Bräute), ägyptischen Fahnen und T-Shirts mit "I Love Egypt" Slogans in Arabisch und Englisch. Die Atmosphäre war wundervoll festlich, der Park eine perfekte Kulisse für die traditionellen Farben, von den Khayamiyyin (Zeltmacher und Patchwork-Künstler) üblicherweise verwendet während Ägyptens Mawlid, dem jährlichen Festival, mit dem die Geburtstage solch historischer religiöser Figuren wie Sufi-Heiligen und anderer heiliger Männer gefeiert werden (wodurch es weniger religiös und mehr heidnisch zugeht, mit Musik, Tanz, Essen und Trinken).
Hefuna widmete die Veranstaltung dem ägyptischen Volk und stellte erfolgreich eine Verbindung zwischen dem allgemeinen Publikum in London und dem auf dem Tahrir-Platz (Platz der Befreiung) in Kairo her. Sie lieferte den Beleg dafür, wie unterhaltsam und bewegend solch eine Interaktion zwischen Kunst und dem allgemeinen Publikum sein kann. Es war auch ein Erfolg für die Serpentine Gallery, die The Edgware Road Project initiiert hatte. Die Serpentine wird von zwei wundervoll aufgeschlossenen Kuratoren, Hans Ulrich Obrist und Julia Peyton-Jones, geleitet, die das Experimentieren und den Austausch von Ideen mit Künstlern aus aller Welt pflegen. The Edgware Road Project ist Teil ihres Forschungsprogramms, basierend auf dem Centre for Possible Studies, dem Ort für Screenings, Veranstaltungen und einem fortlaufenden Projektarchiv.
Hefuna hat mit diesem Centre fast drei Jahre auf den verschiedenen Stufen des Projekts zusammengearbeitet: die erste war die Serie ihrer Schwarzweißfotos von London Little Cairo Postcards, die zwei Jahre lang in Kairo und London verteilt und zwischen beiden Städten verschickt worden sind. Die nächste Stufe war eine Vorführung von vier Videos, die sie von dem Treiben auf der Edgware Road selbst aufzeichnete. Sie filmte die Videos mit in Fenstern von Wohnungen entlang der Edgware Road versteckten Kameras, wobei jeweils 100 Minuten ungeschnittene Aufnahmen von Kreuzungen am Restaurant Al Arez, gegenüber dem Waitrose Supermarkt, an der U-Bahnstation Edgware Road und am Church Street Markt entstanden. Ein ähnliche Technik benutzte sie einige Jahre zuvor für ihre Videos Life in the Delta und Cairo Crossroads. Die Edgware Road Videos wurden in der Townhouse Gallery in Kairo auf Monitoren gezeigt. Vier Videomonitore waren in Cafés oder Schaufenstern von Geschäften Kairos aufgebaut, wo sie von Anfang Dezember 2010 bis Mitte Januar 2011 Tag und Nacht liefen.
War eine so kurze Veranstaltung die viele Arbeit über all die Jahre hinweg und die Einbeziehung so vieler Menschen wert? Hefuna zögert nicht, dies zu bejahen. Sie sagte, interessant seien der Weg, die Recherche, die Treffen, die Gelegenheiten zur Zusammenarbeit, die Freuden und Irrtümer bei einem solchen Projekt gewesen - denn das sei es, was eine Künstlerin wachsen lässt. Als ich sie nach ihrem "Plan B" für den Fall, dass es regnet, fragte - was in London durchaus normal ist -, meinte sie, sie hätte nie über einen Plan B nachgedacht. Was für ein fantastisches Vertrauen und wie wunderbar, dass ihr nicht nur Ägypten, sondern sogar das Wetter in London gewogen gewesen ist.
Rose Issa
Kuratorin, Kunstkritikerin, Autorin; spezialisiert auf bildende Kunst und Film aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Lebt in London.
in Kooperation mit der Townhouse Gallery, Kairo, Ägypten
Susan Hefuna:
'I Love Egypt', Speak out!
30. Sept. - 1. Okt. 2011
Speaker’s Corner
Hyde Park, London
Veranstaltet von