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Umbruch im Jemen, Wandel in den Künsten? Antworten in einer Installation von Amna al Nassiri.
Von Anahi Alviso-Marino | Apr 2011Sanaa, Februar 2011: die Leute beginnen, den öffentlichen Raum zu besetzen, um einzufordern, was zunächst nur eine von der Opposition angeführte Forderung nach Reformen zu sein scheint, die später jedoch zu einem breit angelegten und populären Aufruf zu politischem Wandel wurde. Im März forderte eine größere Bewegung der Jugend und Angehöriger aller Klassen und Bereiche der Gesellschaft verschiedene Arten von Veränderungen, so die Abdankung des Präsidenten Ali Abd Allah Saleh und den Sturz des Systems. Etwas Neues geschah: die Leute durchbrachen die Angst vor Repressionen, reale und vermeintliche Grenzen hin zur Freiheit und lange andauernde Tabus in Bezug auf die Figur des Präsidenten, der bislang als nahezu unantastbar galt. Konkrete und auch unsichtbare Blockaden werden derzeit gebrochen.
Ein Jahr zuvor, im Februar 2010, konfrontierte eine visuelle Künstlerin das Publikum mit der Idee von Blockaden selbst, die durch die Einschränkung von Freiheit entstanden sind. Zu jener Zeit war Amna al Nassiri wegen ihrer Installation Hisarat, der ersten dieser Art im Jemen überhaupt [1], vielen Bemerkungen, Fragen und Kritiken ausgesetzt. Al Nassiri, eine gut bekannte, in der früheren Sowjetunion ausgebildete Malerin und Kunstkritikerin, die sowohl im Jemen als auch im Ausland veröffentlicht, Professorin an der philosophischen Abteilung der Universität von Sanaa, ging in ihrem Werk dem Gedanken des Blockiertseins und des sich in einer Art von Belagerungszustand Befindens nach, was zu jener Zeit eine ziemlich heikle Kritik bedeutete.
Das von ihr ausgestellte Werk, das übersetzt "Umzingelungen / Blockaden / Belagerung" bedeutet, ist auf Blockaden und Grenzen fokussiert, die Männern und Frauen im Jemen und auch anderswo von der Gesellschaft aufgezwungen werden und die wir uns mehr oder weniger unbewusst ebenso selbst auferlegen. Nach Aussagen der Künstlerin besteht die Grundidee der Installation in der Frage nach "den Zwängen, die auf unserer Freiheit lasten, und der bewussten und unbewussten Unterdrückung, die auch durch Fanatismus entsteht, der ebenfalls eine Art von Angst ist". Die Künstlerin präsentierte zumeist Bilder, die Frauengesichter andeuten, wobei sie allerdings darauf besteht, dass es ihr um menschliche Wesen an sich geht, weil "das was unsere Freiheit einschränkt und begrenzt gleichermaßen Frauen wie Männer betrifft". Zweiundzwanzig Fotografien wurden ausgestellt und zeigen von Tüchern verhüllte Silhouetten und Körper ohne Gesicht oder stattdessen manchmal mit Nägeln oder Stacheldraht. Neben den Fotografien wurde eine Arbeit der Videokunst projiziert, in der ein von einem schwarzen Tuch verhüllter Körper versucht, sich davon zu befreien oder den Stoff abzustreifen. Der Eindruck von Unterdrückung wurde verstärkt durch eine schrille und sich wiederholende Musik. In einem Raum im Inneren des Gebäudes, in dem sich die Installation befand, stellte al Nassiri verschiedene weiche Skulpturen aus: mit Reihen sitzender Puppen gefüllte Regale, womit die Künstlerin die Darstellung des Platzes von Frauen in der Gesellschaft als den "dekorativer Objekte" meint; Vogelkäfige voller Frauenfiguren, während die Vögel draußen sitzen, was den Gedanken ausdrückt, dass lebende Wesen frei sein sollten und Frauen in Käfigen zu sehen ist, so widersprüchlich ist wie Vögel in Käfige zu sehen. Im selben Raum stand eine Gliederpuppe mit Männerkleidung, aus deren Nacken Hände kamen und deren Füße aus Stacheldraht bestanden. Zwischen diesen Objekten gab es auf dem Boden verstreute und aus dem Wänden kommende Hände, so als wenn diese versuchen würden, sich von dem zu lösen, was sie zurückhält. Und dann war da auch noch ein schwarzes Zelt, in das die Leute hineingehen konnten und sich dann einer schwarz verhüllten Figur gegenüber sahen, die sich in der Dunkelheit bewegte. Mit dieser auch als Performance angelegten Arbeit war beabsichtigt, die Empfindungen der Leute zu untersuchen, wenn sie sich in den Raum begaben.
Die Reaktionen bei der Eröffnung sind ganz verschieden gewesen, insbesondere die Interpretation der Kunstwerke betreffend, die mehrheitlich als eine Kritik an "Frauenthemen" im Jemen verstanden wurden. Einige Besucher fanden diese Darstellungen übertrieben, andere sahen sich selbst in einer Situation wie in einem solchen Zelt oder Vogelkäfig. Obwohl es keinerlei Anhaltspunkte auf das Geschlecht der sich der Dunkelheit des Zeltes bewegenden Person gab, nahmen die meisten an, es sei eine Frau. Wie die Künstlerin erläuterte, "dachten viele Frauen, es würde um sie gehen, aber ich sprach über Frauen und Männer, ich sprach über Krieg, Hunger, über viele Themen, wirtschaftliche Veränderungen, Globalisierung... Ich hätte über alle diese Angelegenheiten sprechen können. Ich hatte das Gefühl, dass die Ausstellung die Leute beunruhigt, aber ich denke, Kunst ist nicht nur dazu da, dass man sich dabei wohl fühlt. Einge Leute in der Ausstellung waren aufgebracht, weil sich belästigt fühlten. Frauen, die ein Leben wie in einem Belagerungszustand führen, fühlten sich in der Ausstellung unangenehm, weil es niemand gefällt, wenn, wenn man auf das gestoßen wird, was im eigenen Leben nicht stimmt. Das ist so, als wenn ein Psychiater dir die Dinge sagt, die in deinem Leben falsch laufen und du dich weigerst das zu anzuerkennen. Andererseits haben Mädchen und Frauen, die frei sind und sich frei fühlen, die Ausstellung gemocht, weil sie kein größeres Problem ihres Lebens berührte. Ich sah aber einige Mädchen weinen und einige zornig hinauslaufen, denn die Schau erinnerte sie an ihre eigenen Probleme. Die Leute an existierende Probleme zu erinnern und die Gesellschaft mit ihren realen Problemen zu konfrontieren, gehört zum Machen von Kunst. Ich habe mich nicht speziell auf Frauen fokussiert, ich habe jeden mit diesen Werken angesprochen". Im Endeffekt war "schockierend" eines der meist gebrauchten Worte, um die durch die Installation gemachte Erfahrung zu beschreiben. "Angst" und "Beklemmung" gehörten zu den bei den Besuchern am häufigsten hervorgerufenen Gefühlen.
In den Wochen nach der Eröffnung reflektierte die jemenitische Presse in zahlreichen Artikeln unterschiedliche Aspekte der von dieser Installation hervorgerufenen Wirkung. Solch eine Wirkung war in den Künstlerkreisen in Sanaa noch deutlicher erkennbar, wo die Nutzung von Video, Fotografie und Performance durch eine als Malerin bekannte Künstlerin Debatten auslöste. Ein in Sanaa lebender Künstler sagte, "auf gewisse Weise lehrt sie die Leute eine neue Art Kunst zu machen, weil die Installation oder die Performance im Jemen neue Genres sind. Gleichzeitig sind die visuellen Künste im Jemen noch nicht voll ausgeprägt, und eine Installation zu machen, ist so etwas wie das Überspringen verschiedener Stufen, es ist ein großer Schritt, der auch verwirrt." Al Nassiri verfolgte die Presse und hörte die Kommentare von Künstlern in den wöchentlichen Zusammenkünften, die sie in ihrem Atelier "Kawn" abhält. Sie sieht in diesen Reaktionen eine Ablehnung von Veränderungen: "Sie empfinden die Gefahr eines solchen Wandels, sie wollen keinen Wandel in der Kunst und gleichermaßen wollen sie keine Veränderungen in ihrem Leben, in ihrer Gesellschaft".
Obgleich die jüngsten Ereignisse auf den Straßen jetzt eine andere Einstellung gegenüber Veränderungen zeigen, mag das nicht ebenso für die Kunst gelten. Was einige Künstler angesichts dieser Installation als "verwirrend" oder "zu roh" beschrieben, widerspiegelt auch einen Moment des Übergangs und einen anderen der Kontinuität: Übergang von den modernen zu zeitgenössischen Medien wie Videokunst, Installationen oder Performances und Themen wie einer Kritik, die universeller sein will und versucht, die allgemein übliche politische Herangehensweise an weibliche Körper zu vermeiden. Kontinuität in dem Sinne, dass die Zurückhaltung gegenüber Veränderungen und das Gefühl des Überspringens von Stufen symptomatisch für das Gewicht sind, das die moderne Kunst im Jemen hat. Damit im Zusammenhang stehen die Dominanz der Malerei unter allen Disziplinen, des Realismus und Impressionismus unter den Stilen sowie der westlich beeinflussten orientalistischen Ästhetik bei den dargestellten Themen.
Vielleicht würden die Reaktionen auf das Thema dieser Installation heutzutage anders ausfallen. Die Künstlerin ist der Überzeugung, dass sie vor einem Jahr etwas zum Ausdruck brachte, das heute auf den Straßen zu sehen ist: die Notwendigkeit und Bereitschaft zum Wandel. Nicht so sicher scheint hingegen eine Öffnung der jemenitischen künstlerischen Bewegung hin zur zeitgenössischen Kunst zu sein, eine Öffnung, die ebenso wie es auf den Straßen notwendig war, einen Moment des Bruches brauchen könnte. Wenn man Hisarat im Kontext der gegenwärtigen Veränderungen sieht, erscheint die Installation gewiss als ein solcher Bruchpunkt.
Anmerkung:
Anahi Alviso-Marino
Doktorandin an den Universitäten Paris 1-Sorbonne und Lausanne. Lebt derzeit in Maskat, Oman.
Vor einem Jahr konfrontierte eine Künstlerin das Publikum im Jemen mit der Idee von Blockaden, die durch die Einschränkung von Freiheit entstanden sind. Zu jener Zeit war Amna al Nassiri wegen ihrer Installation Hisarat, der ersten dieser Art im Jemen überhaupt, vielen Bemerkungen, Fragen und Kritiken ausgesetzt.
Hisarat
9. - 24. Feb. 2010
Französisches Kulturzentrum
Sanaa, Jemen