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Raum der Mythen und Legenden - das Wandbild. Insidersicht eines urbanen Schnellkochtopfs.
Von Jelle Bouwhuis | Mär 2010Die Mythen und Legenden, auf die sich Hala Elkoussys Myths & Legends Room – The Mural (Raum der Mythen & Legenden - das Wandbild) bezieht, sind nicht die einer entlegenen Vergangenheit, sondern die von heute. Es sind fotografische Geschichten, die auf historischen Fakten, Gerüchten, religiösen Glaubensvorstellungen, Traditionen beruhen sowie andere Mythen und Legenden, die Erzählungen beschwören, durch die die Realität hindurchschimmert: die Wirklichkeit des Lebens in Kairo, der Stadt, die der Ausgangspunkt fast des gesamten Werks von Elkoussy ist. In dem riesigen, drei mal neun Meter großen Wandbild, ist deren Gegenwart exzessiv präsent, allerdings so als wenn es um archivalische Vollständigkeit ginge. Das ergibt einen Sinn angesichts der Tatsache, dass das Wandbild einen imaginären Museumsraum suggeriert, den Raum der Mythen & Legenden, der wiederum ein unerwarteter, umherziehender Flügel im Museum der Stadt Kairo ist (dessen Nicht-Vorhandensein dieses Projekt eigentlich ausgelöst hat).
Das Wandbild ist aus einem Raster von 48 Rahmen zusammengesetzt, das seine einzelnen Fotografien separiert und über die grundlegende kompositorische Struktur dieser gewaltigen Assemblage gelegt ist. Drei horizontale Ebenen arrangieren die Komposition. Die obere Ebene ist durch ihre Verbindung zum Himmel charakterisiert, indem sie die Skyline einer Stadt, die Kuppel der Universität von Kairo, den Mokattam-Hügel, die himmlische Erscheinung der Jungfrau Maria und Anderes mehr zeigt. Die untere Ebene wird von Wasser dominiert, was sich natürlich auf den Nil bezieht, sowie von einem Schutthaufen, auf dem die gigantische schwarze Figur steht, die die Komposition beherrscht und ausbalanciert.
In diesem großen Wandbild werden die Ideen der Fotomontage, die durch die Werbewirtschaft allgegenwärtig geworden ist [1], künstlerisch verwertet. Elkoussy nutzt das Montageprinzip in einem gewaltigen und farbenprächtigen Maße, indem sie sowohl speziell inszenierte Fotos als auch Straßenfotografie, alte Aufnahmen, originale Zeichnungen, Illustrationen und computergenerierte Grafik und Design zusammenbringt. Solche eine Zusammenstellung - und Manipulation - von Material ist sichtbar in Details wie etwa der Briefmarke in der linken oberen Ecke des Wandbilds, die auf einer Gedenkmarke von 1961 basiert. Hier ist sie subtil verändert und zeigt den Cairo Tower - mit einem turnenden Akrobaten auf der Spitze - als den empor gestreckten Mittelfinger einer geballten Faust auf einem Sockel.
Zum besseren Verständnis des kreativen Hintergrunds des Wandbilds, soll zuerst auf solche Gedenkwandmalereien eingegangen werden wie die im Nationalen Militärmuseum in Kairo, in denen verschiedene Szenen aus der Geschichte Ägyptens, der Heroismus des Militärs und dessen Unterstützung durch das Volk erscheinen. Darauf bezieht sich das Wandbild durch die Darstellung einer Szene aus dem Panorama des Oktoberkriegs, das den Sieg über Israel im Jahr 1973 feiert. Im Militärmuseum sind einige dieser Gemälde hierarchisch auf den Hauptprotagonisten, den militärischen Führer, zentriert. In Elkoussys Wandbild ist diese zentrale Figur, der schwarze Soldat, der einen Rinderfuß als Beinprothese und einen Fischkescher als seine einzige Waffe zur Schau trägt, hingegen eher ein Antiheld, inspiriert durch die Kurzgeschichte des ägyptischen Schriftstellers Youssef Idris, in der es um die Brutalität des Staates in der vorrevolutionären Ära geht.
Das Mythische und das Legendäre im Wandbild sind nicht allein bestimmte Ereignisse. Es sind Rückmeldungen aus der hochkomplexen Entität der Stadt heraus, die sich mit der allumfassenden, oktroyierten staatlichen Kontrolle und deren Mitteln der Selbstpropaganda auseinandersetzen, von denen die Medien und das Bildungssystem durchdrungen sind, was zu politischer Apathie führt und eine Struktur ausmacht, die sich durch die Interessen und Glaubenssysteme von Millionen unter Druck stehenden, individuellen Einwohnern ständig verändert und laufend selbst stabilisiert.
Tatsächlich übt Kairo einen riesigen Druck auf seine Einwohner aus. Die Tatsache, die größte Stadt sowohl auf dem afrikanischen Kontinent als auch im Nahen Osten zu sein, ist das Ergebnis eines unentwegten Wachstums seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, um die Flut der Migranten aus den ländlichen Gebieten aufzunehmen, die nach besseren Verdienstmöglichkeiten suchen. Das findet seinen Ausdruck in der Dichte von "informellem Wohnungsbau" in den Randgebieten der Stadt: teils nicht fertig gestellte Behausungen, errichtet ohne Erlaubnis und oftmals ohne sanitäre Einrichtungen und legalen Zugang zu Elektrizität [2]. Solche Wohnstätten sind in der oberen linken Ecke des Wandbilds abgebildet, wo sie den Blick auf die großen Pyramiden von Gizeh zum Teil verdecken. Ein weniger sichtbares Element, das informellen Hausbau antreibt, ist aufsteigende soziale Mobilität, deren Endpunkt - hypothetisch - die zahlreichen, relativ neuen, abgeschirmten Wohnsiedlungen sind, die für und von den Reichen Kairos entwickelt werden. Der Mobilitätsimpuls schließt die Metropole wie in einem Schnellkochtopf ein und beschleunigt die Modernisierung von Kairo, das sich darum bemüht, Anschluss an westliche Konsumstandards zu finden.
Raum der Mythen und Legenden: Das Wandbild ist das Lippenbekenntnis eines kommunikativen Gedächtnisses, das durch seine Bewahrung einfacher alltäglicher Details charakterisiert ist, die als Geschichten von Generation zu Generation in einer Zeitspanne von nicht mehr als 80 Jahren weitergegeben werden, nach der es sich zu einem kulturellen Gedächtnis transformiert [3]. Die Kondensation solcher Geschichten im Wandbild ist ein aktives Eingreifen in diesen Prozess. Seine überwältigende archivalische Natur lässt an vergleichbare Strategien anderer Künstler denken. Walid Raad muss hier genannt werden, der im Rahmen einer künstlerischer Praxis alle Arten von Dokumenten über die zeitgenössische Geschichte des Libanon und den dortigen Bürgerkrieg aufarbeitet. Ein weiteres Beispiel ist das digitale Medienprojekt Bleeding Through des Kulturkritikers Norman Klein, das aus Foto- und Filmdokumentationen, Interviews, Gerüchten, Zeitungsausschnitten und einem Kurzroman besteht und bei dem es darum geht, einen verschwundenen, einstmals dicht bevölkerten Distrikt im Zentrum von Los Angeles neu aufleben zu lassen und zu mystifizieren. Der archivalische Impuls dient dazu, historische Informationen zu vergegenwärtigen, wenngleich auch wiederaufgefunden in einer Geste alternativen Wissens oder von Gegen-Erinnerung. Im Raum der Mythen und Legenden spielt Elkoussy genauer auf eine alternative Agenda für, oder ein Détournement von, einer institutionalisierten und regierungsgeleiteten Museumspraxis an [4].
Raum der Mythen und Legenden: Das Wandbild kann als eine kritische Haltung gegenüber staatlicher Kontrolle in Ägypten gesehen werden. Das geschieht jedoch mit einem viel profunderen Interesse an den tieferen Schichten der komplexen urbanen Gemeinschaft, wobei die Erfahrung einer Insiderin zu einer hervorragenden Sicht von außen wird.
Anmerkungen:
Jelle Bouwhuis
Leiter des Stedelijk Museum Bureau Amsterdam, Niederlande.
Das Werk wurde während der Art Dubai am 16. März 2010 erstmals vorgestellt.
The Myths & Legends Room – The Mural
48 C-Prints, 900 x 300 cm
Hala Elkoussy und Kurator Jelle Bouwhuis haben für diese Arbeit den Abraaj Capital Art Prize 2010 erhalten.