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Zeitgenössische Kunst aus Pakistan in der Devi Art Foundation in Indien. Kurator: Rashid Rana.
Von Simone Wille | Feb 2010Zeitgenössische Kunst aus Pakistan ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Künstlerinnen und Künstler wie Rashid Rana, Bani Abidi, Huma Mulji, Hamra Abbas, Naiza Khan oder die in New York lebende Shahzia Sikander, um nur einige zu nennen, haben sich auf dem internationalen Kunstmarkt längst etabliert.
Ein starker und zugleich ungewöhnlich unerwarteter Auftritt einer Überblicksschau pakistanischer Kunst ist derzeit in der noch jungen Devi Art Foundation in Gurgaon bei Neu-Delhi zu sehen. Die Stiftung wurde 2008 von dem Mutter-Sohn-Duo Lekha und Anupam Poddar gegründet und betreibt Indiens erstes Privatmuseum für zeitgenössische Kunst. Gurgaon, eine der vier Satellitenstädte am Rande von Neu-Delhi, entwickelte sich in den letzten zehn Jahren zu einem Industrie- und Finanzzentrum und zu Indiens Hauptstadt der call center. Zwischen den üblichen Glasfassaden von Einkaufszentren und Bürotürmen wirkt der mit rostigem Stahl verkleidete Baukörper der Devi Art Foundation wie eine wohltuende Abwechslung. Auf zwei Stockwerken verteilen sich rund 700 m² Ausstellungsfläche, auf der die Poddars Wechselausstellungen präsentieren. Ihre eigene Kollektion zeitgenössischer indischer Kunst zählt zu einer der bedeutendsten des Landes. Dass sie darüber hinaus auch Werke junger, dynamischer Kunst aus den Nachbarländern (Pakistan, Bangladesh, Sri Lanka, Afghanistan und Tibet) einbeziehen, zeugt vom Weitblick der beiden Sammler und gibt der Institution eine regionale und internationale Bedeutung.
Die Ausstellung ResembleReassemble zeigt vom 17. Januar bis zum 10. Mai 2010 zeitgenössische Kunst aus Pakistan. Rashid Rana wählte dafür 75 Arbeiten aus der gegenwärtig 150 Werke umfassenden pakistanischen Sammlung der Poddars aus. Alle wurden in den letzten 10 Jahren von VertreterInnen der jüngeren und ganz jungen Künstlergeneration geschaffen.
Die pakistanische Kunst legte in den 1990er Jahren die Last der Vergangenheit ab und präsentiert sich abwechslungsreicher denn je. Pakistans urbanes Umfeld ist enorm vielfältig und übersät von visuellen Codes, die den KünstlerInnen viel Potenzial für ihre Ideen liefern. In diesem Umfeld konkurrieren Tradition und Vergangenheit mit moderner Technik und den Lebensweisen der Gegenwart.
Explizite Auseinandersetzungen mit Identität und Nationalität – ein Thema, das die beiden ersten Künstlergenerationen Pakistans stark beschäftigte – sind für die jungen Künstlerinnen und Künstler des Landes nur noch selten Themenschwerpunkte. Wenn die Künstlerin Bani Abidi den staatlichen Machtapparat hinterfragt, geht sie inszenierten Identitäten und staatlichen Ideologien auf den Grund und beleuchtet das Problem offizieller Geschichtsschreibung. Das Doppelkanalvideo The News (2006) geht sprachlich und visuell auf das Problem Nationalität und Staatenteilung ein, verweist dabei aber weniger auf die Unterschiede als vielmehr auf die Gemeinsamkeiten einer Gesellschaft, die bereits vor der sogenannten Teilung Südasiens bestand.
Verweise auf die Befindlichkeit der pakistanischen Gesellschaft werden in Huma Muljis Arbeiten meist ironisch thematisiert. Die Akteure in Trespassing (2004) und Do Parallel Lines Ever Meet (2005) sind hellhäutige, unbekleidete Barbiepuppen, einmal niedlich aneinandergekuschelt zwischen städtischem Müll und das andere Mal fein säuberlich getrennt auf separaten Schaukeln. Sex und Konsum werden hier in einem Atemzug zusammengebracht - sensible Bereiche, die der heterogenen pakistanischen Gesellschaft weit mehr zu schaffen machen, als so manche tagespolitischen Ereignisse.
Ein weiterer Bezug zur sozialpolitischen Realität Südasiens findet sich in Farida Batools Line of Control (2004, lenticular print). Während zwei aneinander gepresste Körper durch die besondere Drucktechnik in Bewegung zu sein scheinen, bleibt die Linie, die beide Körper trennt, statisch. Der Titel nimmt Bezug auf das ungelöste Kaschmirproblem. Ein ähnliches visuelles Resultat erzielt Aisha Khalid, die mit der Technik der traditionellen Miniaturmalerei Bezug auf soziale Fragenund Phänome nimmt. Veil (2004) greift den Bereich auf, der sich hinter dem traditionellen Schleier der Frauen verbirgt. Der rote, linear geschwungene Schleier deutet ansatzweise eine Frauenfigur an, lässt diese aber wie in einer optischen Täuschung zwischen einem zarten, geometrischen Fliesenmuster verschwinden. Farida Batools Line of Control und Aisha Khalids Veil artikulieren inhaltlich und visuell das Thema Räumlichkeit; sie verweisen auf Trennung und Ausgeschlossensein und die dadurch entstehenden intimen, privaten Bereiche.
Noor Ali Chaganis Arbeiten Unit (2009) und Possession (2009) sind wie Metaphern der traditionellen oder Neo-Miniaturmalerei. Die winzigen Ziegelsteine aus Terracotta, die in Unit mit Zement fein säuberlich zu Blöcken zusammengefügt und in Possession als ein Mauerbildchen gerahmt wurden, beziehen sich auf den männlichen Wunsch und Drang, ein Zuhause schaffen zu wollen und zu müssen. Der Widerspruch liegt auf der Hand: die Minimalistischen, zart aneinander gereihten Steinchen werden die ihnen zugedachte Last wohl kaum tragen können.
Ein spezifisches Merkmal der Kunst Pakistans ist, dass beinahe alle bekannten Künstlerinnen und Künstler mit Institutionen wie dem National College of Arts (NCA), der Indus Valley School of Art and Architecture (IVSAA) oder der jungen Beaconhouse National University (BNU) angehören oder diesen verbunden sind. Diese fruchtbare Auseinandersetzung und Zusammenarbeit hat zu einem wesentlichen Teil dazu beigetragen, pakistanische Kunst dahin zu bringen, wo sie heute ist.
Die aktuelle Schau in der Devi Art Foundation vermittelt einen repräsentativen Eindruck von der Dynamik und der Vielfalt des Kunstschaffens in Pakistan.
Simone Wille
Kunsthistorikerin. Autorin des Buches "Modern Art in Pakistan. History, Tradition, Place", veröffentlicht 2014 von Routledge, Neu-Delhi.
Kurator: Rashid Rana
ResembleReassemble
Werke von 45 pakistanischen Künstlern aus der Sammlung Lekha & Anupam Poddar
17. Januar - 10. Mai 2010