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Vorzeigen handwerklichen Geschicks oder konzeptuelle Strategie? Kritische Einschätzung.
Von Hammad Nasar | Mai 2010Nirgendwo sonst ist die angestiegene Popularität von Kunst aus Pakistan deutlicher sichtbar geworden als in der zeitgenössischen Miniatur. Sie wird vor allem von Absolventen der Miniaturabteilung des National College of Arts (NCA) in Lahore vertreten, und zu den führenden Protagonisten gehören Shahzia Sikander, Imran Qureshi, Aisha Khalid und Nusra Latif Qureshi [1]. Diese Künstlerinnen und Künstler zirkulieren in der internationalen Kunstwelt der Ausstellungszentren, Biennalen und Kunstmessen und sind maßgeblich daran beteiligt gewesen, für die vielversprechenden nachfolgenden Talente einen Claim für zeitgenössische Miniatur als einen "Ismus" abzustecken. Dieser Anspruch wurde untermauert durch etliche beachtliche Ausstellungen in Museen weltweit, oftmals begleitet von grundlegenden akademischen Publikationen [2].
Dieses stark gewachsene Interesse ist nicht unangefochten geblieben. In den heimischen Gefilden ist die Popularität der Miniaturabteilung des NCA in Lahore durch ihren kommerziellen Erfolg befleckt worden. Es wird behauptet, deren Attraktivität für Studenten sei lediglich darauf zurückzuführen, dass neue Generationen ihren Nutzen aus der Plattform ziehen wollen, die von den vergangenen Anstrengungen und dem gegenwärtigen Status einiger der eingangs erwähnten Künstlerinnen und Künstler geschaffenen geworden ist. Kurzum, es heißt (in gewissen Kreisen), die "Miniatur" sei zu einem Etikett leicht exportierbarer Exotica für einen internationalen Markt geworden, der nach etwas Konsumierbarem Ausschau hält, das irgendwie pakistanisch aussieht.
Bevor ich mich um eine kritische Bewertung dieser Angelegenheit bemühe, möchte ich ein offenes Wort in eigener Sache voranschicken. Als Kurator und Ko-Kurator verschiedener Ausstellungen und Autor diverser Texte zu dem Thema sowie als Mitbegründer von Green Cardamom - einer Kunstorganisation, die mit verschiedenen Künstlern arbeitet, die auf die eine oder andere Weise mit Miniatur assoziiert werden - bin ich kein neutraler Beobachter. Aber das macht aus mir keineswegs einen unkritischen Cheerleader. Ich würde ganz im Gegenteil behaupten, dass meine enge Involviertheit im letzten Jahrzehnt die sofortige Begeisterung gemindert hat, die andere angesichts talentierter Zeichenkunst auf mit Tee eingefärbtem Waslipapier (ein Muss für die meisten Miniaturabsolventen der NCA) empfinden mögen, und mich dazu befähigte, sehr wohl unterscheiden zu können zwischen zeitgenössischen Künstlern, von denen die verführerische Ästhetik und die formalen Elemente der Miniatur als eine Strategie für eine kritische, scharfsinnige Kunst benutzt werden, und jenen, deren Arbeitsweise nicht über das bloße Vorzeigen handwerklicher Fertigkeiten zur Erfreuung des Auges hinausgeht (im lokalen Jargon herablassend als "Schreiben des Korans auf einem Reiskorn" abgetan - großartig, wenn man das könnte, aber wozu?).
Mit diesem Hintergrund möchte ich ein paar Aspekte der zeitgenössischen Miniatur erörtern, und zwar ausgehend von einer gegenwärtigen Ausstellung mit dem Titel Beyond the Page: The Miniature as Attitude in Contemporary Art From Pakistan (Jenseits der Seite: Die Miniatur als Standpunkt in der Zeitgenössischen Kunst Pakistans) im Pacific Asia Museum von Pasadena, USA [3]. Die Ausstellung untersucht die anhaltende Bedeutung der Miniaturmalerei in der zeitgenössischen Kunst Pakistans und legt über das Schaffen von dreizehn innovativen Künstlern (geboren zwischen 1928 und 1986) deren radikale Transformation offen.
Wie so vieles Andere in der zeitgenössischen Kunst, agiert zumindest ein Teil der Werke in Beyond the Page auf konzeptueller Ebene. Doch für diese Künstler ist die Arbeit des Geistes niemals weit entfernt von jener der Hand, und konzeptuelle Anliegen sind eng verbunden mit der Praxis des Machens: so ist z.B. das Raster gleichzeitig ein Arbeitswerkzeug, ein ästhetischer Archetyp, ein modernistisches Ideal und ein symbolischer Bezug zum spezialisierten Training der NCA [4]. Deshalb kann die Miniatur als eine Herangehensweise an das Machen von Kunst gesehen werden, bei der sich Handwerk und Konzept vermählen.
Durch diese Bedeutung handwerklicher Fertigkeiten hebt sich die zeitgenössische Miniatur von der allgemeinen Strömung der heutigen euro-amerikanischen Kunstpraxis ab. Die zeitgenössische Miniatur ist auch dahingehend anders, dass sie dem euro-amerikanischen Konzept der Avantgarde entgegen gerichtet ist. Die sie Ausführenden sind nicht innovativ, indem sie alles was es zuvor gab zurückweisen, sondern weil sie die traditionellen Fertigkeiten meisterlich beherrschen und dann über diese hinausgehen [5].
Ein weiterer anzumerkender Punkt ist, dass obwohl die Künstler in Beyond the Page direkt auf die reiche Geschichte der Miniaturmalerei in Südasien reagierten, nur sieben der insgesamt dreizehn Teilnehmer als Miniaturmaler ausgebildet worden sind. Eine solche Neigung, die Möglichkeiten der Miniatur auszuschöpfen, ist nicht neu. Im Falle der indo-persische Miniatur war und ist sie in gewisser Weise nach wie vor ein wesentlicher künstlerischer Bezugsrahmen für Künstler aus Südasien: eine Position der Kunst gegenüber, die nicht so verschieden von der Haltung ist, die es in Euro-Amerika zur europäischen Renaissance gibt [6]. Aber solche Künstler wie Hamra Abbas, Faiza Butt, Ali Kazim und Rashid Rana, um nur einige zu nennen, wenden technische und strukturelle Eigenarten der Miniatur auf eine veränderte Weise als Teil ihres unterschiedlichen künstlerischen Schaffens an, das von der Skulptur bis zur Fotografie reicht. Die Intimität des Zusammentreffens bei ihnen allen ist ein Echo des bewundernden Herumreichens eines illuminierten Manuskripts von Höfling zu Höfling: in ihrer Blütezeit wurde die Ausdrucksform der Miniatur als solche erkannt und bestaunt.
Die mühselige Arbeit des Miniaturmalers findet ihren Niederschlag auch in der Aufmerksamkeit der heutigen Künstler für die physischen Qualitäten des Kunstobjekts. Und sie ist in ihren ureigenen, arbeitsaufwendigen, virtuosen und manchmal geradezu obsessiven Prozessen zu erkennen. So konstruiert z.B. Noor Ali Chagani kleine Wände und andere skulpturale Formen aus minuziösen Repliken sonnengetrockneter Ziegel. Hamra Abbas baut Falthäuser aus akribisch collagierten, bedruckten Papierstreifen. Rashid Rana setzt wandgroße digitale Bilder aus Myriaden winziger Fotografien zusammen, von denen jede einzelne ein anderes Motiv zeigt. In diesen drei verschiedenen Medien widerspiegeln die Künstler die par dokht Technik (dem europäischen Pointillismus ähnlich) der Miniaturmalerei, bei der die gemalte Fläche aus einzelnen Punkten zusammengesetzt ist.
Die Ausstellung belegt, dass die Künstler nicht länger die Enge binärer Wahlmöglichkeiten akzeptieren: zwischen dem Traditionellen und dem Modernen, zwischen Handwerk und Konzept, zwischen lokal und international, zwischen Inhalt und Form. In diesem Sinne trägt Beyond the Page zur Ausformung des Gedankens bei, dass die Gesinnung der Miniatur in weiterreichende künstlerische Praktiken eingegangen ist. Oder, um es mit einem Satz von Rosalind Krauss zu sagen, sie wurde zum "ausgeweiteten Feld" der Miniatur [7]. Und in diesem ausgeweiteten Feld hat die Miniatur in Kombination mit anderen Einflüssen und Anliegen in der zeitgenössischen Kunst Pakistans etwas ziemlich Potentes und Andersartiges hervorgebracht. Angesichts all dessen scheint es simplifizierend oder zumindest zu bequem zu sein, eine generische Diskussion über die Auffassung zu führen, dass Miniatur "ausverkauft" oder zur Ware wird. Die Miniatur in ihrem ausgeweiteten Feld ist in der zeitgenössischen Kunst Pakistans viel zu stark verankert als dass man angesichts dessen lediglich von einer allgemein verbreiteten Modeerscheinung sprechen könnte.
Das soll aber nicht bedeuten, dass alle Kunst, die von den auf dem Gebiet der Miniatur Ausgebildeten oder sich darauf Beziehenden produziert wird, großartig sei. Es gibt jede Menge auf Reiskörner geschriebene Korane. Indem die Heimindustrie mehr und mehr miniaturistische Pilze produziert, wird auch der Grad handwerklicher Fertigkeiten immer unterschiedlicher. Aber im Schaffen der jüngsten drei Künstler dieser Ausstellung - Muhammad Zeeshan mit seinen dramatischen Zeichnungen, entstanden durch die gegenseitige Annihilation von Materialien (heftig auf Sandpapier geriebener Bleistift), Noor Ali Chagani mit seinen Skulpturen aus kleinen Terrakottasteinen und Rehana Mangi mit ihren obsessiv aus eigenen Haaren gestickten Mustern - gibt es genügend Belege dafür, dass die einzigen Grenzen der Miniatur in der künstlerischen Imaginationskraft liegen.
Anmerkungen:
Hammad Nasar
Kurator, Autor und Mitbegründer der Kunstorganisation Green Cardamom in London.
Künstler*innen:
Hamra Abbas
Zahoor ul Akhlaq
Faiza Butt
Noor Ali Chagani
Ali Kazim
Aisha Khalid
Rehana Mangi
Hasnat Mehmood
Imran Qureshi
Nusra Latif Qureshi
Rashid Rana
Anwar Jalal Shemza
Muhamad Zeeshan
Kuratiert von Hammad Nasar
mit Bridget Bray und Anna Sloan
Organisiert von Green Cardamom und dem Pacific Asia Museum
Beyond the Page
The Miniature as Attitude in Contemporary Art from Pakistan
18. Februar - 27. Juni 2010