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Das Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst im Kontext von Kultur, Stadt und Gesellschaft.
Von Nadira Laggoune | Apr 2010Die Eröffnung des Museums für Moderne und Zeitgenössische Kunst in Algier (MAMA) im Dezember 2007 und die Tatsache, dass dies die kulturelle Landschaft bereichert, werfen eine Reihe von Fragen hinsichtlich der algerischen Kunstszene auf, von denen einige ein Überdenken des Konzepts von Museen an sich in solchen Ländern wie Algerien nahelegen. Seine Eröffnung bietet eine Gelegenheit, Überlegungen in Bezug auf die Rolle des Museums in unserer Gesellschaft sowie dessen zeitgemäßen Ort in der Stadt in den Vordergrund zu rücken. Es wäre zu einfach, es nur als eine Institution für die Aufbewahrung oder das Ausstellen von Kunstwerken zu sehen, denn die heutigen Museen spielen tatsächlich eine Schlüsselrolle im Herzen der Kulturlandschaft. Mit ihren sozialen, ökonomischen und symbolischen Rollen werden sie zu einem Flaggschiff der Entwicklung einer Stadt und für deren Zukunft. Wahrscheinlich ist es diesem Geiste zuzuschreiben, dass das MAMA für das Zentrum der algerischen Hauptstadt im früheren Quartier der Galeries Algériennes und der Galeries de France, einem Anfang des letzten Jahrhunderts entstandenen Gebäude, geplant wurde. Das 1909 in der rue d'Isly (heute rue Larbi Ben M'hidi) gebaute Haus ist von dem Architekten Henri Petit im neo-maurischen Stil konzipiert und gestaltet worden, einer architektonischen Auffassung, die Charles Celestin Jonnart angeordnet hatte. Als Generalgouverneur eines nach der Erlangung seiner finanziellen Autonomie befriedeten Algeriens orientierte Jonnart die Politik der Kolonialverwaltung in dieser Zeit auf die Errichtung eines glorifizierenden Erscheinungsbildes einer Metropole, die den Anspruch erhob, die Identität der Einheimischen zu schützen und zu respektieren. Aus dieser Perspektive scheint die Entscheidung, aus dem Baudenkmal, das in den zurückliegenden zwanzig Jahren geschlossen war und infolgedessen schwerwiegende Schäden erlitt, ein Museum zu machen, mehr ein Akt kultureller Souveränität als eine bloße Wiederherstellung von Räumlichkeiten und die Eröffnung eines Museums zu sein.
Innerhalb einer solchen Logik bedeutet diese Entscheidung den Kulminationspunkt eines fruchtbaren Zusammentreffens von Kultur und Politik, das aus vielerlei Gründen wichtig ist, von denen gewisse für uns von besonderer Bedeutung zu sein scheinen. Der erste Grund ist, dass dies eine neue Lesart einer architektonischen Repräsentation verlangt, die aus dem letzten Jahrhundert stammt und aus der Kolonialzeit ererbt ist. Daraus folgen zumindest zwei Bemerkungen: einerseits ist diese Handlung ein Zeichen des Phänomens kultureller Neuaneignung, das heutzutage nicht nur in Algerien, sondern in einer Reihe unabhängiger Länder auf unterschiedliche Weise vonstatten geht. Zur selben Zeit, in der das MAMA eröffnet wurde, sind diverse Gebäude und Monumente aus der französischen Kolonialzeit und der ottomanischen Ära auf ähnliche Weise restauriert und dem kulturellen Sektor zugeordnet worden, so die Villa Abdellatif, die zu einem Ort für Künstleraufenthalte wurde, oder das Palais Mustapha Pacha, in dem das Museum für Kalligraphie und Miniaturen seinen Platz fand. Im Gegensatz zu vielen Ländern, die neue Museen bauen, ist das MAMA durch die Unterbringung in einem aus der Kolonialzeit stammenden neo-maurischen Ensemble, das ursprünglich nicht für einen solchen Zweck vorgesehen war, ein unverwechselbares und einzigartiges Museum. Darin manifestiert sich der Wunsch, Kulturgeschichte anzueignen und moderne algerische Kunstgeschichte zu schreiben. Und dazu kommt es, weil das Museum all die Sammlungen moderner Kunst (seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts) und zeitgenössischer Kunst sowohl aus Algerien als auch anderer Herkunft beherbergen und dem Publikum zugänglich machen wird.
Andererseits ist dies eine Entscheidung, die zur Logik einer Hauptstadt in Bewegung gehört und die Wiederbelebung von Vierteln und urbaner Dynamik beinhaltet. Es gibt das Bestreben, vielleicht unbewusst, die urbane und ökonomische Landschaft der Stadt umzuwandeln, weil dieser Ort, der im Herzen der Hauptstadt liegt und ihren Einwohnern vertraut ist, mit gegensätzlichen Konnotationen aufgeladen ist: Erinnerungen an die Kolonialzeit, Bewunderung für die architektonische Schönheit des Hauses und die dekorative und ornamentale Gestaltung, Nostalgie für die Zeit, in der dieser Ort einem großen Publikum zugänglich war (in seiner Zeit als Galeries Algériennes und Galeries de France...). Indem sich die Qualität und die Art des Dekors (vor allem inspiriert durch spanisch-maurische Architekturbezüge und Dekorationen andalusischer Baudenkmäler) mit moderner europäischer Funktionalität verbindet, ist das Gebäude selbst ein Kunstwerk, das von seinen Besuchern bewundert wird. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, verwirrt die Wahl des Orte ebenso sehr wie sie verführt: darin verbinden sich zugleich der maurischen Palast, das Kaufhaus und das Architekturmuseum, deshalb ist es schwierig, seine architektonischen Parameter entsprechend einzuordnen, die den formalen Herangehensweisen an ein akademisches Museum widersprechen. Letztendlich leitet dieser Akt der Auswahl eines solchen Ortes, den die Kunstwelt einhellig begrüßte, was aber wohl mehr mit der zusätzlichen Ausstellungsmöglichkeit zu tun hat und weniger mit dem einer Bewahrung dienenden Museum, eine neue Kulturpolitik ein, die nunmehr Orte den schönen Künsten widmet, die bislang weitgehend auf das aus der Kolonialzeit überkommene kulturelle Erbe beschränkt blieben. Bei der Erörterung dieses Museums, dem ersten seiner Art in Algerien und vielleicht in der arabischen Welt und in Afrika, sprach der Architekt Halim Faïdi, der für die Adaption des Gebäudes verantwortlich zeichnet, von Rehabilitierung: "... wir haben eine neue Ordnung geschaffen ... das ist eine Wiedernutzbarmachung, keine Restaurierung: wiederherstellen bedeutet, eine neue Funktion eingeben ... das Gebäude bleibt bestehen, aber es wird mit einem neuen Sinn ausgestattet...". Dekorative Werke berühmter algerischer Kunsthandwerker - Kunsttischler, Buch- und Miniaturmaler wie Hamimouna oder Belkhaznadji als brillante Beispiele lokaler Handwerkskunst - werden gewiss einen interessanten ästhetischen Kontrast zu den künftigen Ausstellungen moderner oder zeitgenössischer Kunst bilden. Aus genau diesem Grund besteht das Konzept des Architekten darin, den Raum zu erweitern, indem er in Weiß, einer neutralen Farbe, gestrichen wurde, "von der sich die Kunstwerke abheben, denn ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst muss so schlicht und sparsam wie möglich sein, damit es sich gegenüber den Kunstwerken zurücknimmt...".
Ein Behältnis für Kultur an einen Platz zu rücken, der sich näher am lokalen ästhetischen Diskurs befindet, wird gewiss dazu beitragen, die Beziehung zwischen dem Gedächtnis der Stadt und der Vision ihrer zeitgenössischen Akteure zu verändern. Das geschieht, weil die Neuinterpretation kolonialer Architektursymbole es zu einem starken Symbol einer Aneignung bzw. Neuaneignung der Gegenwart und Vergangenheit macht, aber auch zu einem Instrument des Ideologietransfers. Das stellt die Identität des Museums zur Debatte und ermöglicht ein Hinterfragen der Beziehungen zwischen Erinnerung, dem Museum und seinen Aufgabenfeldern. Ist es ein Ort zeitgenössischer algerischer Identität? Ist es ein Museum eines dritten (oder nur zweiten) Jahrtausends? Jedenfalls bricht dieses Museum das traditionelle Image des Kunstmuseums auf, so wie wir es aus dem europäischen 19. Jahrhundert geerbt haben, ein Image, von dem sich unsere Kunstmuseen (die als solche übernommen sind) schwer lösen können. Dieses Image eines romantischen Museums, eines geschützten Raumes, in den die Kunst wie ein heiliges Objekt eingeschlossen ist, wiegt schwer und ist komplex. Es beinhaltet eine Art der Verweigerung gegenüber Veränderungen, eine gewisse Ängstlichkeit, wenn es sich Innovationen gegenüber sieht, und es behält eine Haltung der selektiven Wahrnehmung von Kunst als etwas, das nur einem ausgewählten und weltläufigen Publikum zugänglich ist. Im Ergebnis dessen beurteilen es viele zwar als schön, aber auch als verstaubt, zurückgeblieben und elitär wegen seiner ideologischen Vereinnahmung durch die Kultivierten und seiner Finanzierung durch die Wohlhabenden.
Im Gegensatz zu den meisten dieser Kulturräume, bei denen man das Gefühl hat, dass sie von ihrer unmittelbaren Umgebung durch physische wie auch symbolische Barrieren abgeblockt sind, ist das MAMA, für das kein Eintritt gezahlt werden muss, zur Welt und zur Straße hin offen, was bedeutet, dass es nach Algier und seinen Einwohnern hin offen ist. Als ein Museum der Nähe ist es im Gefüge der Stadt in einer Gegend populärer Kultur angesiedelt: von Bastion 23 (Palais des Raïs), der Kasbah und dem Nationaltheater bis zum Algerischen Kino - alle liegen sie auf derselben Achse. Der Raum des MAMA ist offen zu dieser stark belebten Route voller Geschäfte konzipiert, mit seinen großen Fenstern, durch die man direkt in das Innere des Museums blicken kann. Durch seine Architektur und sein innovatives Kulturprogramm wird es zu einem wirklichen Ort der Vermittlung. Alle diese Vorzüge geben uns zu der Vermutung Anlass, dass sich die Gewohnheit einstellen wird, die Nachbarschaft, in der sich das Museum befindet, öfter zu besuchen. Indem das MAMA ein Element der urbanen Transformation ist, beteiligt es sich an der Schaffung einer neuen symbolischen Beziehung zwischen dem Publikum und dem städtischen Raum. Beispiele dafür hat es in der Geschichte der Museen im Falle von Beaubourg (Centre Pompidou, Paris) oder des Guggenheim in Bilbao (Spanien) gegeben, die auf eine weitaus spektakulärere Weise die Landschaft in ihren Städten tatsächlich verändert haben und gleichzeitig eine neue Beziehung zwischen Kultur und Erinnerung, öffentlichem Raum und Wahrnehmungsraum, Urbanität und Bürgersinn herstellten.
Seit seiner Eröffnung 2007 hat das MAMA mehr als ein Dutzend Ausstellungen gezeigt, darunter internationale als Teil solcher Festivals wie Algier 2007, Arabische Kulturhauptstadt, Zweites Panafrikanisches Festival von Algier im Juli 2009 oder des Ersten Internationalen Festival für Zeitgenössische Kunst in Algier vom 17. November 2009 bis zum 28. Februar 2010. Deshalb ist es heute eine nicht zu übersehende Referenz für Ausstellungen moderner und zeitgenössischer Kunst. Es ist ein weiterer Raum für die Verbreitung von Kunst, die lebendig und weltoffen ist; es repräsentiert eine neue Interpretation von Kunstwerken und einen neuen ästhetischen Diskurs für uns, über uns und über den Anderen.
Nadira Laggoune
Kunstkritikerin und Kuratorin. Lebt in Algier, Algerien.