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Sätze an den Rändern und andere Aktivitäten. Darat al Funun, Amman, Jordanien. Kuratorialer Text.
Von Abdellah Karroum | Dez 2010Das Ausstellungsprojekt Sentences on the banks and other activities ist als eine Arena für Erkundungen konzipiert, als ein Vorhaben, das mit Darstellungsformaten und idealen Erzählweisen von Kunstwerken und deren Geschichten experimentiert. Der größte Raum fungiert als ein Hauptquartier, das die Straßen und Durchgänge verbindet, die zwischen den Künstlerateliers und den urbanen Hügeln in der Umgebung errichtet worden sind [1] .
Heutzutage ist der Ausstellungsraum für den Kurator das, was das Atelier für den Künstler ist: ein nomadisches mentales Gefüge, eher ein ungenaues Feld für Ideen als eine Produktionsstätte für Objekte. Die hauptsächliche Rolle einer Ausstellung besteht darin, an künstlerischer Produktion teilhaben zu lassen und zum gesellschaftlichen Leben in der Stadt beizutragen. Eine Ausstellung ist ein Raum der Freiheit, in dem eine Vielfalt an Kunstwerken koexistiert wie Worte in einem Gedicht. Diese Ausstellung agiert als ein Umschlagplatz für gemeinschaftliche Operationen und provoziert dabei Statements oder Dialoge mit anderen Gebieten und Disziplinen. Der Akt des Produzierens und der Raum des Sichtbaren sind miteinander verflochten.
Zu den Ideen, die der Ausstellung in Amman zugrunde liegen, gehört die Bedeutung des Brückenschlags zwischen verschiedenen Gebieten und Bergen und der Verbindung der Kunstszene mit anderen Arenen. Die Kunstwerke in der Ausstellung erscheinen gleichzeitig als die in unterschiedlichen Teilen der Stadt von ihren Aktivisten und Bürgern initiierten Aktivitäten. Kunstwerke leisten für die Stadt das, was Worte für den Roman sind, was die Blüte für den Wald bedeutet oder was die Steine für die Wüste ausmachen; sie schaffen einen außergewöhnlichen Moment des Nachdenkens und der Kontemplation. In einer Zeit, in der die kulturelle Produktion von Tourismusprojekten und finanziellen Gewinnabsichten instrumentalisiert wird, besteht die Herausforderung darin, die Seele der Kunstwerke durch Hervorhebung der Stärke ihres Bedeutungsgehalts zu erhalten, während zugleich sichergestellt wird, dass sie mit der urbanen Umgebung verbunden und produziert sind, um in einem Kontext rezipiert zu werden, in dem Kultur üblicherweise keine Priorität hat.
Amman ist eine Durchgangsstadt mit einer beträchtlichen Zahl an Exilsuchenden aus den umliegenden, von Krieg oder einheimischen Konflikten geplagten Ländern. In den Kunstwerken ist eine Konstellation solch relevanter Begriffe wie Angst, Sehnsucht, Glauben, Verdrängung und soziale Ökologie enthalten.
In dem Projekt geht es um die Herstellung von Verknüpfungen zwischen "bordures" (im Sinne äußerer Ränder und nicht von Grenzen) sowie um den Blick auf festgelegte Übergänge und Abgrenzungen zwischen Räumen, Disziplinen und Konventionen. Wichtig ist, dass die kulturelle Produktion einen Sinn des Hier/Jetzt ergibt. Eine Ausstellung zu schaffen bedeutet, einen Raum zu errichten, der den in Kunstwerken enthaltenen multiplen Ausdrücken Sinn verleiht, und mit diesem Projekt verbindet sich die Hoffnung, Freiheit an einem Ort zu schaffen, an dem Leute auf verschiedenen Ebenen zusammentreffen (Religion, Politik, Ländergrenzen...).
Das Format der Ausstellung ist mit der Idee des "Herausgebens" verbunden, da Amman seit der Antike eine Lesepublikum hat, von den Hängenden Oden (al-muallaqat) aus vorislamischer Zeit bis zu Mahmoud Darwish und den in den Cafés und auf den Treppen von Moscheen wiederholten Liedern. Die erste Publikation (Volume 1) agiert als ein Raum zum Hören; es ist eine Einladung, spezifische Themen anzusprechen. Kunst kann als ein Mittel benutzt werden, um die Gesellschaft zu verändern, oder als eine dagegen gerichtete Strömung wirken. Volume 1 ist ein Instrument der Korrespondenz zwischen den Künstlern und Kuratoren als Akteuren und dem Publikum als Mitwirkendem bei der Formulierung von Ideen, die den Ausstellungsraum zu einem Ort des Dialogs machen.
Kulturelle Produktion, Kunsträume, Theater und Universitäten sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft, können aber nur aktiv sein, wenn ihre Produktion in einem größeren Kontext wahrgenommen wird. Das Atmen kultureller Körperschaften kann "proaktive" Dialoge provozieren, wenn sie sich mit anderen Sphären verbinden [2] . Jedwede individuelle oder kollektive Aktivität kann einen exponentiellen Effekt für den Rest einer Gesellschaft haben. Keine Renaissance kann gültig sein, wenn der Traum nicht ständig aufgeladen wird.
Wenn ein Ausdruck, sei es ein Kunstprojekt, ein Film, ein Buch, eine Performance oder selbst eine Ausstellung, einen Übergang zwischen dem Vorschlag des Schöpfers und dem Nutzer schafft, wird der Kontext aktiviert. In der Architektur sind die Fundamente und Wände nicht ewig, und heikle Strukturen können durchaus solider sein als Bunker.
Wie können wir ein Ausstellungsprojekt zum Zentrum der Welt machen, wenn wir nur an ein fragmentiertes Universum glauben? Dieses Projekt integriert die Produktion über Disziplinen und soziale Praktiken hinweg, indem der Ausstellungsraum mit öffentlichen und privaten Sphären sowie kulturellen Orten der Stadt verbunden wird. Es behandelt die Stadt als einen gemeinsamen Raum. Die Politik der Nutzung des öffentlichen Raums interagiert mit den Lebensweisen im privaten Bereich. Das Projekt beginnt mit einer Einladung an die Leute, sich an einem kollektiven Raum für das Denken zu beteiligen, wo sie dazu ermutigt werden, ihre Vorstellungen von der Realität und ihre Imagination zum Ausdruck zu bringen. Es geht nicht um das Bilden von Sätzen [sentences], sondern vielmehr darum, sinnvoll zu sein [make sense].
Die kuratoriale Artikulation beinhaltet die im Hinblick auf Zeit und Raum simultane Erscheinung von Kunstproduktion, Nachproduktion und Treffen; sie experimentiert mit der Idee der Hervorbringung künstlerischen Ausdrucks als Teil des Formulierungsprozesses. Die drängende Natur dieser Idee des Mitteilens während des Erschaffens hinterfragt die Geschwindigkeit in unserer Zeit und die ungeklärte Distanz zwischen realen Fakten und Geschichte, Dokumentation und Fiktion.
Sentences on the banks and other activities ist ein Projekt, das etwas über das "Hier und Jetzt" aussagt und dabei eine offene Perspektive vorschlägt und sich eine mögliche Korrespondenz zwischen dem Innen und dem Außen des Gebietes der Kunst vorstellt.
Anmerkungen:
Abdellah Karroum
Unabhängiger Kurator und Kunstkritiker. Gründer/Direktor von L'appartement 22 in Rabat, Marokko. Lebt dort und in Paris, Frankreich.
Kurator: Abdellah Karroum
Künstlerinnen, Künstler und andere Mitwirkende: Sofia Aguiar, Hani Alqam, Hamdi Attia, Yto Barrada, Matti Braun, Gabriella Ciancimino, Mohamed El-Baz, Badr El-Hammami, Jumana Emil Abboud, Ninar Esber, Seamus Farrell, Mohssin Harraki, Mona Hatoum, Samah Hijawi, Raed Ibrahim, Saba Innab, Hakim Jamain, Fadma Kaddouri, Faouzi Laatiris, Abdul Hay Mosallam, Antoni Muntadas, Otobong Nkanga, Part-time Suite, Catherine Poncin, Larbi Rahali, Younès Rahmoun, Stanislaw Ruksza, Batoul S’Himi, Naoko TakaHashi, Nao Uda, James Webb und John Zarobell.
Publikationen:
Volume 1: Sätze, Zeichnungen und Gedanken eingeladener Künstler und Mitwirkender
ISBN: 2-914164-38-6
Volume 2: Archiv des Ausstellungsprojekts
ISBN: 2-914164-37-8
Herausgegeben von Darat al Funun, Amman, und éditions hors’champs, Paris / Fez
Sentences on the banks and other activities
13. November 2010 - 28. Februar 2011
Darat al Funun und andere Orte in Amman, Jordanien