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Fotoausstellung in Doha über die soziale Bedeutung traditioneller Architektur in der Golfregion.
Von Michaela Kamburowa | Mär 2010Welche Rolle spielt Architektur als Versinnbildlichung des kulturellen Erbes einer Gesellschaft? Diese Frage hat in den Golfstaaten angesichts des Wirtschafts- und Baubooms und des damit verbundenen strukturellen Wandels der Region eine besonders aktuelle Brisanz.
Im Rahmen des großen Kunst- und Kulturfestivals Doha – Capital of Arab Culture 2010 ist die Fotoausstellung My Father’s House – The Architecture of Cultural Heritage (23.2. - 16.3.2010) an ihrer bislang letzten Station in der Hauptstadt von Katar angekommen, wo sie in Galerieräumen im Souq Waqif präsentiert wird. 2009 war sie schon in Oman, Bahrain, Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten zu sehen. Die vom British Council organisierte und initiierte Schau besteht aus fotografischen Arbeiten und einem Film von fünf arabischen und drei britischen Künstlerinnen und Künstlern.
Man kann sich keinen passenderen Ort für die Thematik der Ausstellung vorstellen als den Souq Waqif in Doha. Der aufwendig restaurierte historische Marktkomplex im Herzen des alten Stadtkerns liegt unweit der glänzenden Skyline von West Bay, einer im Meer künstlich aufgeschütteten Landzunge, auf der in den letzten Jahren ein Wald aus Wolkenkratzern emporgewachsen ist und immer noch wächst. Aber nicht nur das historische und das neue Wirtschaftszentrum stehen in krassem Gegensatz zueinander. Innerhalb des Souqs konkurrieren traditionelle Einkaufspassagen und landestypische Waren mit modernen Cafés und Souvenirshops, die auf die Bedürfnisse von Touristen zugeschnitten sind.
Mit dieser Problematik des Aufeinandertreffens von Alt und Neu, Tradition und Fortschritt, Rückbesinnung und Zukunftsvision setzen sich die Arbeiten der Ausstellung auseinander. Darüber hinaus sollen die Schreib-, Film- und Fotografieworkshops des Rahmenprogramms ein Diskussionsforum zu der Frage bieten, ob die Rekonstruktion von architektonischer Tradition vornehmlich dem Erhalt der lokalen Identität dient oder als touristische Attraktion fungiert. Im Zuge der rasanten Entwicklung von Katar ist derzeit als Gegenentwurf ein Trend zur Rückbesinnung auf die arabischen Wurzeln zu spüren. Gleichzeitig werden der Tourismussektor und der Wirtschaftstandort Doha ausgebaut.
Wie soll angesichts der Herausforderungen, die der Kapitalismus nach westlichem Modell und die Globalisierung mit sich bringen, mit der kulturellen Herkunft umgegangen werden? Welchen Stellenwert hat die Bewahrung alter arabischer Baukunst für das sich so rasant wandelnde Antlitz der Golfstaaten, wo ultramoderne Bauten mehr und mehr das Stadtbild bestimmen?
Dem Kurator Sean Williams ist es mit der Auswahl der künstlerischen Positionen gelungen, ein weites Spektrum der Thematik aufzufächern. Die in den letzten Jahren in Bahrain, Jemen, Katar, Oman, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten entstandenen Arbeiten reflektieren über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der gebauten Kultur in der Region, geben subjektive Eindrücke vom Verfall, der Rekonstruktion und dem Bauboom wieder, bewegen sich zwischen Dokumentation und Nostalgie.
So stehen sich Tim Hetheringtons fotografische Bestandsaufnahmen typisch arabischer Architektur und die intimen Einblicke in Privathäuser der jemenitischen Fotografin Boushra Almutawakel gegenüber und ergänzen sich gleichzeitig. In kühler, formalästhetischer Manier, die an Bernd und Hilla Becher erinnert, dokumentiert Hetherington die visuelle Attraktivität von Wassertanks oder Überdachungen von Tankstellen. Demgegenüber erzählen Almutawakels atmosphärische Aufnahmen der Innenräume von Wohnhäusern, deren Bandbreite von den Lehmbauten der Ärmsten bis zu den modernen Villen der Neureichen in Sana’a reichen, vom Alltag der Bewohner. Als Betrachter erhält man Zugang zu intimen Bereichen, die Außenstehenden normalerweise verschlossen bleiben.
Die Arbeiten des Filmemachers Hafiz Ali aus Katar und der saudi-arabischen Fotografin Wed Abdul-Jawad werfen einen nostalgischen Blick auf frühere Orte der Gemeinschaft und des sozialen Austauschs. Aufnahmen des traditionellen Kerns der saudi-arabischen Stadt Jeddah werden als historische Postkarten inszeniert und mit Stimmen von Bewohnern unterlegt, die von den alten Zeiten berichten. Diese Installation von Abdul-Jawad soll deutlich machen, dass die Altstadt sowie die traditionelle Erzählkunst und mündliche Überlieferung dem Vergessen anheimzufallen drohen. In seiner poetischen Dokumentation Scent of Shadows erinnert Hafiz Ali an die ursprüngliche Bedeutung der Kinos in seinem Heimatland als soziale Institution und gemeinschaftlicher Erlebnisbereich, die durch das Aufkommen großer Multiplex-Kinos am Verschwinden ist.
Die beiden fotografischen Projekte des in Bahrain lebenden, libanesischen Fotokünstlers und Ingenieurs Camille Zakharia umrahmen die Thematik der Ausstellung. Zum Einen zeigt die Serie Al-Bilad die Identifikation von Bewohnern des Sultanats Oman mit der Infrastruktur des traditionellen Bewässerungssystems, das bis heute die ländlichen Gegenden durchzieht und mit Wasser versorgt. Andererseits verdeutlichen die Distorted Memories genannten Fotocollagen die Auswirkungen der aufgebrauchten Wasserressourcen in Bahrain, die eine Folge der wenig regulierten Bautätigkeit sind.
Werden und Vergehen – die Golfstaaten im 21. Jahrhundert erfinden sich zyklisch neu. Ob wir wohl in dreißig Jahren auf die heute hochmodernen architektonischen Errungenschaften so schauen werden wie Lamya Gargash in ihren Aufnahmen verlassener, dem Verfall und Abriss ausgelieferter Gebäude in Dubai, die den neuen Bauten weichen müssen?
Michaela Kamburowa
Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin, freischaffende Autorin, lebt derzeit in Doha, Katar
My Father's House
Architecture of Cultural Heritage
23. Februar - 16. März 2010
Waqif Art Centre
Souq Waqif, Doha, Katar
Künstler/innen:
Wed Abdul-Jawad
Hafiz Ali
Boushra Almutawakel
Lamya Gargash
Camille Zakharia
Tim Hetherington
Tim Loveless
Hazel Thompson
Kurator: Sean Williams
Ko-Kuratoren: Jamal Al Moosawi-Hassanovich, Lucy Till-Awny
Wanderausstellung, organisiert vom: