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Der Wandel der Kunstform des Ornaments in der globalisierten Welt. ifa-Galerien Berlin, Stuttgart.
Von Sabine B. Vogel | Jul 2011I.
Überall ist blutrote Farbe. Der gesamte Innenhof gleicht einem Schlachtfeld. Spritzer bedecken sogar die Treppen und Wände. Aber dann entdeckt man darin die kleinen, weißen, floralen Ornamente. Sie sind mit der Farbe des Blutes verschmolzen, sie kommen aus dem Bild der Gewalt heraus. Imran Qureshi hat diese Bodenmalerei anlässlich der 10. Sharjah Biennale (Vereinigte Arabische Emirate) im Innenhof eines der historischen Gebäude nahe des Sharjah Art Museums geschaffen. Mit dieser Installation hat Qureshi ein ikonenhaftes Bild gefunden, das unsere unruhige Zeit als eine Situation voller Gewalt und zugleich Hoffnung charakterisiert. Es sei ein "Dialog der Hoffnung", erklärt der Künstler. [1]
Gewalt und Hoffnung, Schönheit und Schrecken – in der aktuellen Sprache des Ornaments gehören diese Pole genauso eng zusammen wie Tradition und Jetztzeit. Die acht KünstlerInnen dieser Ausstellung zeigen es uns deutlich: Das Ornament ist heute nicht mehr harmlos, sondern voller Widersprüche. Als Element vielfältiger Traditionen enthält es noch immer das Versprechen auf eine spirituelle Ganzheit, wird aber durchbrochen von der aktuellen Allgegenwart von Gewalt – ein stetig wiederkehrendes Motiv in der Ausstellung sind die Gewehre. Statt zu schmücken, erzählt es von Konflikten, statt Harmonie zu erzeugen, betont es Bedrohung. Im Ornament, so legen es die Werke der Kunst nahe, spiegelt sich unsere angespannte Weltsituation wider.
II. Kurzer Rückblick
Aus dem lateinischen ornare (schmücken, verzieren) bzw. ornamentum (Schmückendes) abgeleitet, sind Ornamente sich wiederholende geometrische, vegetabilische oder animalische Muster, die einem Trägergrund hinzugefügt werden. Ihre Funktion ist es, eine ästhetische Wirkung zu steigern, Flächen zu gliedern, zu akzentuieren oder zu beleben, zu rahmen, zu füllen – oder zu würdigen. Die Anfänge des Ornaments werden in einfachen geometrischen Motiven wie Zickzackbändern, Wellenlinien und stilisierten Tieren gesehen. Jede frühere Kultur, jede vergangene Epoche hat ihre spezifischen Ornamente ausgebildet, die germanischen Völker eher Tierornamente, die antiken Kulturen des Mittelmeerraums die Palmette, die stufenweise aus der ägyptischen Lotusform entwickelt wurde. Für die islamische Kultur sind die Arabeske [2] und die Maureske, die Unendlichkeit der Musterung und die Integration von Schrift und Ornament an kultischen Bauten bestimmend. In der italienischen Renaissance wird auf antike Vorbilder zurückgegriffen, wird die Symmetrie betont, ergänzt durch Motive wie Knoten, Blätter und Fabelwesen, die im Barock durch Muscheln und Putten bereichert werden.
Ornamente - ob abstrakt oder floral, geometrisch oder verspielt – sind eine Kulturuniversale. Im Gleichmaß der Formen kommen Orient und Okzident zusammen. Die schönen Muster können eine Brücke bilden – zwischen den Zeiten, den Traditionen, den Kulturen. Ornamente sind eine globale Sprache. Ihre Wirkung ist faszinierend, weil ein Einzelnes integriert, geschützt, neutralisiert ist in einem übergeordneten Ganzen. Nicht von ungefähr verzaubern Ornamente vor allem in religiösen Zusammenhängen, im Glauben an ein übergeordnetes Einssein.
Das Ornament kann Abwechselung und damit Lebendigkeit in monotone Architektur bringen, kann aber auch allzu schablonenhaft, wie im Barock schwülstig oder wie im Rokoko überladen sein. Alois Riegl [3] sieht den "unmittelbaren künstlerischen Schaffenstrieb" als Ursache des Ornaments, und laut Wilhelm Worringer liegt im Ornament ein Streben nach harmonischer Wirkung, die über das Schöne und Sichtbare auf die Darstellung einer universalen geistigen Ordnung zielt. "Diese abstrakten gesetzmäßigen Formen sind also die einzigen und die höchsten, in denen der Mensch angesichts der ungeheuren Verworrenheit des Weltbildes ausruhen kann." [4]
Aber die Ornamente dienen auch als Indikatoren für gesellschaftliche Veränderungen, etwa wenn um 1800 eine erste Kritik an den Verzierungen entsteht. Mit dem Ende der Feudalherrschaften ändern sich die Systeme der Repräsentation, das Ornament als Bestandteil von aristokratischen Wappen und Kleidung ebenso wie in Rede- und Anredeformen. Es wird 'frei' für neue Inhalte, wird Bedeutungsträger für bürgerliche und nationale Identitätskonstruktionen. [5]
Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Arabeske zu, die in der Aufklärung kritisiert und von der Romantik dann als Mittel zur Zeitkritik genutzt wird. [6] Die Kritik in der Aufklärung fasst Gabriele Rippl zusammen: "Die Arabeske ... wurde in Deutschland während der Aufklärung und des Klassizismus als Dekadenzerscheinung und Abfall von den Höhen des Klassizistisch-Schönen abgewertet. Denn im Gegensatz zur rationalistischen Ästhetik herrscht in der Arabeske die Mannigfaltigkeit über die Einheit ... sie ist, in den Worten Moritz' [7], eine Absage an die männliche (erhabene) Denkart." [8]
III. Ornament heute
"vor 26 Jahren habe ich behauptet, dass mit der entwicklung der menschheit das ornament am gebrauchsgegenstande verschwinde ... ich habe aber damit niemals gemeint, was die puristen ad absurdum getrieben haben, dass das ornament systematisch und konsequent abzuschaffen sei ... das klassische ornament spielt im zeichenunterricht dieselbe rolle wie die grammatik." Es bringe "ordnung in unser leben", schlussfolgert Adolf Loos in seinem berühmten Essay "Ornament und Erziehung" von 1924. Jahrzehntelang lag danach ein Bann auf diesen Formen. Jetzt ist es wieder allgegenwärtig. Welche Funktion kommt diesen auf Wiederholung und Gleichmaß angelegten Formen heute zu – garantieren Ornamente noch immer Ordnung?
In seinem Essay in diesem Katalog spitzt Burghart Schmidt die wechselvolle Geschichte der Ornamente in der These zu: "Ornamentfreude ist Symptom für besonders tiefe Krisen." Und auch die KünstlerInnen dieser Ausstellungen erzählen keineswegs von Harmonie und Ordnung, sondern von Konflikten und Kontroversen. Spätestens seit der Jahrtausendwende ist in den Werken der bildenden Kunst ein deutliches Unbehagen an der ungebrochenen Schönheit und strengen Ordnungsmacht der Ornamente zu beobachten. Möglicherweise bekräftigt von Globalisierung und transnationalen bzw. -kulturellen Identitäten, dienen Ornamente heute zwar einerseits als Brücke zu Traditionen, werden andererseits aber immer häufiger als Mittel der Kritik eingesetzt: an einengenden, weiblichen Rollenmustern; an totalitären, politischen Systemen; an vereinheitlichenden Verhaltensmustern, Erwartungen und Konventionen.
IV. Folter und Gewehre, Sicherheit und Spiritualität
Das Zwanghafte des Ornaments nimmt Adriana Czernin auf, wenn sie in ihren früheren Zeichnungen Frauen darstellt, die in ein Netz aus Arabesken eingesperrt sind. Kleid und Hintergrund ziehen sich zu einem Korsett zusammen. "Investigation of the inside" nennt sie ihre Werke seit 2008, die psychische Vorgänge zum Ausdruck bringen. Bedrohlich-aggressiv zugespitzt, sind hier die gar nicht mehr lieblichen Muster perspektivlos und verschließen den Raum. Auch Parastou Forouhar lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Brutalität von Ornamenten. "Was sich der ornamentalen Ordnung nicht unterwirft, ist nicht darstellbar und damit nicht existent, wird in die Peripherie der Unwürdigkeit verbannt, zur Vernichtung verurteilt," erklärt sie. Jede Irritation, jede kleinste Veränderung innerhalb eines Ornaments führt zur massiven Störung, zum Zusammenbruch des Systems. Individualität ist nicht vorgesehen, Ausscheren nicht erlaubt. Zentraler Bezugspunkt ihrer Arbeiten ist der politische Mord an ihren Eltern Parwaneh und Dariush Forouhar [9], aber auch das bedrohliche Regime ihres Heimatlandes Iran. Ihre computergenerierten Ornamente bestehen aus Waffen und Folterszenen.
Auch Zena El Khalil konfrontiert die Schönheit der Ornamente mit der Gewalt ihrer Realität. Was zunächst rosa-naiv und mädchenhaft erscheint, erweist sich schnell als mehrfach metaierte und gebrochene Antwort auf die Allgegenwart von Gewehren, Panzern und Bomben, von Zerstörung und Bedrohung – auf ihr Leben in der kriegsgeschädigten Stadt Beirut: In Hope erzeugt der Gewehrschuss der jungen Frau eine abstrakte, harmonische Wunschwelt aus floralen und ornamentalen Formen.
Abdulnasser Gharem konzentriert sich in seinen Bilder auf zentrale Motive, die er höchst kontrastreich konfrontiert: die Soldaten mit der Harmonie einer islamischen Moschee-Kuppel; ein Flugzeug als Waffe für Kriege und Terror, das aus einer geschlossenen Fläche voller eng ineinander greifenden Muster abhebt, in die die Worte Mohammed, Allah und Ali eingeflochten sind. "In Transit repräsentiert eine unübersichtliche Weltsicht und die merkwürdigen Zeiten, in denen wir leben – sei es zwischen moderat und extrem oder zwischen Ost und West", erklärt Gharem dazu im Interview in Esquire Middle East, März 2011.
Eine ähnliche Konfrontation verfolgt auch Doris Bittar. Baghdadi Bride referiert auf Jasper Johns Flagge von 1954, mit nur 48 Staaten, die damals noch in einem gleichmäßigen Netz angeordnet waren – und für Bittar für jene Zeit steht, "als die Vereinigten Staaten ihre Außenpolitik auf ein neokoloniales Programm gründeten; der Anfang unserer falschen Außenpolitik." [10] Ihre Security States sind Collagen aus Sicherheits-Briefumschlägen von Banken, mit denen offizielle Dokumente verschickt werden – die Ornamente verhindern ein Durchscheinen des Inhaltes. Der Künstlerin dienen die verschiedenen Muster dazu, einzelne Länder auf Weltkarten zu markieren. "In meinen Recherchen zu den einzelnen Ländern beziehe ich mich auch auf deren kulturelle Muster, die Geschichte und die Gegenüberstellung mit anderen Ländern. Dann kann ich sicher sein, das richtige Muster ausgewählt zu haben." [11]
Geschult in der Miniaturmalerei, beginnt Imran Qureshi bereits 1994 die traditionelle Kunstform als zeitgenössisches Ausdrucksmittel zu erweitern. Zur 1. Singapur Biennale 2006 malt er kleine, blaue florale Ornamente auf dem Dach der Sultan-Moschee auf den Fußboden und an die Fassade – wie flüchtige Spuren von Leben, wie eine Erinnerung, ein spielerischer Umgang mit Tradition und Religion. [12] "Ich versuchte, eine Spannung zwischen dem islamischen geometrischen Muster und meinem eigenen Vokabular herzustellen. ... Wuzu entstand vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation zwischen dem Westen und der muslimischen Welt", erklärt Qureshi in einem Interview mit Susan Acret in Asia Art Archive. [13] "Es bereitet mir Vergnügen, mich gegen die traditionellen Verfahren von Miniaturmalerei zu wenden und zu versuchen, deren Grenzen zu durchbrechen."
Eine dieser 'Brechungen' ist der durchgehende Goldgrund seiner Bilder. In der Miniaturmalerei wird Gold nur für die Ornamente und die dekorativen Ränder der Bilder (und Texte) eingesetzt. Einerseits überspitzt Qureshi damit den exotischen Aspekt seiner Weiterführung der Tradition in der zeitgenössischen Kunst. Andererseits sieht er auch eine Herausforderung darin, seine Formen auf einem derart machtvollen Untergrund zur Wirkung zu bringen. "Gleichzeitig steht Gold auf symbolischer Ebene immer für etwas Spirituelles." [14] In seinen neuesten Werken geht er einen weiteren, radikalen Schritt, indem er mit Körperabdrücken und Farbspritzern arbeitet, aus denen die Ornamente – wie auf der Sharjah Biennale – herauskommen.
Auch Aisha Khalid verbindet Tradition und Jetztzeit in ihren Bildern. Ebenfalls in der Miniaturmalerei ausgebildet, arbeitet sie seit mehr als zehn Jahren mit floralen und geometrischen Mustern. Anfangs eher figurativ, kreisten ihre Bilder um die soziale und gesellschaftliche Rolle von Frauen. Seit 9/11 hat sie diese Formen zu einem Bildzeichen verdichtet, das viel weiter gefasst ist, "für unsere gesamte geographische Region, die durch 9/11 so in Verruf kam." [15] In ihrer in situ-Arbeit im Queen's Palace in Kabul verwandelte sie dieses Zeichen in eine Form, die an ein Einschussloch erinnert; in Venedig verteilte sie dann diese Formen über einen großen Spiegel, so dass sich die Schusslöcher auf jeden Betrachter, auf den gesamten Raum legen. In ihren neuesten Werken bezieht sie sich nicht mehr auf die sichtbare Welt. Die Farbe Grün ist eng verbunden mit dem Islam, die Bilder sind über die Zeit, den Raum, über sie selbst – über die Liebe.
Seit den 1980er-Jahren malt Philip Taaffe ornamentale Strukturen, vermischt Fragmente aus den unterschiedlichsten Kulturen, greift griechische, islamische, südamerikanische oder auch usbekische Architekturfragmente, Fliesenmuster und Formen auf, mischt fossile Funde, aber auch Elemente der Op-Art hinein und setzt manchmal noch Schmetterlinge oder Echsen darauf. Die historischen, kulturellen und oft auch visuellen Überlagerungen lassen psychedelische Bilder entstehen, die uns mit Formaten von oft über drei Meter Länge auch physisch in ihre Welt ziehen. Zwar tragen die Ornamente Spuren ihrer Herkunft in die Bilder, aber Taaffes Werke erzählen von keinen konkreten Bezügen, verweisen auf nichts, sondern sind wie Räume, in die man sich versenken kann, sind wie Zentren, aus denen Welten entstehen. Es sind Reisen. "Malerei ist eine Manifestation des menschlichen Bewusstseins: Man reist in der Zeit zurück und weiß, dass die Vergangenheit ein Teil von uns ist." [16]
Anmerkungen:
Sabine B. Vogel
Kunstkritikerin; Lehrbeauftragte an der Universität für Angewandte Kunst, Wien, Österreich.
2. Ausstellungsort:
ifa-Galerie Stuttgart
21. Okt. - 18. Dez.2011
Kuratorin: Sabine B. Vogel
Kulturtransfers#3:
Political Patterns - Ornament im Wandel
8. Juli - 3. Okt. 2011