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Die Sinnsuche des Künstlers, Schauspielers und Regisseurs durch interdisziplinäres Schaffen.
Von Kaelen Wilson-Goldie | Jul 2010In der 90-minütigen Performance Photo-Romance (2009) treffen sich Rabih Mroué und seine Partnerin Lina Saneh auf der Bühne, um das Script für eine Filmadaption zu diskutieren, das auf einer riesigen Leinwand neben ihnen nach und nach zusammengesetzt wird. In The Inhabitants of Images (Die Bewohner von Bildern, ebenfalls 2009) hält Mroué einen einstündigen Vortrag über die möglichen Bedeutungen und Implikationen politischer Plakate, die er auf den Straßen von Beirut gesehen hat. In How Nancy Wished that Everything Was an April Fool’s Joke (Wie sehr sich Nancy wünschte, dass alles nur ein Aprilscherz gewesen sei, 2007), gemeinsam geschrieben von Fadi Toufic, Mroué, Saneh, Ziad Antar und Hatem Imam, fügt sich eine Geschichte des Bürgerkriegs im Libanon aus Episoden zusammen, indem ein geschwätziges Spiel abläuft, bei dem alle Beteiligten die Verstrickungen ihrer jeweiligen Figur in den Konflikt erzählen. In Make Me Stop Smoking (Mach, dass ich aufhöre zu rauchen, 2006) zeigt Mroué das ephemäre Material, das er in einem kuriosen persönlichen Archiv gesammelt hat, um - wie er sagt - sich von dessen Last und Auswirkungen zu befreien. In Who’s Afraid of Representation (Wer fürchtet sich vor Repräsentation, 2004) pendeln Mroué und Saneh auf der Bühne zwischen Beispielen radikaler Performancekunst und der Geschichte eines libanesischen Beamten, der eines Tages zur Arbeit ging und seine Kollegen niederschoss. In Looking for a Missing Employee (Einen vermissten Angestellten suchen, 2003) spielt Mroué die Rolle eines Amateurdetektivs bei der Untersuchung des Falles eines Mannes, der von seinem niedrigen Posten im Finanzministerium verschwand und nie wieder gesehen wurde.
Die erzählerischen Mechanismen, die Mroué benutzt - die Prämissen, auf denen seine Performances aufbauen - haben fast immer mit dem Stellen von Fragen zu tun, die in der Zeit und am Ort der Präsentation seiner Werke offen und weiterhin im Raum bleiben. Seine Stücke sind fast immer wie works in progress. Das ist natürlich ein ausgekügeltes künstlerisches Prinzip, denn Mroués Performances basieren auf einem minutiösen Drehbuch und sind sorgfältig inszeniert und verlassen sich demzufolge nicht auf improvisierte Aktionen oder Dialoge. Aber als Strukturen oder Gerüste seiner Arbeiten haben diese Formen der Fragestellung den Effekt, dass die Betrachter nicht in das Schauspiel, sondern in die Entwicklung von Gedanken involviert werden. Seine Performances brechen den kreativen Prozess auf und machen damit die Themen eindringlich bewusst, die Mroué besonders am Herzen liegen, speziell die Bedeutung des Körpers auf der Bühne als einer Metapher für das Agieren eines Individuums in der Gesellschaft, der Kultur, einem politischen System und einem Staat.
Mroué gehört einer Generation von Künstlern an, die in Beirut während des Bürgerkriegs aufwuchsen, der im Libanon von 1975 bis 1990 dauerte und in dessen Verlauf sich verschiedene Gruppierungen in wechselnden Koalitionen bekämpften. Er wurde 1967 geboren und studierte Theater an der Libanesischen Universität. Saneh, geboren 1966, war seine Mitschülerin, und zu ihrer erste Kooperation kam es 1991 bei einer Bühnenadaption von Elias Khourys Roman Die Reise des kleinen Gandhi (1989), wobei es um einen in den Straßen Beiruts erschossenen Schuhputzerjungen geht, dessen Geschichte von einer alternden Prostituierten namens Alice erzählt wird. Seit damals haben Mroué und Saneh sowohl formell als auch informell bei einer sich ständig erweiterenden Serie von Werken zusammengearbeitet, die dem Theater zutiefst verpflichtet sind, aber gleichzeitig auch mit anderen Formen, Konzepten, Disziplinen, Medien und Ideen flirten.
Es wird häufig angenommen, dass das kulturelle Leben im Libanon während des Bürgerkriegs zum Stillstand gekommen war und dass die Künstler der Generation von Mroué and Saneh - wie Walid Raad, Akram Zaatari, Marwan Rechmaoui und Walid Sadek, die alle Aspekte einer gewissen Sensibilität teilen - in den 1990er Jahre eine zeitgenössische Kunstszene aus dem Nichts aufbauen mussten. Aber das ist kaum mehr als eine zweckdienliche Fiktion. Kunsthändler, Kritiker der alten Schule und Galeriebesitzer, die durchgehalten haben, können einem berichten, dass es dem Kunstmarkt niemals so gut ging wie in den 1970er und 1980er Jahren, als innere Vertreibung, die Zerstörung von Gebäuden und der Erwerb von Kriegsvermögen rege Verkäufe zur Folge hatten, weil die lokalen Käufer ständig umzogen und ihre Häuser neu einrichteten.
Auch das Theater gedieh in jenen Dekaden, und besonders die Stücke von Ziad Rahbani fanden eine weite Verbreitung durch abgenutzte Tonbandkassetten, die u.a. von Taxifahrern abgespielt und gehandelt wurden. Die Innovationen jener Zeit fanden in erster Linie auf der Ebene der Sprache statt, und an Rahbanis Schaffen ist bemerkenswert, dass es den Bergdialekt, der das libanesische Theater jahrzentelang charakterisiert hatte, durch einen urbanen Beirut-Akzent ersetzte, der nicht einer bestimmten Gruppe oder sozioökonomischen Klasse allein zugeschrieben werden kann.
Als der Bürgerkrieg zu Ende ging, war das von vielen als eine robuste lebendige Tradition wahrgenommene Theater einer der Kunstbereiche, die ein großes Maß an lokaler Finanzierung und Unterstützung genossen. Aber Mroué und Saneh stiegen schnell aus dem Mainstream aus und begannen zu hinterfragen, wieviel das Theater erreichen und wie weit es gehen könnte. Zu den Orten, die ihnen Gelegenheit für das Experimentieren gaben, gehören das Russische Kulturzentrum, provisorische Hallen und die Häuser von Freunden und Kollegen. 1997 kam ihr Wunsch, über Modelle und Einflüsse der europäischen Avatgarde hinauszugehen, in zwei unabhängigen Produktionen zum Ausdruck: Mroués Extension 19 und Sanehs Ovrira. Seit der Produktion von Come In Sir, We Are Waiting for You Outside (Kommen Sie herein, Sir, wir warten auf Sie draußen, 1998), geschrieben von Mroué in Zusammenarbeit mit dem Künstler und Architekten Tony Chakar, sind Projektionsflächen und projizierte Bilder prominent in ihrem Schaffen vertreten. Und spätestens seit der Produktion vom Mroués Video Face A/Face B (Gesicht A/Gesicht B, 2001) haben beide Künstler Werke hervorgebracht, in denen die Grenzen zwischen dem Theater und den visuellen Künsten verschwimmen.
In derselben Woche, in der Mroué The Inhabitants of Images (Die Bewohner von Bildern) in der Bidoun Lounge bei der Art Dubai 2009 uraufführte, spielte er auch im Rahmen des von Tarek Abou El Fetouh kuratierten Performanceprogramms der Sharjah Biennale ein Stück. Es trägt den Titel Theater with Dirty Feet (Theater mit schmutzigen Füßen) und ist ein als Performance maskiertes Künstlergespräch, oder umgekehrt. Es gehört zu derselben Linie in Mroués Schaffen wie Looking for a Missing Employee und The Inhabitants, die sich von solchen technisch komplexeren und facettenreichen Performances wie Biokhraphia (2002), Who’s Afraid, Nancy und Photo-Romance unterscheidet. Theater with Dirty Feet ist bei Weitem das reduzierteste Stück von Mroué. Aber es bietet auch die am stärksten artikulierte Erklärung seiner Praxis, die im Grunde darin besteht, ein Unruhestifter und Eindringling in jedweden Bereich oder alle erdenklichen Umstände zu sein, in denen er sich befindet. Indem er seinen kreativen Prozess offenlegt, verwickelt er uns als die Betrachter in seinen Unfug, der ein subtiler, wunderbarer Weg ist, das Publikum dazu anzuschubsen, zu agieren, zu hinterfragen, herauszufordern und zu denken.
Kaelen Wilson-Goldie
Autorin, lebt in Beirut. Redaktionelle Mitarbeiterin von Bidoun; schreibt u.a. für The Daily Star, Artforum, Frieze.