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Murmurer oder das Gemurmel vergessener Gemäuer. Über die Fotos der tunesischen Künstlerin.
Von Christine Bruckbauer | Apr 2010Mouna Karray fotografiert 'Mauern', präziser formuliert sind es architektonische Überreste, die immer häufiger das Stadtbild von Sfax bestimmen. Sfax ist das größte Industriezentrum Tunesiens sowie dessen Handelshafen und die Geburtsstadt der 1970 geborenen Künstlerin.
"Es war die Absurdität, die Nutzlosigkeit dieser architektonischen Stätten, die meine Aufmerksamkeit auf sich lenkten; dieses Nichtwissen, was mit ihnen geschehen wird. Wird daran weitergebaut oder werden sie demnächst abgerissen? Von Beginn an war ich von den Geschichten fasziniert, die mir diese Mauern zuzuflüstern schienen. Einige von ihnen haben mit der Zeit Umbauarbeiten über sich ergehen lassen müssen. Türen und Fenster wurden ergänzt, manche wurden später wieder zugemauert oder provisorisch mit Geröll gefüllt. Diese Spuren der Zeit sind wie Narben ehemaliger Wunden. Es ist deren Status des Fehlerhaften, des Ungewollten, der mir zusagt," [1] eröffnete Mouna Karray in einem Interview.
Die Fotografin, die am Institut Supérieur d'Animation Culturelle in Tunis studierte und ihren Master in Bildmedien am Tokyo Institute of Polytechnics abschloss, pendelt heute zwischen Paris und Tunis. Als sie aus Japan Exemplare ihrer fotografischen Arbeit an ihre Mutter nach Hause schickte, wunderte sich diese, dass sie immer nur Abbilder ihrer Tochter zu Gesicht bekam, statt der sehnlichst erwarteten Ansichten der fremden Welt. "Manchmal muss man eben sehr weit gehen, die Heimat verlassen, um das Naheliegende zu begreifen," erklärte Mouna Karray die damals entstandenen Selbstporträts. Zu jener Zeit interessierte sie die Frage der eigenen Identität in einer Gesellschaft, die sich so krass von der eigenen unterscheidet.
Zurück in Tunesien machte sie mit der Installation El mech'hed auf sich aufmerksam, die anlässlich des Todes ihres Vaters entstand. Statt ihrer selbst sind es nun Orte und Plätze, die eine beißende Leere reflektieren und das Bildmotiv bestimmen. Ein inszeniertes Grab mit einem Grabstein, in den Passagen jener Briefe eingraviert sind, die die Künstlerin während ihres Japanaufenthaltes an ihren Vater schrieb. Dazu zeigte sie Aufnahmen des elterlichen Schlafzimmers. Das alleinige Sujet ist das Ehebett, die freigewordene Seite, die über Jahrzehnte ihr Vater belegt hatte. In einigen Sequenzen taucht ihre Mutter auf, die nun einsam auf dem halb verwaisten Bett verweilt.
Auch die Betrachtung der Fotoserie Murmurer [2] evoziert ein melancholisches Gefühl, ähnlich jenem, welches das Grab und die Fotos des leer gewordenen Ehebettes hervorrufen. Die morbiden Mauern berichten von einer besseren Vergangenheit, von jener Zeit, in der sie Teil eines größeren 'Unternehmens' waren, in der sie eine verantwortungsvolle Funktion innehatten. Handelte es sich bei El mech'hed noch um eine persönliche Geschichte, so sind die Geschichten, die hier nun leise erzählt werden, viel abstrakter komponiert und, was den Inhalt betrifft, noch komplexer.
Wahrscheinlich ist es auch in diesem Falle die Distanz zur Heimat, die regelmäßige Abwesenheit von ihrer Geburtsstadt, die Mouna Karray jene vergessenen Gemäuer als geeignetes Ausdrucksmittel für künstlerische Interventionen entdecken ließen. Ursprünglich errichtet, um zu schützen oder zu verbergen, verlieren die Wände aufgrund ihres traurig desolaten Zustands an Glaubwürdigkeit. Dennoch ziehen sie auf irgendeine Weise die Aufmerksamkeit auf sich. Da ist doch etwas, das einen unweigerlich gefangen nimmt; etwas Verwunschenes, ein leises Zuflüstern, das Versprechen eines verborgenen Abenteuers?
Das Rätsel um das Unbekannte, das hinter den unwirtlichen Mauern verborgen liegt, verstärkt den Wunsch hinter die 'Kulissen' zu blicken, wenn nicht sogar über diese hinweg zu klettern. Die Überwindung einer solchen 'Dornenhecke' führt jedoch nicht zu einem schlafenden Dornröschen, das von seinem Prinzen träumt – im Gegenteil, die Überraschung ist wahrlich unschön: Verwüstetes Land tut sich auf, mit Schutt und alten Wracks, offensichtlich vom ehemaligen Besitzer hinterlassen.
Mouna Karrays Fotografien sind Zeugnisse einer realen Existenz. Indem sie urbane Schandflecke porträtiert, stellt die Künstlerin Fragen in den Raum, die Antworten nach dem Grund ihres Daseins suchen. In der Weiterführung werden die präsentierten Mauern etwa zu Sinnbildern eines momentanen Befindens. Der desolate Zustand des Bildmotivs weckt Hoffnung, die Aussicht auf ein baldiges 'Fallen' dieser Mauern, verbildlicht durch Brüche und Risse im Mauerwerk oder einen sich auflösenden Stacheldraht.
Die klare Ästhetik der Schwarzweißfotografie besänftigt die harsche Realität und nimmt dem Problem die Dringlichkeit, denn die Zeit scheint in Karrays Bildern stillzustehen. Der Minimalismus, die streng konzeptuelle Komposition in Horizontalen und Vertikalen, lässt den Einfluss aus Japan erkennen. Bewusst entscheidet sich die Künstlerin für das Quadrat als Grundformat. Dies ist nicht nur die logische Konsequenz ihrer Mittelformatkamera, sondern es verweist auch auf das Konzept der islamischen Ästhetik, in der das Quadrat ein Grundelement ist.
Der französische Philosoph Roland Barthes analysierte einst die "Anziehungskraft" (l'attrait) von Fotografien, die bei "ihm ankamen" (m'advient). [3] Wenn hier nun Ähnliches versucht, der "Anziehungskraft" auf den Grund gegangen wird, könnte man das wie folgt formulieren: Die Attraktion beruht bei Karray nicht ausschließlich auf der Komplexität des Bildinhalts und dessen sublimem Symbolismus, sondern liegt im Besonderen in der poetischen Schwarzweiß-Interpretation des Sujets, wenn etwa durch die systematische und persönliche Herangehensweise der Künstlerin die Betrachtung der Fotoarbeiten eine eigentümliche "Beseelung" (l'animation) [4] bewirkt.
Anmerkungen:
Christine Bruckbauer
Auf aktuelle Kunst aus Südasien, dem Nahen Osten und Nordafrika spezialisierte Kunstwissenschaftlerin. Lebt in La Marsa,Tunesien.