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Der Ansatz der Kunstaktivistin zwischen historischer Realität und ökologischer Projektion.
Von Abdellah Karroum | Feb 2010Yto Barradas erste Ausstellung in L'appartement 22 ist "ein bescheidener Vorschlag", bei dem die Künstlerin ihr Vokabular durch den Einsatz von Fotografie, Publikationen, Filmen und Interventionen in urbanen und Ausstellungsräumen entwickelt. Film und Grafik erweitern den Ansatz der Kunstaktivistin, der sich zwischen historischer Realität und ökologischer Projektion bewegt.
BEAU GESTE [BEAUTIFUL GESTURE] - dieser 16 mm Film schildert ein aus drei Männern bestehendes, von der Künstlerin angeheuertes Kommandoteam, das eine auf einem leeren Grundstück stehende, verletzte Palme aufsucht. Mit einer solchen Geste will die Künstlerin das Verschwinden des Baumes zumindest erschweren, obwohl sie dessen völliges Entfernen durch die Entwickler der Neubebauung des Areals nicht verhindern kann.
Der Film beginnt mit einem Begleitkommentar der Künstlerin - "In der Stadt sind in diesem Jahr über 5.000 Baugenehmigungen ausgestellt worden" -, und später drückt sie die Hoffnung aus, dass der Baum eine 50-prozentige Überlebenschance haben wird. Es ist eine Ungewissheit, die mehr vor einem Verhängnis warnt, als dem Gemeinschaftssinn oder ökologischen Bewusstsein eine Lektion anzubieten. Der Betrachter ist gefesselt von dem Plot des Films mit Aufnahmen von Passanten, die stehenbleiben, beobachten und sich zu diesem am helllichten Tag stattfindenden "illegalen" Akt äußern. Es ist ein Kino, bei dem es um die Realität geht und dessen Bilder Haltungen bestätigen.
Die zweite Arbeit in der Ausstellung ist eine Tapete, die sich über zwei Wände, den Fußboden und die Decke erstreckt. Auf dem darauf abgebildeten Foto ist erneut ein leeres Grundstück mit einer Palme im Zentrum zu sehen, dieses Mal umgeben von offenkundig neuen Gebäuden. Es handelt sich wohl um eine Hinterlassenschaft dessen, was vielleicht einmal der Garten eine Villa war, der eingeebnet wurde, um die Errichtung eines neuen Wohnblocks an dieser Stelle zu ermöglichen.
Das Element der Figur auf dem leeren Grundstück interessiert die Künstlerin, die sich für die Beziehungen zwischen urbaner und natürlicher Landschaft engagiert: "Ein leeres Grundstück erfüllt nur einen Zweck, wenn es bewohnt wird. Es ist ein Ort zum Spielen, des Verlassenseins oder des Wartens. Es ist ein Raum, der nur durch das existiert, was in ihn hineinprojiziert wird. Wir werden eines Tages hier irgend etwas Neues bauen! Aber wir warten so lange, wie der Bau noch nicht vollendet ist, in der Zeit der Projektion." [1]
Beim Guerrillagärtnern geht es oft um leere Grundstücke. Über Formen, leere Areale oder Prozesse hinaus ist das Guerrillagärtnern auch in Ytos dokumentarischer Arbeit präsent, in der sie sich mit der urbanen Entwicklung in Tanger beschäftigt, einer der im letzten Jahrzehnt von Grundstücksspekulation am meisten betroffenen Städte Nordmarokkos. Yto Barrada legt diese Räume als etwas offen, das sich zwischen dem ruinösen Zustand und der Entstehung von etwas Neuem befindet. Die urbane Landschaft wächst aus solchen Räumen hervor, die versteckt liegen und hinter Bauzäunen und Werbetafeln mit gefrorenen Bildern dubaiifizierter Träume verborgen sind. Es ist ein Land, das sich selbst nicht nur sozial und kulturell verändert, sondern auch durch seine Stadtlandschaften.
In ihren Fotografien räumt die Künstlerin der Peripherie, dem Bild von Ecken, eine zentrale Bedeutung ein. "Mich interessiert auch die Haltung der Insubordination. Es ist die Perspektive einer Aktion. Wir siedeln uns an einem interessanten Ort zwischen Poesie und Politik an. Das ist der Ort, an dem ich arbeiten möchte. Ich vermittle Informationen, aber ich bin nicht bloß eine Journalistin. Ich gebe poetische Dinge von mir, aber ich bin auch nicht nur eine Dichterin. Mein Schaffen existiert an der Peripherie dessen. Ich informiere gern, und ich mag es, mich selbst zu informieren." [2]
Das dritte Element der Ausstellung ist die Publikationen des Palm Projekt Manifest. Dieses Fanzine wurde zuerst während eines Picknicks als Teil der 3. Marrakesch Biennale verteilt. Die Publikation beinhaltet ein Poster, dass hundert Varianten der am besten bekannten Palmbäume auflistet, dasselbe Bild des leeren Grundstücks und die technischen Angaben zum Film. In seinem Zentrum befindet sich ein pinkfarbener, mit Schreibmaschine geschriebener "bescheidener Vorschlag" in Arabisch und Englisch mit einem gewissen Yahya Sari’ als Autor. Yto gab einen Text mit einem ironischen Ton in der Art von Jonathan Swift in Auftrag, der hier als eine neue Äußerung des imaginären Yahya Sari’ "Einen bescheidenen Vorschlag für die Modernisierung Marokkos und die Maximierung seiner Ressourcen und Effizienz" enthält. [3]
Selbst in einem Kontext, indem uns Tabus und gewisse Konventionen verbieten, über die Realitäten zu sprechen, formuliert die Künstlerin Fiktionen, die dergleichen zum Ausdruck bringen und eine neue Sprache schaffen. Das Erscheinen von Pflanzen verweist auf Themen der urbanen Entwicklung. Durch die Gestalt der Palme denunziert die Künstlerin die Standardisierung von Landschaften und Städten, deren Straßen von denselben Bäumen gesäumt und die mit demselben Marmor und Granit eingefasst sind. Die Schwertlilie des Rif verschwand aus den Städten zum selben Zeitpunkt, in dem die Bergbewohner an der Peripherie der Städte eintrafen. [4]
In diesen Werken gibt es eine politische Dimension und ein pädagogisches Engagement, die den Ort der Ausstellung in der Stadt reflektieren [5], wo täglich die Schreie von protestierenden Demonstranten zu hören sind. Wer als Künstler bewusst in der Gesellschaft lebt, ist zwangsläufig mit deren Strukturen und Täuschungen konfrontiert. Das Politische ist in dieser Ausstellung stark präsent. Es ist ein schon durch den Ort, an dem man lebt, geradezu aufgezwungener Ansatz! In einem Kontext, in dem das künstlerische Schaffen als gefährlich für die Macht wahrgenommen wird, ist es mehr denn je an der Zeit, die Künstler - bildende Künstler, Tänzer, Filmemacher, Weber, bricoleurs - zu engagierten Positionen und zu ihrer Mitwirkung am Aufbau einer ökologischen und großmütigen Gesellschaft aufzufordern. Yto Barradas ungehorsames Schaffen legt vermittels der Gestalt der Palme, der Lilie und des leeren Grundstücks eine mögliche Vielfalt nahe. Eine Geste oder ein Vorschlag, wie bescheiden sie auch sein mögen, sind Beiträge zur ökologischen Gestaltung dieser im Umbruch begriffenen Welt.
Anmerkungen:
Abdellah Karroum
Unabhängiger Kurator und Kunstkritiker. Gründer/Direktor von L'appartement 22 in Rabat, Marokko. Lebt dort und in Paris, Frankreich.
Kurator: Abdellah Karroum
Yto Barrada:
Ein bescheidener Vorschlag
15. Januar - 5. März 2010