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Zeitgenössische Kunst Libanons des 21. Jahrhunderts. Ausstellung im Beirut Exhibition Center.
Von Kaelen Wilson-Goldie | Jun 2011Eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu organisieren, die benannt nach, inspiriert durch oder repräsentativ für einen Nationalstaat ist, wäre überall auf der Welt ein heikles Unterfangen. In einem so widerspenstigen und zersplitterten Land wie dem Libanon kann daraus leicht eine Übung der Existenzangst werden. Aus diesem Grunde verdienen die Veranstalter von Rebirth: Lebanon XXIst Century Contemporary Art (Wiedergeburt: Zeitgenössische Kunst Libanons des 21. Jahrhunderts), die am 16. Juni im Beirut Exhibition Center (BEC) eröffnete, Anerkennung dafür, dass sie allen erdenklichen Identitätskrisen getrotzt und durchgehalten haben. Janine Maamari, eine gestandene Sammlerin, und Marie Tomb, eine junge Kunsthistorikerin, erarbeiteten eine hybride Schau, die zunächst eine Grundlinie des Interesses an nationaler Repräsentation festsetzt, sich dann aber in ein Dickicht weitaus interessanterer Variationen über ein Thema begibt.
Mit den Werken von 49 Künstlern, angeordnet in drei weiten Korridoren, die den Raum des BEC von den Ausmaßen eines Flugzeughangars mehr oder weniger diagonal durchqueren, deckt die Ausstellung Rebirth eine Menge ab. Allein die Spannbreite der Generationen reicht von der Arbeit Rebirth des etwas über zwanzig jährigen Abdulrahman Katanani (2011, eine Wandskulptur aus Wellblechdächern eines Flüchtlingslagers, fünf kleine Kinder beim Spielen zeigend) bis zu Beirut des achtzigjährigen Malers Huguette Caland (2010, ein dicht strukturiertes Werk in Mischtechnik auf Leinwand, das wie ein erzählerischer Wandteppich aussieht).
Obwohl es kein Produktionsbudget für die teilnehmenden Künstler gab, schufen die meisten von ihnen neue Arbeiten für die Ausstellung. Dankenswerterweise bezogen sich nur sehr wenige explizit auf den aus der Asche aufsteigenden Phönix, das langweiligste Klischee in Bezug auf Libanon, bei dem das Land mit einem melodramatischen Vogel verglichen wird, der sich selbst alle 500 Jahre in Brand steckt, um seine Jungen aus dem Feuer zu gebären. Die Bildhauerin Mireille Honeïn entschied sich für einen gänzlich anderen Mythos, indem sie einen manieristischen Ikarus mit einem Torso aus verdrehter Bronze, bionischen Beinen und einem eigentümlich verwelkten Satz Flügeln schuf.
Mehrere jüngere Künstler befassen sich mit lokaleren Mythen. Mohamad-Saïd Baalbakis ergreifend einfache Bronzeskulptur eines zergliederten Arms, One Hand Alone Can’t Clap (2007-2010, Eine Hand allein kann nicht klatschen) aus der noch fortdauernden Serie Libanisierung spielt sowohl auf ein verbreitetes Sprichwort als auch auf das vierfigurige Denkmal auf dem Märtyrerplatz im Zentrum von Beirut an, das während des Bürgerkriegs schwer beschädigt wurde, jahrelang entfernt war und dann mit den Einschusslöchern und fehlenden Gliedmaßen an diesen Ort zurückgekehrte, die man erhalten ließ, um an den Konflikt zu gemahnen.
Alfred Tarazi hingegen kommt noch einmal auf die schmutzige Geschichte der Hotelkriege zurück, als sich verschiedene Milizen in Beiruts luxuriösem Hotelbezirk verschanzten, um sich während des Bürgerkriegs gegenseitig niederzumetzeln. Tarazis Tunnel und Liebesnest, beides Digitaldrucke auf Aluminium aus dem Jahr 2010, überlagern die zertrümmerte Fassade des alten Holiday Inn mit dem Porträt einer schönen jungen Frau, was zu einem größeren Projekt gehört, das zu einem Spielfilm hinführt, der die fiktive Geschichte zweier, unter einem schlechten Stern stehender Liebenden erzählt, die 1982 getötet wurden.
Marwan Sahmarani - einer von mehreren Künstlern, die diese Ausstellung als eine Gelegenheit nutzten, um mit etwas Neuem zu experimentieren oder ihre bisherige Praxis zu überdenken - ging in der Zeit noch weiter zurück. Er steuerte acht Porträts von Männern mit Schnurrbärten bei, jeder mit einem roten Fez auf dem Kopf, die er als unbekannte, in ottomanischen Zeiten in der Levante lebende Maler ausgibt, was eine spielerische Umkehrung des Phänomens ist, dass die Lebensgeschichten und persönlichen Erzählungen von Künstlern des Libanon oftmals mehr zum Stoff lokaler Kunstgeschichte geworden sind als deren Schaffen selbst. In Sahmaranis Serie ist Malerei als der am besten geeignete Bedeutungsträger wiedereingesetzt.
In einem Essay im Katalog zur Ausstellung geht Marie Tomb viele der Tücken durch, die mit dem Organisieren einer Schau zeitgenössischer libanesischer Kunst verbunden sind, und greift dabei zuallererst die Frage auf, ob es überhaupt so etwas wie eine zeitgenössische Kunst des Libanon gibt. Die letztendliche Antwort - was die Künstler im Libanon selbst und die libanesische Diaspora eint, sei schlichtweg die Vielfalt ihres Schaffens - ist wohl nur so etwas wie eine Ausflucht.
Aber Rebirth ist nichtsdestotrotz faszinierend hinsichtlich der weit auseinander klaffenden Richtungen, wie die ausgewählten Künstler das Thema angegangen sind. Das reicht von Meditationen über Fruchtbarkeit und Fortpflanzungsfähigkeit wie in Zeina Assis Porträt einer schwermütigen Schwangeren, deren langgezogener Körper leicht an Egon Schiele erinnert und mit Bildern von Graffiti, Schablonen und anderen Beispielen der Street Art in Beirut bedeckt ist, über Ara Azads urkomisches Storyboard - einem Herumtoben in Spermabanken, Eierspenden und Zeugungskliniken auf drei Kontinenten - für sein skulpturales Sortiment an Eiern in Nestern aus Aluminium, Kupfer, Schwammkürbis und Stahl, bis hin zu Werken, die "Wiedergeburt" im Sinne von Erinnerung, Aneignung, Metamorphose, dem Vergehen von Zeit und dem Grübeln über Sex, Tod und Gewalt interpretieren.
Libanon, das aus dem kollabierenden Ottomanischen Reich herausgelöst wurde und dann unter französischem Mandat stand, bis es sich 1943 als eine Republik konstituierte, hat in den sieben Jahrzehnten seit der Erlangung der Unabhängigkeit eine bemerkenswerte Neigung zu Instabilität, Selbstzerstörung und Zwietracht gezeigt. Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs von 1975-1990, der nicht der erste oder - wie viele einwenden würden - der letzte war, schrieb der Historiker Kamal Salibi, dass "Libanon bis auf den Namen heutzutage ein Nicht-Land ist". Trotz der zwei Jahrzehnte des Wiederaufbaus könnte man jetzt die gleiche Beobachtung machen. Ebenso wie sich nationale Einheit als eine kaum zu fassende Fiktion erwiesen hat, bleibt nationale Identität eine aufgewühlte und unbeständige Angelegenheit.
Nichts davon hat das Aufkommen einer zeitgenössischen Kunstszene verhindert, die einen solch starken Einfluss auf die ganze Region ausübt, dass er angesichts der winzigen Größe Libanons geradezu komisch überproportional wirkt. Beirut beherbergt eine kritische Masse an Künstlern und unabhängigen Kunstorganisationen, und es hat in den letzten zwanzig Jahren eine reiche und vielfältige Geschichte des Ausstellungsgeschehens erlebt.
Aber Libanons endemische Identitätskrise erklärt bis zu einem gewissen Grad, warum so wenig systematische Präsentationen moderner und zeitgenössischer Kunst insbesondere im Land selbst zustande kamen. Die wenigen bahnbrechenden Ausstellungen, die es gab, sind zum größten Teil im Ausland gezeigt worden - in Paris, London und kürzlich erst in Washington DC. Wie gut gemeint sie auch sein mögen, bleiben sie letzendlich doch Botschaftergesten, geprägt von dem Wunsch, den Libanon der Welt als etwas zu zeigen, und zwar als etwas, das anders ist als ein hoffnungsloser Fall.
Im Libanon selbst ist so etwas viel schwieriger zu vermitteln. Die einzige Institution, die der libanesischen Kunstszene seit den 1960ern Jahr für Jahr den Puls fühlte, ist auch die anachronistischste - der jährliche Salon d’Automne, veranstaltet vom Sursock Museum und ein Relikt des Denkens des 19. Jahrhunderts. Bisweilen erscheint Rebirth zu sehr wie eine modernisierte, nachgebesserte Version des Salons. Und in der Ausstellung fehlen natürlich jene international gefeierten, kritisch denkenden Künstler aus Beirut völlig, denen jedwede auf nationaler Repräsentation basierende Schau als Totgeburt gelten würde und für die der Status des BEC als ein Projekt von Solidere - der privaten Immobiliengesellschaft, die für den Rekonstruktionsprozess von Beirut zuständig ist - ein ernsthaftes politisches Problem wäre. Rebirth ist nicht immer subtil, und die Schau handelt ein paar feine Linien zu viel auf einmal ab, ohne deren Implikationen zu beleuchten. Aber was das Zusammenbringen sehr verschiedener Künstler, die Konstellation einer dichten Auswahl von Werken und das Umgehend des Sumpfes der Identitätspolitik anbetrifft, ist sie in vieler Hinsicht großzügiger als frühere Ausstellungen dieser Art, wenn es darum geht, was zeitgenössische Kunst im Libanon ist und sein könnte.
Kaelen Wilson-Goldie
Autorin, lebt in Beirut. Redaktionelle Mitarbeiterin von Bidoun; schreibt u.a. für The Daily Star, Artforum, Frieze.
Kuratorinnen: Janine Maamari, Marie Tomb
REBIRTH
Lebanon XXIst Century Contemporary Art
16. Juni - 24. Juli 2011