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Neue und ältere Arbeiten der Künstlerin in ihren Retrospektiven in Jakarta und Bandung.
Von Carla Bianpoen | Jan 2010Die jüngste Arbeit der in den Niederlanden geborenen Künstlerin Mella Jaarsma, Square body-Empat Kanda, kann durchaus als eine Rückkehr zu ihrer Faszination für das Spiel von Licht und Schatten angesehen werden. Schatten haben sie von Anfang an begeistert, schon als sie in den frühen 1980er Jahren zum Kunststudium nach Jakarta ging und absichtlich in einer heruntergekommenen Pension lebte, wo sie bei Stromausfällen die vom Kerzenlicht an die Wände geworfenen Schatten wahrnahm. Nach ihrer Übersiedelung nach Jakarta erfreute sie sich an den Wayang-Vorstellungen (Schattenpuppentheater - A.d.Ü.) und dem Flackern der lampu templek, traditionellen Wandlampen entlang der Bürgersteige sowie den warungs (Verkaufsstände auf der Straße - A.d.Ü.), bei denen die Schatten der Besucher auf die Trennwände aus Stoff fielen. Schatten wurden für sie zu einer Metapher für den menschlichen Körper in all seinen Variationen und für die Positionen gegenüber Raum, Tradition, Kultur, Religion und Politik, aber sie repräsentieren auch die Grenze zwischen dem Gesehenen und dem Ungesehenen, dem Greifbaren und dem Immateriellen.
Es ist dieses Mystische, das Mella Jaarsma zu Square Body-Empat Kanda führte, einer wunderschönen Arbeit, in der sich ein Mann und zwei Frauen in einem schwach erleuchteten Raum bewegen und dabei ganz weiße Kleider tragen. Auf und zwischen ihnen bewegen sich die Schatten der vier Kanda-Geschöpfe oder Geschwister, die im balinesischen Glauben eine Person ein ganzes Leben lang als beschützende Schatten begleiten. Erstmals präsentiert wurde diese Arbeit am 15. Oktober 2009 bei der Eröffnung der Ausstellung Beyond the Dutch - Indonesien, die Niederlande und die visuellen Künste von 1900 bis heute. In Anerkennung ihrer Verdienste als Vermittlerin, die zeitgenössische indonesische Künstler in die Niederlande brachte und umgekehrt holländische Künstler nach Indonesien, wurde Mella ein spezieller Platz eingeräumt, der sich zwischen dem Teil befand, der Werke im postkolonialen Indonesien und solche aus den post-kolonialistischen Niederlanden zeigte.
Mella Jaarsma ist weithin als die Person bekannt, die zusammen mit ihrem Ehemann Ninditiyo Adipurnomo zuerst eine kleine nichtkommerzielle Galerie für alternative Kunst eröffnete, die keine anderen Galerien akzeptiert hätten, woraus das Cemeti Kunsthaus und die Kunststiftung hervorgingen. Diese wurden nicht nur vertrauenswürdige Ressourcen zeitgenössischer indonesischer Kunst, sondern förderten auch aktiv die Kunstentwicklung in Jogjakarta und darüber hinaus. 2006 ist das Paar für sein Engagement bei der Unterstützung indonesischer Künstler mit dem renommierten John D. Rockefeller 3rd Prize for Professional Achievement ausgezeichnet worden. Der in New York ansässige Asian Cultural Council vergibt den Preis jährlich an Personen aus Asien und den USA, die sich um die Kunst in Asien besonders verdient gemacht haben.
Als Künstlerin ist Mella ebenso bekannt und engagiert. Ihre künstlerischen Kommentare zu aktuellen sozialen und politischen Themen in der indonesischen Gesellschaft sind enthüllend und erhellend. Es sind Themen wie Diskriminierung, Rassismus, Minderheiten und Identität, bei denen sie das Verlangen und die Verantwortung empfindet, sich in ihren Werken dazu zu äußern.
In den späten 1990er Jahren, als in Indonesien soziale, politische, ethnische und religiöse Spannungen aufkamen und in ungewöhnlich heftigen Rassenunruhen kulminierten, erlangte die besondere Bedeutung der Identität eine noch viel deutlichere Präsenz in ihrer Kunst. Da sie selbst angesichts ihrer weißen Haut und ihres europäischen Aussehens die öffentliche Wahrnehmung ihres "Andersseins" als Individuum zu ertragen hatte, fühlte sie sich allein schon bei der täglich wiederkehrenden Frage "asal dari mana" (wo kommst du her?) unwohl. Durch die Konfrontation mit Rassismus vertiefte sich ihr Verständnis für Minderheiten noch erheblich. Sie sagte, kämpfen und sich mühen gehöre zur menschlichen Natur. Es helfe uns zu lernen, nach einem Ausgleich zu suchen. Das wird offenkundig in Bule Bull, einem Gewand aus geschnittenen Hörnern, die miteinander verbunden sind und wie eine Rüstung aussehen. Warum Hörner? Weil Hörner sowohl für den Kampf wie auch als Schutz benutzt werden.
Die unterschiedlichen kulturellen Interpretationen des Frosches wurden für sie zu einem Medium, um in einer Zeit abnehmender Toleranz für multi-ethnische und multi-religiöse Gesellschaften ihre Besorgnis hinsichtlich von Fragen kultureller Differenz und rassischer Vielfalt zum Ausdruck zu bringen. Frösche, eine Delikatesse der chinesischen Küche, die ein Spitzname für die Niederlande - in Indonesien auch "kikkerland" oder Land der Frösche genannt - und eine den Muslimen verbotene Speise sind, wurden zur Metapher für das menschliche Befinden.
Frösche ohne Haut begannen ihre Leinwände zu bevölkern, umgewandelt zu Embryos oder nackten, geschlechtslosen menschlichen Körpern und in moderne Statements sowohl zu Geschlechterbeziehungen als auch zum Rückgang von Toleranz und rassischer Vielfalt.
Hi Inlander (Hello Native), eine Installation unter Verwendung des Motivs der muslimischen Burka, war Teil der Ausstellung Wearable (Tragbar), die 1999 in der Galerie Padi in Bandung und in Bentara Budaya in Jogjakarta stattfand. Darin untersuchte Mella den Begriff "Inlander", ein von den Holländern während der Kolonialzeit benutztes, abwertendes Wort für einheimische Indonesier, und zog dabei eine interessante Parallele zwischen den Ereignissen im Mai 1998, als Chinesen ermordet wurden und ängstliche Einwohner, sowohl Chinesen als auch andere, an ihre Häuser Zeichen hängten, die Pribumi (einheimisch) oder Pribumi Muslim (einheimischer Muslim) bedeuten. Indem sie die Burka aus getrockneten Froschhäuten fertigte, versuchte sie das muslimische Tabu in Bezug auf die Frösche zu überwinden und gleichzeitig die erdrückende Wirkung von Engstirnigkeit zu zeigen.
Von der Burka, die von Frauen in arabischen Ländern getragen wird, ist die indonesische Version des jilbab abgeleitet. In Mellas Kunst ist dieses Kleidungsstück so abgewandelt, dass es Bedeutungen impliziert, die mit der Verhüllung des Selbst zu tun haben: Repräsentation und Manipulation des eigenen Ich, Tarnung, Maskerade, Schutzschild, das Verbergen von Orten, Heiligtümern und dergleichen. Das findet seinen Ausdruck in Moral Pointers 2002, einer Live-Performance-Installation mit der Präsentation von Schleiern aus Kokons, Hörnern, getrockneten Tierhäuten, Pflanzen und anderem Material.
Auf einer anderen Ebene erlangte der Umhang die Bedeutung von Zuflucht. "Angesichts der Realität globaler Migration muss sich jeder darauf einstellen, Flüchtling werden zu können." Refugee Only (nur Flüchtling) zeigte zeltähnliche Gewänder, und zwar welche für die Allgemeinheit und andere für die Elite (in luxuriöserer Qualität). In der Serie Shelter-Me wurde daraus eine halb architektonische Struktur oder einfach nur eine Hütte.
Obwohl sich der größte Tei ihres Œvres auf indonesische Situationen bezieht, gibt es auch Bezüge zu den Verhältnissen in anderen Ländern, und einer der dramatischsten ist in der Serie Rubber Time zu finden. Sie entstand während eines Künstleraufenthalts in Lunagangga, Sri Lanka, auf einer Gummiplantage und zeigt Gestalten unter Mänteln aus Samenkapseln von Gummibäumen, geräuchertem Gummi und trocken gewordenem, gegossenem Gummi, die wie tote oder schlafende Körper zwischen den Gummibäumen liegen.
In einem jüngeren Projekt in Taipei, Taiwan, waren ihre Mäntel durch San-ho-yuan inspiriert, das chinesische architektonische Prinzip eines zentralen Gebäudes mit zwei senkrechten, an beiden Seiten angefügten Flügeln. Die Form mit den zwei Flügeln wurde mit dem chinesischen System des Tragens von Lasten an den beiden Enden eines von den Menschen geschulterten Stocks verbunden.
Eine weitere jüngere Arbeit ist Zipper Zone, master of your domain, ein interaktives Kunstwerk, in dem es um die übermäßige Flut an Bildern und Informationen in den Massenmedien und in der Werbung geht. Hierin, wie auch in ihren anderen Werken, fokussiert Mella auf persönliche Identität. Die Arbeit ist aus Reißverschlüssen gemacht. Das Publikum kann entscheiden, welcher davon geöffnet werden und welcher geschlossen bleiben soll. Hinter den Reißverschlüssen sind viele Menschen und Fotografien zu entdecken, aber es muss eine Entscheidung getroffen werden, welche davon hervorgeholt und welche ausgeschlossen werden. Als eine Reflexion des realen Lebens im urbanen Umfeld erinnert uns Zipper Zone daran, dass wir, wenn wir vielen Dingen Aufmerksamkeit schenken, in der Lage sein müssen, etwas auszulassen, auszuwählen und zu verwerfen, um zu überleben und gesund zu bleiben. Mella sagt, Zipper Zone, master of your domain sei wie Facebook ein Ort, an dem man Sinnloses und auch Überraschungen finden kann.
Mella Jaarsma ist in ihren Zeichnungen und Malereien ebenso kompetent wie in ihren anderen Werken. Es ist nur schade, dass diese weniger Beachtung gefunden haben.
Mittlerweile hat Mella die Hälfte ihres bisherigen Lebens in Indonesien verbracht. Aber es geht nicht darum, mehr holländisch oder mehr indonesisch, sondern ein Mensch und ein Teil des Universums zu sein.
Carla Bianpoen
Kunstkritikerin, lebt in Jakarta, Indonesien. Senior Editor von C-Arts Magazine und regelmäßige Autorin der Jakarta Post.
The Fitting Room
27. Okt. - 8. Nov. 2009
Nationalgalerie Indonesiens
Jakarta
15. Nov. - 6. Dez. 2009
Selasar Sunaryo Art Space
Bandung
Kurator: Agung Hujatnikajennong