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Diskussionen, Ausstellungen, Filme. Ein Bericht über das Forum für kulturelle Praktiken in Beirut.
Von Daniel Berndt | Mai 2010Während der Vorbereitung von Home Works 5 diskutierte man in Beirut mit einer beinahe unheimlichen Selbstverständlichkeit darüber, ob das diesjährige Festival wegen politischer Konflikte verschoben werden müsste, so wie das schon bei vorhergehenden Editionen der Fall war. Immer wieder gab es in den letzten Monaten Situationen, in denen die gegenseitigen Provokationen zwischen Libanon und Israel hätten eskalieren können. Immer wieder kreisten Kampfjets der "Nachbarn aus dem Süden" über der Stadt. Doch die Lage blieb gespannt entspannt, Home Works 5, das von Ashkal Alwan organisierte Forum für kulturelle Praktiken, konnte zum geplanten Termin stattfinden.
In diesem Jahr war das Programm in fünf weit gefasste Themenkomplexe (von Bildung, Sound, den 1960er Jahren bis zu Saadiyat Island und Militarismus) gegliedert, auf die sich die Ausstellungen, Vorträge, Performances, Podiumsdiskussionen, Künstlergespräche, Konzerte und Screenings an verschiedenen Orten der Stadt zehn Tage lang beziehen sollten. In Anbetracht dessen, dass Home Works bis dato ohne programmatischen Fokus auskam, wirkte das Format diesmal sichtlich überstrapaziert. Christine Tohmé, die Leiterin von Ashkal Alwan, bemühte sich stets darum, dass Home Works nicht nur ein weiteres Spektakel im Kalender globaler Kunstgroßevents wird. Dennoch ist Home Works mittlerweile über den früheren Charakter eines beschaulichen Familientreffens mit heimeliger Atmosphäre hinaus gewachsen. Es hat nicht nur an regionaler Bedeutung und Einfluss gewonnen, sondern seinen Radius auch international erweitert. So wurden dieses Jahr vermehrt Künstler eingeladen, die nicht in der Region verwurzelt sind. Die Öffnung war unvermeidlich. Was das Potenzial gehabt hätte, neue Impulse zu geben, verwässerte jedoch die eigentliche Substanz.
Die ambitionierte Programmgestaltung des diesjährigen Home Works ließ einige thematische Schwerpunkte als unnützen Ballast erscheinen. Die Konzentration auf ein oder zwei Themenkomplexe hätte bereits genügt, um den Rahmen zu spannen. Im Verlauf des Forums fokussierte sich dieses ohnehin auf die Frage der Bildung, immerhin lautete das Motto "Beirut our Campus." Anstelle eines produktiven Austauschs unter Interessierten und Spezialisten schien es allerdings eher so, als hätte man sich zu kollektivem Nachsitzen verabredet. Es gab aber auch einige anregende Momente, darunter das Theaterstück Photo – Romance von Lina Saneh und Rabih Mroué, die Touren von Tony Chakar und Ashkan Sepahvand sowie das von dem Kollektiv Pad.ma (Public Access Digital Media Archive) moderierte Kolloquium, in dem die Ergebnisse eines vorangegangenen Workshops vorgestellt wurden, bei dem die teilnehmenden Künstler und Forscher das Format des Onlinearchivs als Tool für verschiedene Arbeitsprozesse einsetzten.
Photo – Romance erzählt eine Liebesgeschichte anhand von Schwarzweiß-Fotografien, die zu einem sketchartigen Dialog zwischen Rabih Mroué und Lina Saneh auf eine Leinwand im Zentrum der Bühne projiziert werden. Das Stück basiert auf Ettore Scolas Film Ein besonderer Tag, in dem sich eine junge Frau und ihr Nachbar näherkommen, während die gesamte Nachbarschaft auf die Straßen Roms strömt, um Hitlers Staatsbesuch zu feiern. Saneh und Mroué übertrugen das Szenario mit viel Selbstironie auf die Ereignisse in Beirut im Frühjahr 2005, als nach dem Anschlag auf Rafiq al-Hariri hunderttausende Menschen im Zentrum der Stadt gegen Syrien demonstrierten.
Tony Chakar legte während seiner Tour verschiedene Schichten der Entwicklung Beiruts frei und entwarf eine die Geopsychografie der Stadt skizzierende Mind Map, indem er subjektive Erinnerungen und historische Fakten miteinander verband.
Sich ebenfalls mit dem Verhältnis zwischen Erinnerung und Geschichte bzw. deren Repräsentation auseinandersetzend, führte der iranisch-amerikanische Autor Ashkan Sepahvand unter dem Titel Other than someone, there was no one durch das Beiruter Nationalmuseum. Von einer Museumsführerin und einer Theatergruppe unterstützt entwickelte er dabei eine Erzählung, bei der die im Museum ausgestellten Artefakte als Ausgangspunkte für individuelle Assoziationen fungierten, statt als objektive Zeugnisse einer vergangenen Realität wahrgenommen zu werden. Die Vermischung von Fakt und Fiktion machte nicht nur die Konstruiertheit der Geschichte evident, sondern eröffnete auch eine angeregte Diskussion u.a. darüber, wie sich eine Nation über ihre kulturellen Errungenschaften identifiziert.
Waren die Podiumsdiskussionen zum Thema Education eigentlich dazu gedacht, Möglichkeiten unkonventioneller Lehrplattformen zu diskutieren und damit einen Ausblick auf die Ashkal Alwan Academy zu bieten, deren Eröffnung für den Herbst dieses Jahres geplant ist, versackte die Prägnanz des Themas jedoch zu sehr in der Selbstgefälligkeit der Protagonisten. Viele Phrasen wurden gedroschen, bereits Bewährtes appliziert. Es bleibt also weiterhin abzuwarten, welche Form die Akademie letztendlich annehmen wird. Mit Sicherheit wird Ashkal Alwan dabei noch einige Hürden zu überwinden haben. Das betrifft nicht nur die Aufsicht und Zensur des Staates, sondern auch die Abhängigkeit als NGO von der aktuellen Spendenagenda, durch die nicht nur ein Wettstreit mit anderen Institutionen, sondern auch ein geläufiger Kanon regionsspezifischer Themen generiert wird.
Die von Walid Raad moderierte Diskussion über die in Abu Dhabi entstehende Kulturenklave Saadiyat Island verdeutlichte diese widrigen Umstände. Das von Star-Architekten entworfene Areal, aufgestockt mit international etablierter und marktkonformer Kunst stelle, laut Raad, nicht nur eine bloße Touristenattraktion dar. Abu Dhabi plant eine Infrastruktur, die Universitäten, Magazine, Kunstpreise, westliche und östliche Sammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst, Galerien, Kritiker, Archive und Bibliotheken involviert. Anstatt über die Motive der Scheichs zu spekulieren, solle besser versucht werden, aus den bereits bestehenden Fakten aktuelle und künftige Entwicklungen abzulesen. Trotz solcher Bemühungen um mehr Substanz, kam man bei der Runde inhaltlich jedoch leider nicht wesentlich über die übliche Kritik am Größenwahn, dem Kunstbanausentum und der Profitgier der Golf-Scheichs hinaus. Dieses Panel verdeutlichte den Clash zwischen intellektueller Diskursbereitschaft und neokolonialistischer Disneyland-Mentalität, was der Autor und Berichterstatter Mishaal Gergawi aus den Vereinigten Arabischen Emiraten letztendlich mit seinem dreisten Kommentar noch unterstrich: "I can call Christine and ask her to do Home Works in Dubai or Abu Dhabi. Of course, she'll refuse. But then I can find someone else who's left Ashkal Alwan, and we'll do something close. We'll call it, I don't know, House Works instead of Home Works."
Daniel Berndt
Studierte Kunstgeschichte und Philosophie an der FU Berlin. Lebt in Berlin.
Home Works 5
22. April - 1. Mai 2010
Beirut, Libanon
Veranstaltet von: