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Während eines Aufenthalts in Barcelona entstandene Werke. Reflexionen über Tunesien heute.
Von Xavier de Luca | Jan 2011Die Assoziation JISER Reflexions Mediterrànies wurde 2005 von jungen Leuten aus Spanien und Tunesien mit gemeinsamen Idealen und Grundwerten gegründet, um durch Kunst und Forschung zur Veränderung der sozialen Realität, in der sie leben, beizutragen. Seitdem hat JISER in verschiedenen Ländern der Mittelmeerregion Aktivitäten realisiert, die mit der kulturellen, künstlerischen und auch wissenschaftlichen Kooperation zu tun haben. Das Hauptziel ist, die Mobilität und den Dialog sowie die kulturelle Produktion und deren Verbreitung in diesem Raum interkultureller Konfluenzen zu unterstützen. Aus diesem Grund ist die Vereinigung "JISER" genannt worden, was Arabisch ist und "Brücke" bedeutet, eine Brücke zwischen den verschiedenen Ufern des Mittelmeeres, weil wir fest daran glauben, dass wenn man andere kennt, man sich auch selbst besser versteht und kennenlernt.
Mit dem Projekt Kreativer Aufenthalt TNS>BCN beabsichtigt JISER, ein Netz junger visueller Künstler, Vereinigungen und Kunstzentren des Mittelmeerraums aufzubauen. Am Anfang dieses Prozesses stand die Auswahl zweier künstlerischer Projekte, die sich in den Städten Tunis und Barcelona entwickeln und in einer Ausstellung der geschaffenen Arbeiten und der Herausgabe eines individuellen Katalogs gipfeln. Für diese erste Edition wurde aus beiden Städten nur jeweils ein Künstler ausgewählt. Den ersten Arbeitsaufenthalt absolvierte der in Barcelona beheimatete Künstler Miquel Wert von April bis Juni 2010 in Tunis.
Die zweite Phase dieses Projekts findet gegenwärtig mit dem Aufenthalt des tunesischen Künstlers Mohamed Ben Soltane in Barcelona statt, der im November 2010 begann und bis Februar 2011 dauert. In dieser Zeit konnte der Künstler im Atelier von JISER und in den Werkstätten des Centre Cívic Fort Pienc seine Werke und Projekte entwickeln, die noch bis zum 12. Februar im Ausstellungsraum des Zentrums gezeigt werden.
Mohamed Ben Soltane (* 1977 Sidi Bou Saïd, Tunesien) ist einer der vielversprechendsten Künstler der aktuellen Kunstszene Tunesiens. Er absolvierte seine Ausbildung am Institut Supérieur des Beaux-Arts de Tunis und arbeitet in seinen Werken mit Zeichnung, Fotografie, Video und Installation. Arbeiten von ihm sind in den wichtigsten Kunstzentren Tunesiens in Einzel- und Gruppenausstellungen ausgestellt gewesen. Im Jahr 2006 gewann er den ersten Preis des Wettbewerbs ATBChallenge für junge Künstler, veranstaltet von der Arab Tunisian Bank. Unter seinen internationalen Erfahrungen sind die Teilnahme am ersten Festival Zeitgenössischer Kunst von Algier 2010 und die Beteiligung an der Gruppenausstellung mediterránea(s) im Centre d’Art La Panera von Lleida (früher Lérida, Katalonien) 2008 hervorzuheben.
Der Aufenthalt in Barcelona hat dem Künstler dazu gedient, wieder zur Malerei zurückzukehren, einer Technik, die er nicht mehr praktiziert hatte, um sich stattdessen auf Installationen zu konzentrieren, und die er während seines Arbeitsaufenthaltes ganz wesentlich weiterentwickelte. Die Ausstellung ist dafür ein guter Beleg: sie umfasst sechzehn Gemälde, in denen uns burleske, erotische, monströse Gestalten begegnen, die uns eine intime und persönliche Imagination eröffnen, in der wir den Einfluss der Stadt Barcelona wiedererkennen. Das ist der Fall in der Arbeit Chiens de Barcelone (2010), die eine Reihe von Personen darstellt, die ihre Hunde ausführen und sich ihnen soweit anpassen, dass sie ihnen schließlich zum Verwechseln ähnlich werden.
Die Schaffung dieser Gemälde hat mit einem Comic im Werk Der Künstler und der Immigrant vom Juni 2010 zu tun. Es handelt sich dabei um eine stark sozialkritische Serie von Zeichnungen, mit denen die stereotype Sicht angeprangert wird, mit der europäische Kulturinstitute in Tunesien gelegentlich Kunstprojekte auswählen, in denen die Themen eurozentristisch von der Institution vorgegeben werden (Lage der Frauen, Schleier, Krieg, etc...). Dieser Comic bezieht sich direkt auf die selektive Einwanderung, und der Protagonist, Oussema, ist ein ambulanter Gemüseverkäufer ohne Lizenz, so wie auch Mohamed Bouazizi, der sich am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid selbst verbrannte.
Wenngleich es sich um eine Antizipation handelt, vermitteln uns die von Mohamed Ben Soltane in Barcelona präsentierten Werke den historischen Moment, den sein Land gerade erlebt. Es sind Metaphern, die von einer Zeit des Wandels zeugen, in der das alte System zusammenbricht und die Möglichkeit für den Aufbau eines neuen Raums der Freiheit, Demokratie und Gleichheit entsteht, wobei die jungen Leute und die Gesellschaft zu entscheidenden Akteuren dieses Prozesses sozialen Wandels werden.
Die Arbeit Lappen (2009) ist ein gutes Beispiel für das soziale Engagement des Künstlers, der die fehlende Freiheit in den Massenmedien Tunesiens anklagt, die von der politischen Macht des alten Regimes beeinflusst und kontrolliert worden sind. Einige zusammengepresste Zeitungen, über Eimer mit schwarzer Tusche gehängt, symbolisieren perfekt das Fehlen von Klarheit der Presse in diesem Land, so wie es der Autor in diesem Satz geäußert hat: "Die tunesische Presse könntest du auswringen, es würde nicht einmal Wasser herauskommen."
Abschließend soll auf das kollektive Projekt hingewiesen werden, das Mohamed Ben Soltane im IHEC de Carthage entwickelt hat und das ein Ausdruck partizipatorischer Kunst ist, bei der die Studenten der Universität die Protagonisten waren. Ein am Haupteingang stehender Fotokopierer erfasste mehr als 300 Bilder mit Gesichtern, Grimassen, Händen, Armen usw., die auf die Mischung aus Illusion, Unschuld und Wagemut der Jugend Tunesiens hindeuten.
Mohamed Ben Soltane will mit seinem Schaffen auch das Bewusstsein in der Gesellschaft stärken, damit das Publikum nicht zum bloßen Beobachter wird, sondern den Wendepunkt nachempfindet, den der Künstler und das Volk Tunesiens durchleben: "Ich denke, das was gerade in Tunesien geschieht, verdient Respekt. Die Leute sind spontan und friedlich und mit legitimen Ansprüchen auf die Straße gegangen. Die Tunesier wollen, dass das Gesetz geachtet wird, und zwar von allen und ohne Ausnahmen. Sie fordern eine bessere Verteilung der nationalen Reichtümer, damit diese allen Bürgern zugute kommen. Sie wollen eine unabhängige Justiz, eine freie Presse, den unzensierten Zugang zum Internet. Und vor allen Dingen wollen sie Arbeit." (Mohamed Ben Soltane, 12.01.2011)
Xavier de Luca
Gründer und Leiter von JISER Reflexions Mediterrànies. Stellvertretender Direktor der Fundació Suñol. Lebt in Barcelona, Spanien.
Creative Residency TNS>BCN
02/ Mohamed Ben Soltane
November 2010 - Februar 2011
Centre Cívic Ateneu Fort Pienc
Ribes 14
08013
Barcelona
Ausstellung: 12. Jan. - 12. Feb. 2011
Veranstalter: