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Interview mit der Kuratorin und Philosophin Rachida Triki über das Kunstgeschehen in ihrem Land.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Jun 2010Die tunesische Kuratorin und Autorin Rachida Triki ist Professorin für Ästhetik und Kunstphilosophie an der Universität Tunis. Außerdem ist sie Präsidentin der Tunesischen Assoziation für Ästhetik (ATEP), eine Schlüsselfigur oder Mitglied verschiedener internationaler Organisationen, Organisatorin internationaler Konferenzen und Seminare über Kunst und Ästhetik sowie Herausgeberin und Autorin zahlreicher Publikationen, Essays und Monographien. Sie kuratiert regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Kunst und hat 25 Dokumentarfilme über tunesische Künstler mitproduziert.
Haupt & Binder: Könnten Sie bitte den Hauptfokus ihrer beruflichen Aktivitäten kurz zusammenfassen? Sie sind auf akademischem Gebiet sehr aktiv und engagiert. Warum haben Sie sich auch dem Kuratieren von Ausstellungen zugewandt?
Rachida Triki: Ich bin ordentliche Professorin für Philosophie und Kunsttheorie. Schon seit vielen Jahren arbeite ich auch als Kunstkritikerin und konzentriere mich dabei natürlich vor allem auf tunesische Künstlerinnen und Künstler. Während dieser Zeit folgte ich der Entwicklung der visuellen Kunstszene und dem Schaffen der Künstler sehr aufmerksam. Und als Präsidentin der Tunesischen Assoziation für Ästhetik (ATEP) war mir immer sehr daran gelegen, Akademiker und Künstler zusammenzubringen, wozu ich Treffen und Workshops organisierte. Von daher wurde das Kuratieren für mich zu einer folgerichtigen Konsequenz. Nachdem ich damit begonnen hatte, Kunstschaffende für Ausstellungen auszuwählen, ging ich noch einen Schritt weiter und fing an, Erfahrungen als Kuratorin oder Ko-Kuratorin nationaler und internationaler Kunstausstellungen zu sammeln. In meiner kuratorialen Arbeit ist es mir ein ganz besonderes Anliegen, das Schaffen tunesischer und nordafrikanischer zeitgenössischer Künstler zu fördern, die in ihren Heimatländern leben und international nicht genügend wahrgenommen werden.
Haupt & Binder: Als Sie 2008 als Ko-Kuratorin der Pontevedra Kunstbiennale für die tunesische Auswahl zuständige waren, sind unter den sechs Teilnehmern Tunesiens fünf Frauen gewesen. Und für die diesjährige Biennale Dak'Art in Dakar, an der Sie ebenfalls als Ko-Kuratorin mitwirkten, wählten Sie die Künstlerin Jemal Siala aus. Haben sich die Frauen in der gegenwärtigen Kunstszene Tunesiens besonders hervorgetan?
Rachida Triki: Das ist tatsächlich so. Seit den 1990er Jahren kam in der Kunstszene Tunesiens eine bemerkenswerte Kreativität im Schaffen junger Künstlerinnen auf. Indem sie sich verschiedener Medien bedienen, bemühen sie sich darum, persönliche oder soziokulturelle Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen. Es gibt auch einen demographischen Faktor. Normalerweise haben die Künstlerinnen und Künstler unseres Landes die Kunstschulen absolviert, und dort studieren nun mal wesentlich mehr junge Frauen als Männer.
Haupt & Binder: Welches sind die wichtigsten Kunstschulen in Tunesien und welche anderen Möglichkeiten haben junge Leute, Künstler zu werden?
Rachida Triki: Seit den 1930er Jahren gab es in Tunesien für lange Zeit nur eine Kunstschule, die Ecole des Beaux Art de Tunis, und einige private Künstlerateliers, wo junge Leute eine Ausbildung als Künstler erhalten konnten. Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde zwei weitere Schulen für schöne Künste gegründet, eine in Sfax und eine Sousse, also in der zweit- und in der drittwichtigsten Stadt des Landes. Heutzutage - und damit schon seit vier Jahren - gibt es etwa zwölf weitere öffentliche Kunstschulen, die Ecole d’Art et Métiers, die weniger auf die schönen Künste als vielmehr auf Multimedia fokussiert sind. Dieses jüngste, spektakuläre Anwachsen der Zahl von Kunststudenten hat das Interesse für Kunstveranstaltungen gewiss verstärkt, aber nicht zwangsläufig auch mehr gute Künstler in der nationalen und internationalen Szene hervorgebracht.
Haupt & Binder: Die letzte Ausstellung, die Sie kuratiert haben, La part du corps, eröffnete am 14. May im Palais Kheïreddine in Tunis. Wie würden Sie ihren konzeptionellen Ansatz und ihr kuratoriales Konzept umreißen?
Rachida Triki: In einem arabisch-islamischen Land ist es wichtig, dass Künstler an die Bedeutung des Körpers im privaten, sozialen und kulturellen Leben erinnern und diese aufzeigen. Das ist ein Grund, weshalb eine interkulturelle Veranstaltung zum Konzept der Grenzen und Exzesse des Körpers das Nachdenken über unsere Gegenwart anregen kann. Die Ausstellung präsentiert 19 Künstlerinnen und Künstler aus Europa und Tunesien. Die Teilnehmer/innen hinterfragen mit ihrer Imagination die Grenzen des Körpers über dessen übliche Darstellungen hinaus: Eingezwängter Körper, emanzipierter Körper, verkäuflicher Körper, widerstehender Körper, ethnischer Körper, gemischtrassiger Körper.
Haupt & Binder: Hat das Palais Kheïreddine, also das Museum der Stadt Tunis, eine eigene Kunstsammlung?
Rachida Triki: Das Palais Kheïreddine ist kein Museum im üblichen Sinne. Es hat keine eigene Sammlung oder irgendeine angemessene Finanzierung. Aber es ist ein idealer Ort für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die bestimmte räumliche Voraussetzungen brauchen. Es handelt sich dabei um einen stattlichen Palast, errichtet in den 1860er Jahren, der sich innerhalb der Medina, also der Altstadt, befindet und dessen Architektur eine schöne Mischung aus ottomanischen und italienischen Stilelementen ist.
Haupt & Binder: Museen für moderne und zeitgenössische Kunst gelten mehr und mehr als wichtige Faktoren der urbanen Entwicklung einer Stadt und als Symbole kultureller Souveränität, so wie das etwa am Beispiel der Diskussionen über das Musée d'Art Moderne et Contemporain d'Alger in Algerien oder über die im Entstehen begriffenen Museen der Golfstaaten deutlich wird. Gibt es in Tunis in dieser Richtung irgendwelche Überlegungen oder konkreten Pläne?
Rachida Triki: Ja, die gibt es. Auch in Tunis ist ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst im Bau. Es soll 2011 eröffnet werden und die gegenwärtige staatliche Kunstsammlung beherbergen. Diese Sammlung besteht aus einer Auswahl tunesischer Kunstwerke seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts. Neben dieser permanenten Sammlung soll das Museum temporäre Ausstellungen zeigen. Ähnlich wie im Falles des MAMA in Algerien wird von diesem neuen Museum erwartet, das es dazu beiträgt, die lokale Kunstentwicklung zu fördern.
Haupt & Binder: Welche Rolle spielen kommerzielle Galerien in Tunesien? Nehmen sie eine weiterreichende kulturelle Verantwortung wahr? Zum Beispiel die Galerie Le Violon Blue eröffnete gerade die Ausstellung Hiwar - Dialogue mit Künstlern aus Ägypten, Irak und Tunesien. Ist eine solche Schau eine Ausnahme im Galerieprogramm?
Rachida Triki: Es gibt einige lokale Kunstgalerien, die schon seit längerer Zeit zeitgenössische Kunstwerke ausgestellt haben, die aktuelle tunesische Kunst promoten und öffentliche Aufmerksamkeit dafür wecken - wie etwa die Galerien El Marsa und Ammar Farhat und das Dar Cherif Centre. Die jüngste Ausstellung in der Galerie Le Violon Blue ist ohne Zweifel ein Ergebnis des gegenwärtigen Interesses für und des Verlangens nach zeitgenössischer Kunst und kulturellem Austausch.
Haupt & Binder: Gibt es in Ihrem Land eine junge unabhängige Kunstszene mit von Künstlern betriebenen Räumen, Initiativen und Veranstaltungen?
Rachida Triki: So etwas gibt es in der Tat. Dank der Bemühungen junger Künstler und privater Kunstsammler ist gerade eine unabhängige Kunstszene im Entstehen begriffen. Es sind schon einige private Kunsträume, Initiativen und Veranstaltungen von Künstlern zustande gekommen wie Dream City, ein Event für Straßenkunst, der von zwei jungen unabhängigen Kulturaktivisten aus Tunesien initiiert wurde und im Oktober 2010 zum zweiten Mal stattfindet.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
La part du corps
14. Mai - 5. Juni 2010
Musée de la Ville de Tunis
Palais Kheïreddine
Rue du Tribunal
Tunis 1006, Tunesien
Kuratorin: Rachida Triki
Künstler/innen:
Natalie Amand
Héla Ammar
Hazem Berrabah
Meriem Bouderbala
Marianne Catzaras
Fatma Charfi
Richard Conte
Dora Dhouib
Teun Hocks
Michel Journiac
Sonia Kallel
Farah Khalil
Jean Lancri
Tahar Meguedmini
Chahrazed Rhaiem
Sana Tamzini
Yann Toma
Delel Tangour
Pascale Weber