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Ausstellung über Jerusalem innerhalb des Fokus Stadtstaaten der Liverpool Biennale 2010.
Von Eva Langret | Nov 2010City States (Stadtstaaten), eine der Satellitenausstellungen der diesjährigen Liverpool Biennale, untersucht das wechselnde Antlitz einer Reihe von dynamischen urbanen Gebieten in verschiedenen Teilen der Welt (einschließlich Jerusalem, Vilnius, Québec, Karibik, Taipeh) und präsentiert Kunstwerke, die durch die Erfahrung des Lebens an solchen Orten inspiriert sind. Die ambitionierte Größe und der Anspruch der Schau positionieren sie als eine Biennale innerhalb der Biennale, denn sie vereint über 70 Künstlerinnen, Künstler und Gruppen aus diversen Ländern, die 7 Teilausstellungen zugeordnet sind, von denen eine jede einen spezifischen geographischen Fokus hat. Durch den weiten kuratorialen Rahmen gelingt es nicht, den Umfang und die Vielfalt der in den Werken anzutreffenden Erzählweisen tatsächlich zusammenzubringen, doch zweifelsohne (und vielleicht unbeabsichtigt) hebt sie die einzigartige Stellung von Jerusalem unter den Stadtstaaten und erst recht in dieser Welt hervor.
Von zwei Völkern umkämpft, geteilt durch Religion, Ethnizität, Nationalität und Sprache, existiert Jerusalem in einem Stadium permanenter Spannung, befindet sich im Herzen des nahöstlichen Konflikts und eines großen Teils der gegenwärtigen Weltpolitik. Aspekte der Repräsentation von Jerusalems uneinheitlicher und fragmentierter Geographie sind für viele Künstler, die Werke über oder im Zusammenhang mit der Stadt schaffen, ein dringendes Thema kritischer Hinterfragung. Die von Samar Marta kuratierte und von Art School Palestine als Teil von City States organisierte Schau Future Movements (Künftige Bewegungen) ist eine Untersuchung der wechselnden urbanen Struktur von Jerusalem. Aber bei näherer Betrachtung bietet sie darüber hinaus eine Übersicht künstlerischer Strategien, die sich mit der Beziehung zwischen militärischen, sozialen, politischen und ökonomischen Konflikten sowie auch mit den Brüchen in deren Darstellungen beschäftigen. Viele der 14 Teilnehmer produzieren Einblicke in alternative Methoden, Jerusalem jenseits der existierenden Rhetorik (Shuruq Harb) und der Kanons des Journalismus, militärischer Intervention (Raouf Haj Yihya), staatlicher Propaganda oder des Tourismus (Jawad al Malhi) darzustellen.
Bouchra Khalilis Mapping Journeys 3 (2008) illustriert die höchst unwahrscheinliche Reiseroute eines in Ramallah lebenden jungen Mannes auf der Mission, seine Freundin in Ost-Jerusalem zu besuchen. Vanishing Point (Fluchtpunkt) von Alexandra Handal ist eine Mindmap des zerteilten Viertels Al-Musarah, ausgehend von ihren Erinnerungen an ein Treffen mit einem lokalen palästinensischen Flüchtling vor mehreren Jahren. Beide Werke funktionieren als bohrende Fragen über die epistemologischen Grenzen von Karten in Bezug auf das palästinensische Dilemma und verweisen auf die Lücke zwischen der Darstellung der erlebten Erfahrung und der Normativität des Dokuments. Handals Diagramm, eine Mischung aus real begründeten und imaginierten Erinnerungen, die aus diversen visuellen Genres und semantischen Feldern (einschließlich Werbung und Storytelling) entlehnt sind, verkörpern einen Versuch, eine entschwindende Welt permanent zu fixieren, ebenso wie es eine Illustration ihres Gedächtnisapparates und der Mäander ihrer Psyche ist. Die darstellerischen Disjunktionen in Vanishing Point I verwischen die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion und sinnen über die Erosion des Gedächtnisses und narrativer Möglichkeiten nach, ein Untersuchungsgebiet, das sie mit Maj Hasagers Two Within Close Range (2009, Zwei in Nahdistanz) teilt.
In Sarah Beddingtons Klagelied für Mamilla (2009) geht es um ähnliche Anliegen wie in Handals Vanishing Point I, doch die von beiden Künstlerinnen angewandten formalen Strategien sind grundverschieden. Das Video erfasst die prekäre Gegenwart von Ma’man Allah, einem muslimischen Friedhof auf einem Gelände, das nach 1948 zu israelischem Territorium geworden ist. Im Unterschied zu dem doku-fiktionalen Ansatz von Hasager oder Handal ist Klagelied für Mamilla strikt im dokumentarischen Genre angesiedelt. Die Arbeit wurde während des Künstleraufenthalts von Beddington in Jerusalem produziert, und die Produktionsbedingungen werfen unweigerlich die Frage nach dem einzigartigen Status eines Künstlers (und mehr noch eines besuchenden Künstlers) auf, der bzw. die unter außergewöhnlichen politischen oder sozialen Bedingungen operiert, was ein Aspekt ist, der auch Jakob Jakobsens Ramallah Lecture (2008) bewegt und den Kern vieler Aktivitäten von Art School Palestine betrifft. Welche Art von Intervention kann man sich vorstellen? Wie kann sich das zeitlich entfalten und welche Auswirkungen hat es? Wie übersetzt sich dies aus dem spezifischen lokalen Kontext, in dem es produziert ist (Jerusalem), in die globalen Bereiche künstlerischer Verbreitung (Liverpool)?
Das Projekt Al Jaar Qabla Al Dar (2009) vom CAMP postuliert eine mögliche Art der Intervention, die auf Teilnahme basiert. Das in Mumbai lebende Kollektiv lud eine Gruppe palästinensischer Anwohner ein, hinter Pan Tilt Zoom Kameras (Überwachungskameras mit Schwenkkopf und Zoom) zu schlüpfen, um ihre Viertel in und um Jerusalem herum zu dokumentieren. Während sie die Kameras bedienten, kommentierten die Anwohner spontan das Bildmaterial, das sie aufnahmen. Die üblicherweise aufgesplitteten, unterschiedlichen Rollen von Regisseur, Thema, Kommentator und Cutter fallen in Raum und Zeit zusammen, und so ergeht es auch den Prozessen des Aufnehmens, Editierens und der Interpretation des Bildmaterials. Al Jaar Qabla Al Dar wirft Konventionen der Autorenschaft im Genre der Dokumentation und die existierenden Hierarchien der Film- und Videoproduktion radikal über den Haufen. Indem dies geschieht, vermeidet das Projekt die problematische Behauptung einer Objektivität und Neutralität, durch zu einer Diskreditierung filmischer Dokumentarpraxis geführt hat. Indem die palästinensischen Bewohner das, was zu sehen ist, und ihre Distanz zu Anderen bewerten, ist der Betrachter dazu aufgefordert, sich auf einen ähnlichen Reflexionsprozess einzulassen und sich angesichts der Politik der Repräsentation, die sich in Al Jaar Qabla Al Dar und einigen anderen in Future Movements präsentierten Werken artikuliert, seiner Rolle als Bildkonsument bewusst zu werden.
Eva Langret
Kuratorin; lebt in London, wo sie gegenwärtig als Programme Manager in der The Delfina Foundation arbeitet.
Kuratorin: Samar Martha
Künstler/innen:
Sarah Beddington
Anna Boggon
CAMP Group
Raouf Haj Yihya
Alexandra Handal
Shuruq Harb
Maj Hasager
Jakob Jakobsen
Bouchra Khalili
Jawad Al Malhi
Larissa Sansour
Oraib Toukan
Basel Abbas & Ruanne Abou Rahme
Organisiert von ArtSchool Palestine
Future Movements - Jerusalem
Teil der
Liverpool Biennale 2010
Ausstellung: City States
(Stadtstaaten)
18. Sept. - 28. Nov. 2010