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Rückschau, Blick nach vorn? Die 9. Biennale Afrikanischer Kunst in Dakar, Senegal.
Von J. Bouwhuis & K. Winking | Mai 2010Es stellt sich die Frage, ob die Entscheidung, die 9. Edition der Biennale Dak'Art in eine "internationale Ausstellung" und eine Retrospektive zu unterteilen, wirklich glücklich war. Die Retrospektive zeigte jüngere Werke der Künstler, die in vorangegangenen Biennalen den Großen Preis Leopold Sedar Senghor gewonnen haben, wie etwa Mounir Fatmi (2006), Viyé Diba (1998) und auch der verstorbene Moustapha Dimé, der 1992 als erster den Preis mit einem Wert von etwa 7.500 Euro erhielt. Es war gut, in einer attraktiven, multidisziplinären Präsentation die Werke derjenigen zu sehen, die als die besten Teilnehmer der Dak'Art gelten, doch als Konsequenz dieser Entscheidung gab es nur eine relativ kleine internationale Ausstellung mit lediglich 27 Künstlern. Außerdem entschied das zuständige Auswahlkomitee, nur Bewerber in Betracht zu ziehen, die noch nie bei einer Dak'Art vertreten waren, wozu als Hauptinstrument die offene Ausschreibung für Künstler afrikanischer Herkunft diente (die Ausschreibung ist typisch für diese Biennale). Obwohl ein solches Verfahren der Schau einen frischen Impuls hätte geben können, sind alle weiteren Kriterien des Auswahlprozesses im Grunde negativ gewesen: keine Dokumentarfotografie, keine (abstrakten) Kunstwerke, die einer schriftlichen Erläuterung bedurft hätten, kein Design und keine Skulptur unter Verwendung von "Recycling" [1]. Und so ist die Hoffnung auf eine kühne Ausstellung während der Jurysitzung offenbar nach und nach wegrationalisiert worden. Es gab keinen speziellen Fokus auf irgendwelche künstlerischen Themen, keinen kuratorialen Funken, was dazu führte, dass die internationale Schau statt eines spannenden Events, den man erwartet hätte, mehr wie eine schlechte Kunstmesse aussah und der Biennale insgesamt ihr Zeichen der Ignoranz aufdrückte.
Nichtsdestotrotz verdienen einige Projekte eine nähere Betrachtung. Der diesjährige Gewinner des Senghor-Preises ist Moridja Kitenge Banza, ein in Nantes, Frankreich, lebender kongolesischer Künstler. Er präsentierte eine Installation, zu der u.a. die nicht so originelle Idee einer einheitlichen afrikanischen Währung sowie eine romantische Darstellung von Sklavenschiffen gehörte. Weitaus bewegender ist jedoch seine Videoprojektion Hymne à Nous (Hymne an uns selbst). Sie zeigt den Künstler selbst nackt und in mehrfacher Erscheinung, wobei seine vervielfachte Gestalt zu einem Chor arrangiert ist, der eine französische Interpretation der Hymnen des Kongo und Belgiens singt, basierend auf Beethovens Ode an die Freude, der Hymne Europas. Auf gelungene Weise sind hier die Geschichte der Sklaverei, Giorgio Agambens Konzept des Homo Sacer und der Geist der Revolution in einem sehr eindringlichen Kunstwerk zusammengebracht worden. Einer der wenigen fotografischen Beiträge stammt von Hasan und Husain Essop, Zwillingen aus Kapstadt. Sie beschreiben sich selbst als fundamentalistische Muslims und untersuchen die Bedeutung dieses Statements in ihrem Werk: einer Serie inszenierter Fotografien, auf denen zu sehen ist, wie die Künstler ihren Glauben und ihre religiösen Rituale an ungewöhnlichen Orten in ihrer südafrikanischen Heimatstadt und in deren Umkreis praktizieren. Auch ein dokumentarisches Fotoprojekt von Patrick Gaël Wokmeni, der kamerunische Rapper im rauen urbanen Ambiente von Duala porträtierte, schaffte es in die Ausstellung.
Obwohl das Recycling von Gegenständen eigentlich aus der Hauptausstellung verbannt war, ist es dennoch allgegenwärtig, vor allem in den nicht weniger als 130 parallelen Projekten. Der dritte Teil des offiziellen Biennaleprogramms ist eine Ausstellung haitianischer Künstler, in der u.a. mit einer großen, immersiven Medieninstallation von Mario Benjamin und Maksaens Denis auf das verheerende Erdbeben Bezug genommen wird - auch das ist im Vergleich zur internationalen Ausstellung ziemlich experimentell. Möglicherweise faszinierender sind die bescheidenen Skulpturen von Jean Hérard Céleur, die aus Holz geschnitzte Figurinen mit Metallabfällen kombinieren. Recycelte Objekte gab es auch in einer kleinen aber eleganten parallelen Schau in der Avenue Hasan, die von der Nationalgalerie Nigerias zusammengestellt wurde. Darin präsentiert Kainebi Osahenye Verluste, eine große Wand bedeckt mit leeren Getränkebüchsen, die sich in den Ausstellungsraum hinein ausbreiten. Man könnte der Arbeit vorwerfen, das obsolete akademische Prinzip der informellen Kunst anzuwenden, aber andererseits ist es ein beeindruckendes Element der Präsentation, das auch für James Uche Irohas dokumentarische Fotografien von Wasserträgern in der Stadt der Extreme, in Lagos, gelten mag. Mounir Fatmis Beitrag zur retrospektiven Ausstellung der Biennale könnte ebenfalls des Recycelns bezichtigt werden: in dem Video Schöne Sprache von 2010 stellte er Szenen aus Truffauts Film Der Wolfsjunge von 1970 in einer Stakkato-Edition zusammen, der er interferierende elektronische Töne und arabische Titel ohne jegliche Übersetzung hinzufügte. Damit übertrug er den Stoff des Films, ein im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts in der Wildnis aufgefundenes Kind sowie Truffauts besonderes Augenmerk für die Darstellung von Momenten gegenseitiger Kommunikation und Missverständnisse, auf den besorgniserregenden "Zusammenprall von Zivilisationen" in der heutigen Zeit. Dies sind nur drei der vielen möglichen Beispiele ganz unterschiedlicher Formen des Recycelns, die in Dakar anzutreffen waren. Sie näher zu untersuchen, könnte jedwedem kuratorialen Unterfangen wahrscheinlich nützlicher sein, als die Readymade-Ästhethik an sich einfach nur kategorisch zurückzuweisen, so wie es die Jury im Falle der internationalen Ausstellung tat.
Aber was vielleicht noch mehr überrascht, ist die Art wie Kunst in dieser Biennale ihre "Afrikanität" herausstellt. In der Hauptausstellung und überall sonst beziehen sich Werke auf Sklaverei, Migrationsthemen und Gewalt. Passen diese aber nicht genau in die Stereotypen westlicher Medien, wann immer es in diesen um Afrika geht? In einem Vortrag im Rahmen des Diskursprogramms der Biennale warf Salah Hassan westlichen Museen vor, islamische Kunst einseitig zu profilieren, indem sie sich nur auf den "guten Islam", so wie sich der Westen den Islam wünscht, fokussieren. Aber die radikalere Kunst, die den "schlechten Islam" aufgreift, sei aus solchen Ausstellungen meist ausgeschlossen. Man könnte das Gleiche von dieser Biennale afrikanischer Kunst sagen: sie gibt sich Gemeinplätzen und Stereotypen von Afrika hin. Man fragt sich, ob es keine spezifischeren Geschichten gibt, die aufzugreifen wären, z.B. lokale Geschichten, moderne oder alte - der Welt könnte eine Menge über Afrika mitgeteilt werden, das unbekannt ist, aber wahrscheinlich wesentlich interessanter wäre, als die üblichen Klischees. Es ist kein Zufall, dass Dokumentarfotografie aus Afrika gegenwärtig gerade deshalb ziemlich erfolgreich ist, weil sie die Vielseitigkeit des Lebens auf dem Kontinent zeigt. Könnte die Kunst sich dann nicht vielleicht stärker für ein vielschichtigeres historisches Bewusstsein öffnen? Könnte eine für Künstler offene Ausschreibung nicht versuchen, die Einreichungen mehr in eine solche Richtung zu lenken? Egal was dadurch zustande kommt, es würde dieser Biennale zumindest ein Thema bieten.
Die Dak'Art ist in den panafrikanischen Sehnsüchten des ersten Präsidenten Senegals, Leopold Senghor, und seiner Kameraden verwurzelt, und der Panafrikanismus - egal, wie erledigt seine Utopie auch sein mag - bleibt ein starker Faktor der populistischen Politik des gegenwärtigen Präsidenten Abdoulaye Wade. Dieser selbst ist der alleinige Schöpfer von Afrikanische Renaissance, einem vor kurzem an der Westküste von Dakar errichteten Denkmal von totalitären Proportionen, und damit des schlechten Geschmacks, der möglicherweise die Zukunft der Biennale bestimmen könnte, wenn man in Betracht zieht, dass die Organisation dieser Veranstaltung in erster Linie in den Händen des Staates liegt. Aus strategischen Gründen entschied sich die Biennale dieses Jahres zurückzublicken: die Budgets werden gekürzt, und man könnte um ihre Zukunft besorgt sein. Die Notwendigkeit der Introspektion durchzieht nahezu alle Essays im Katalog, der die Biennale begleitet. Aber wenn wir uns die Edition dieses Jahres vergegenwärtigen, bangen wir tatsächlich um deren Zukunft, falls sich die Biennale nicht letztendlich doch zu einer kuratorialen künstlerischen Zielsetzung entschließt, die eine höhere Ebene des Denkens in Bezug auf afrikanische Kunst anstrebt.
Anmerkung:
J. Bouwhuis & K. Winking
Jelle Bouwhuis: Leiter des Stedelijk Museum Bureau Amsterdam, Niederlande. Kerstin Winking: Assistenzkuratorin am Stedelijk Museum Bureau. Beide arbeiten am Fotschungsprojekt "1975" zu postkolonialer und zeitgenössischer Kunst.
9. Dak'Art 2010
Biennale Zeitgenössischer Afrikanischer Kunst
7. Mai - 7. Juni 2010
Dakar, Senegal
Thema:
Dak'Art 1990 > 2010:
Retrospektive und Aussichten
Kurator*innen:
Kunle Filani
Marylin Martin
Marème Malong Samb
Sylvain Sankalé
Rachida Triki