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Die Schönste von allen? Ein Projekt über die soziale Geschichte und Gegenwart von Ramallah.
Von Vera Tamari & Yazid Anani | Aug 2010Ramallah - die Schönste von allen? lautet der Titel der zweiten Ausstellung einer Reihe zum Thema Palästinensische Städte, die vom Ethnographischen und Kunstmuseum der Birzeit Universität in Ramallah gestartet wurde. Diese Ausstellungen sollen die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt der Beziehungen zwischen Menschen, Orten und Zeiten lenken und dabei dem Rhythmus und den Besonderheiten einer jeden Stadt gerecht werden. Das Projekt hat zum Ziel, über die stereotypen Darstellungen von Nostalgie und Folklore hinauszublicken und die visuellen und kulturellen Zeugnisse aus Vergangenheit und Gegenwart einander gegenüberzustellen, nicht nur um die Einzigartigkeit dieser Städte zu betonen, sondern auch um Themen wie Erinnerung, Identität und Wandel als Herausforderung zu begreifen. Die erste Ausstellung im letzten Jahr Jerusalem ist unser Zuhause war Teil der Veranstaltungen zu Jerusalem als Arabische Kulturhauptstadt.
Die kuratoriale Grundidee von Ramallah - die Schönste von allen? entstammt dem Märchen Schneewittchen und die sieben Zwerge und der ruchlosen Beharrlichkeit, mit der die böse Königin ihren Spiegel immer wieder fragte: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?" Das fortgesetzte Fragen nach ihrer anscheinend angezweifelten "Schönheit" offenbart Unsicherheit. Es ist die dunkle Seite ihrer Herrschaft und ihres Kampfes um den Titel der Schönsten von allen. Der "Spiegel" ist ein Medium, in dem man sich kritisch betrachtet und sich seiner eigenen Erscheinung und Existenz bewusst wird. Darum ist die Ausstellung eine Selbstreflexion über die soziale Geschichte und Gegenwart von Ramallah, in der die Kunst kritische Fragen zur Gestaltung der Stadt, ihren Räume, Ereignissen, Hoffnungen und Erwartungen stellt.
Ramallah in der Vergangenheit wird in einer Ausstellung im Ethnographischen und Kunstmuseum der Birzeit Universität gezeigt, während Ramallah heute aus einer Reihe von Interventionen im öffentlichen Raum besteht, die sich getarnt in der urbanen Struktur der Stadt und ihres historischen Zentrums befinden.
Die Schau im Ethnographischen und Kunstmuseum greift Themen kollektiver und individueller Erinnerung und Veränderung auf und wird durch Installationen, Gruppen fotografischer Bilder, Videos und persönliche oder öffentliche Gegenstände präsentiert. Sie widerspiegelt Aspekte der Wurzeln und der Authentizität, befasst sich mit der Bedeutung von Zugehörigkeit, Eigentumsrechten, Verlust und Entfremdung. Es ist eine Erzählung über das Ramallah der 1940er und 1950er Jahre, eine kleine Stadt, verwurzelt in der Geschichte seiner Familienclans und deren Herkunft. Ramallah wird in dieser Ausstellung wie durch den Spiegel der Vergangenheit in persönlichen Geschichten von Liebe, Immigration, Heirat, Mythen, Helden und Antihelden als ein charmanter Ort reflektiert. Es sind Geschichten über Lebensweisen, Zeremonien und Rituale der privaten, manchmal banalen Realität des Alltagslebens. Ein Aufschrei des Verlusts? Vielleicht, denn diese Ausstellung lädt dazu ein, sich nicht nur an das Ramallah von damals zu erinnern, sondern auch darüber zu reflektieren, was aus daraus hätte werden können.
In der Ausstellung gibt es auch Werke von zwei Künstlern, Vera Tamari und Rajie Cook. Beide beginnen damit, eine alternative soziale Geschichte von Ramallah zu enträtseln. In seiner Arbeit Pastports erzählt Rajie Cook in einem Dokumentarfilm über die erste Reise seines Vaters von Ramallah nach Amerika im Jahr 1906 von den schmerzlichen Erfahrungen der Immigration und Entfremdung.
In ihrem Werk mit dem Titel Terra Fidea - Land der Treue adaptiert Vera Tamari Teile aus Yasmin Zahrans Buch Al Lahn al Awwal (Erste Melodie) in einer Installation aus bemalten Tableaus, zu denen von der Stimme Tania Tamari Nasirs vorgelesene Passagen daraus gehören. Al Lahn al Awwal ist ein Liebesroman, in dem es um die platonische Beziehung zwischen Raya und Musa geht. Die Szenerie ist ein Viertel des alten Ramallah mit den umliegenden terrassenförmigen Hügeln.
Ramallah Heute wird durch fünf Künstler und drei Interventionen an öffentlichen Orten der Stadt repräsentiert. Sie haben einen Spiegel geschaffen, durch den ein zeitgenössisches Erscheinungsbild Ramallahs rekonstruiert wird. Die Stadt selbst wird zu einer Ausstellung, in der die Leute neugierig verschiedenen Arten von Werbetafeln und Plakaten sowie Tönen begegnen, in denen es um lokale räumliche Aspekte der Modernität, Architektur, Politik, Gesellschaft, Identität und des Wandels geht.
Emily Jacir und Yazid Anani präsentieren Al Riyadh, eine Reihe öffentlicher Interventionen, die sich mit der schnellen Veränderung der urbanen Struktur von Ramallah beschäftigen. Die Arbeit hinterfragt Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen dem Niedergang des kollektiven politischen Projekts Palästinas und seinem Widerstand gegen Kolonialismus mit dem Aufkommen einer Stadt in der Falle neoliberaler Politik, neo-kapitalistischer Strukturen und kompletter Isolation von der palästinensischen Gemeinschaft. Zwei Werbetafeln im Herzen von Ramallah schlagen dem Publikum zwei fiktive Projekte vor. Der Al-Riyadh Tower legt nahe, den alten Gemüsemarkt zu zerstören und dort stattdessen einen modernen Turm im Stile Dubais zu errichten, womit eine saubere Geschäftsumgebung und Räume für den Außenhandel propagiert werden, die die Intimität, das Erbe und die Erinnerung des Ortes verdrängen. Die andere Tafel wirbt für eine hoch gesicherte Wohnsiedlung und spielt damit auf die Ausbreitung von Wohnprojekten in Ramallah an, die von Mauern umgeben sind und von Kameras und privaten Sicherheitsdiensten bewacht werden. Solche Projekte drohen das historische Zentrum von Ramallah auszulöschen und sein architektonisches Erbe durch Wohnprojekte zu ersetzen, die den israelischen Siedlungen ähnlich sind.
Ramallah Syndrom ist eine öffentliche Intervention von Sandi Hilal, Alessandro Petti und Yazid Anani. Es ist eine Weiterführung der von ihnen bei der 53. Biennale Venedig 2009 präsentierten Arbeit. Bei dieser Version haben die Künstler 30 auf Leinwand gedruckte Fragen in verschiedenen Kaffeehäusern und Restaurants der Stadt aufgehängt. Das Werk hinterfragt die Normalität und Normalisierung des Lebens in Ramallah mit provokatorischen Fragen: Inwieweit ist zwischen einem normalen Leben in Ramallah und der Normalisierung der Okkupation zu unterscheiden? Wo sind die Grenzen von Ramallah? Ist Ramallah liberal? Ist Ramallah die Hauptstadt? Ist Ramallah okkupiert? Ist Ramallah New York?
Inass Yassins Projektion ist eine öffentliche Intervention, die aus einer Werkgruppe entstand, die sich mit Modernität und der Veränderung des urbanen Raumes und der Architektur der Stadt Ramallah auseinandersetzt. Die Arbeit erkundet das Kino Al-Waleed und seine facettenreiche soziale Geschichte, indem es der Vergangenheit durch Erzählungen und visuelle Ikonen von Plakaten, Ornamenten, Architektur, Projektoren und anderen Objekten nachspürt. Projektion inszeniert die Spaltung zwischen der glorreichen Geschichte des Al-Waleed Kinos und der zeitlichen Begrenztheit und Verzerrung einer Lebensprojektion in dem jetzt demolierten Gebäude.
Vera Tamari & Yazid Anani
Vera Tamari: Künstlerin, Kunsthistorikerin und Pädagogin. Gründerin und Leiterin des Ethnographischen und Kunstmuseums der Birzeit Universität, Palästina. Yazid Anani: Assistenzprofessor für Architektur, Birzeit Universität; Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Internationalen Akademie der Künste, Palästina.
Ramallah - die Schönste von allen?
12. Juli - 20. Dez. 2010
Ethnographisches und Kunstmuseum der Birzeit Universität
Historisches Zentrum von Ramallah
Kuratoren:
Vera Tamari und Yazid Anani
Veranstalter:
Ethnographisches und Kunstmuseum der Birzeit Universität, in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Ramallah und dem Wein a Ramallah Festival