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Interview mit Gema Martín Muñoz, Generaldirektorin der Institution in Madrid und Córdoba, Spanien.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Sep 2010Die Casa Árabe [Arabisches Haus] und ihr Internationales Institut für Arabische und Muslimische Studien ist ein Konsortium, das am 6. Juli 2006 vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und der Spanischen Agentur für Internationale Entwicklung, den autonomen Kommunen von Madrid und Andalusien und den Stadträten von Madrid und Córdoba gebildet wurde. Mit den beiden Hauptquartieren in Madrid und Córdoba soll die Casa Árabe dazu beitragen, die vielfältigen Beziehungen zu arabischen und muslimischen Ländern zu stärken, sowie ein Referenzpunkt für das Studium und die Kenntnis der Realität und Geschichte dieser Länder sein. Die Institution will eine wechselseitige Aufgabe erfüllen, indem sie Wissen über die arabische und muslimische Realität im europäischen und westlichen Kontext und wie auch umgekehrt verbreitet. Das geschieht im Rahmen von Kooperationen und institutioneller Interaktion, die darauf abzielen, eine Brücke der Kommunikation und der Beziehungen zwischen den jeweiligen Gesellschaften aufzubauen. Es soll eine Arena gegenseitigen Wissens und gemeinsamer Auffassungen, ein Treffpunkt, geschaffen werden.
(Aus dem Einführungstext auf der Website der Casa Árabe)
Interview mit Gema Martín Muñoz, Generaldirektorin von Casa Árabe-IEAM
Haupt & Binder: Casa Árabe wurde auf höchstem politischen Niveau initiiert. Welche Gründe und Kontexte veranlassten die spanische Regierung und ihre Partner, diese Institution mit einem so umfangreichen Spektrum an Aufgaben und Zielstellungen zu gründen?
Gema Martín Muñoz: Die Gründe haben ebenso mit der großen Bedeutung der arabischen und islamischen Region in den internationalen Beziehungen wie mit dem wichtigen Platz zu tun, den dieser Teil der Welt in der spanischen Außenpolitik einnimmt. Die geographische Nähe, die historischen Verbindungen, die Anwesenheit einer großen Zahl maghrebinischer Emigranten, die mediterrane Berufung Spaniens als eines Landes im Süden Europas sind alles Faktoren, aus denen sich die besondere Relevanz einer Institution wie der Casa Árabe auf den Gebieten des Wissens, der Popularisierung, der öffentlichen Diplomatie und der Forschung über die arabischen und islamischen Länder erklärt. Unsere Arbeit erfüllt eine wichtige soziale und politische Rolle. Einerseits, um zur Anreicherung von Wissen beizutragen, den direkten Austausch zwischen den Einen und den Anderen zu normalisieren und Vorurteile in unseren jeweiligen Gesellschaften abzubauen. Andererseits um daran mitzuwirken, die Rolle Spaniens als Vermittler zur arabischen Welt im europäischen und internationalen Rahmen zu stärken.
H. & B.: Waren Sie persönlich in den Gründungsprozess der Casa Árabe involviert? Sie sind eine anerkannte Akademikerin, Forscherin, Dozentin und Autorin von Fachbüchern. Warum haben Sie den akademischen Bereich verlassen, um sich einer so hoch komplexen Aufgabe wie der Leitung der Casa Árabe zu widmen? Worin sehen sie persönlich die besonderen Herausforderungen und Potenziale ihrer Tätigkeit als Direktorin dieser Institution?
G. M. M.: Die Casa Árabe existiert Dank Miguel Ángel Moratinos, dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten und Kooperation Spaniens. Bei vielen Gelegenheiten kommentierte er mir gegenüber, wie notwendig es für Spanien sei, eine solche Institution zu schaffen. Und als er die Möglichkeit dazu hatte, nahm er das Projekt in Angriff und rief mich an, damit ich ein Konzept dafür entwickle und dieses umsetze. So habe ich dann tatsächlich die großartige Gelegenheit gehabt, die Casa Árabe zu gründen und die Ideen zu verwirklichen, die ich schon seit vielen Jahren im Kopf hatte. Für eine Spezialistin hierzulande ist das ein Traum, deshalb denke ich, der größte Nutzen, den ich aus dem ganzen Wissen und der Erfahrung ziehen kann, die ich in fünfundzwanzig Jahren Tätigkeit als Forscherin an der Universität gesammelt habe, besteht darin, diese in den Dienst der wichtigsten empirischen Arbeit meines Lebens zu stellen und in höchst möglichem Maße zu öffentlicher Wirkung zu bringen: nämlich die Casa Árabe zu gründen und zu leiten. Jetzt ist dies also meine Mission, aber wenn ich die Casa Árabe irgendwann verlassen sollte, werde ich mich wieder ganz der akademischen Arbeit und dem Schreiben von Büchern widmen. Außerdem hatte ich das Privileg, mein gesamtes Team persönlich auswählen zu können, weshalb ich auf Leute zählen kann, die für das Projekt so begeistert und interessiert sind wie ich selbst. Alle gemeinsam bauen wir die Realität der Casa Árabe auf.
Wir stehen vor vielen Herausforderungen, weil es hinsichtlich des Arabischen und Islamischen eine große Sensibilität und zahlreiche negative Vorurteile gibt, so dass man nicht nur daran arbeiten muss, die Leere dessen zu füllen, was schlichtweg ignoriert wird, sondern weil diese Ignoranz auch voller schwer zu ändernder Vorstellungen ist. Aber davor schrecke ich nicht zurück, denn ich weiß sehr gut um die Wissenslücken und die ideologischen Fallen, die in Bezug auf die arabische und islamische Welt konstruiert werden, sowie um die unzureichend bekannten sozialen, politischen und kreativen Pluralitäten, die sich derzeit entwickeln und die mehr zur Kenntnis gebracht werden müssen. Und es gibt mir sehr viel, etwas über die neuen Realitäten zu lernen, mit denen ich mich bislang aus Zeitgründen noch nicht beschäftigen konnte. Das bereitet mir großen Spaß, weil ich weiter Dinge lerne und entdecke, auf die ich ohne die Casa Árabe nicht gekommen wäre.
H. & B.: Die Casa Árabe bietet eine unglaublich breite Palette an Programmen und Diensten an: akademische Forschung und Prognosen, Konferenzen, Seminare und Diskussionsrunden, spezialisierte Publikationen, ein sozioökonomisches Programm und Beratungen für Unternehmen, ein weit reichendes Bildungsprogramm, die Bibliothek und das Multimediazentrum, Filmvorführungen, musikalische Aufführungen und Ausstellungen, ein jährliches Ramadan-Festival im Viertel Lavapiés in Madrid, um nur einiges zu nennen. Was davon hat sich als die effektivsten Möglichkeiten erwiesen, ein neues Publikum zu erreichen, und welches sind die größten Herausforderungen?
G. M. M.: In quantitativer Hinsicht ist unser gesamtes öffentliches Programm das effektivste Instrument, ein sehr diverses neues Publikum zu gewinnen und heranzuziehen, weil es über den Rahmen der an sich schon Interessierten oder professionell mit der arabischen Welt beschäftigten hinausgeht. Ohne Zweifel hat das ständige Filmprogramm große Wirkung erzielt, ebenso wie die geselligen Zusammenkünfte, die wir anlässlich von Buchpräsentationen aktueller arabischer Autoren organisieren. Und die Mediathek trägt ganz erheblich dazu bei, ein neues Publikum für die Casa Árabe zu gewinnen. In qualitativer Hinsicht hat die Casa Árabe sehr innovative Aktionsfelder, mit denen das Interesse neuer Leute geweckt werden konnte. So zum Beispiel das, was wir auf den Gebieten der Architektur, der Videokunst, der erneuerbaren Energien, der Spiritualität des Islam etc. realisiert haben und was gesellschaftliche Gruppen und Spezialisten anzieht, die nicht Teil des üblichen oder allgemeinen Publikums sind.
Ohne Zweifel stellen sich die größten Herausforderungen im Zusammenhang mit allen Themen, die von den Massenmedien aufgeblasen und stark vereinfacht abgehandelt werden. Sie bestehen u.a. darin, etwas gegen eine kulturalistische oder essentialistische Analyse von Konflikten und Akteuren im Nahen und Mittleren Osten zu tun; das Verständnis der unterschiedlichen Spielarten des Islam in ihrem Kontext und ihrer Vielgestaltigkeit zu fördern; sich mit den Fragen hinsichtlich der Muslime im Westen und der Polemik gegen Schleier und Minarette sowie der wachsenden Islamfeindlichkeit auseinanderzusetzen. Das ist eine sehr schwierige und langwierige Arbeit, die zuallererst die Analyse und soziologische und politische Studien unseres Internationalen Instituts für Arabische und Muslimische Studien verlangt und erst danach entsprechende Verbreitung finden kann. Es ist eine äußerst wichtige und aber auch komplexe Aufgabe, weil sie die Hauptwurzel der Stereotypen und Vorurteile betrifft.
H. & B.: Ihr Programm von Kunstausstellungen soll "das Avantgardistischste und Innovativste zeitgenössischer arabischer Kunst" präsentieren. Warum setzen Sie so explizit diesen Fokus? Wie werden die Ausstellungen bei Ihnen konzipiert? Ist die Casa Árabe für Vorschläge von externen Kuratoren und Künstlern offen?
G. M. M.: Der Casa Árabe geht es ganz besonders um das Aktuelle und Zeitgenössische. Das ist auf dem Gebiet der Kunst besonders wichtig, weil ich der Meinung bin, dass wir über den künstlerischen Wert dessen, was wir ausstellen, hinaus das Ziel verfolgen müssen, vorgefasste Vorstellungen zu ändern, die in Bezug auf das Verständnis der arabischen und islamischen Welt so viel Schaden anrichten. Deswegen ist es ein Anliegen dieser Institution, zu zeigen, dass arabische Künstler von heute innovativ sind und kreativ zu den Strömungen der internationalen Kunst beitragen. Eine der stereotypen Vorstellungen, die für gewöhnlich durch die westliche Sicht der gegenwärtigen arabischen Realität geistern, ist die vermeintliche Stagnation kreativer und innovativer Prozesse. Es ist ein allgemein verbreitetes Phänomen, den Blick nur in die Vergangenheit zu richten, wenn arabischer Kultur und Kreativität Anerkennung gezollt wird (Omayyaden, Abbasiden, al Andalus). Der Wert und die Bedeutung dieses historischen Erbes steht außer Zweifel, das Problem ist jedoch, dass eine nahezu ausschließliche Konzentration auf dieses klassische Erbe dabei auch indirekt impliziert, nach diesen weit zurückliegenden Jahrhunderten gäbe es nichts weiter als kulturellen Niedergang und fehlende Kreativität. Doch die Realität ist ganz anders. Die neuen arabischen Generationen sind an die Innovation und das internationale Kunstgeschehen angeschlossen und tragen ausgehend von ihrem eigenen Kontext und ihrer Individualität zum globalen Kunstprozess bei. Das ist es, was die Casa Árabe zeigen möchte.
Üblicherweise konzipiert die Casa Árabe die Projekte, die sie realisieren möchte, und sucht die geeigneten Kuratoren dafür. Aber das ist keine unumstößliche Regel. Gute Vorschläge sind immer willkommen, wenn sie mit unseren Zielen übereinstimmen.
H. & B.: Die Casa Árabe hat auch ein Programm "Amerikanisches Arabien". Was ist darunter zu verstehen und welche Aktivitäten finden in diesem Rahmen statt?
G. M. M.: Als ich vor langer Zeit begann, nach Lateinamerika zu reisen, um dort Vorträge über den Nahen Osten zu halten, fiel mir die reiche und intensive arabische Präsenz auf dem amerikanischen Kontinent auf, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht und ihren Ausdruck in wichtigen Beiträgen zur Formation amerikanischer Nationalitäten gefunden hat. Das ist ein kaum bekannter Sachverhalt. Deshalb habe ich bei der Ausarbeitung des Konzepts der Casa Árabe diese Dimension als eines ihrer Aktionsfelder integriert. Die Beziehung zwischen der arabischen Welt und dem Westen sollte durch die Einbeziehung der Amerikas und der dortigen Erfahrungen mit dem Arabischen bereichert werden. Außerdem ist Spanien in einer privilegierte Lage, solche Beziehungen fördern zu können, und mit der Casa Árabe würde das Land auch über eine Institution verfügen, die als Brücke funktioniert. So entstand der letztendlich Arabia Americana genannte Schwerpunkt, in dessen Rahmen wir ein spezielles Programm dazu ausarbeiten, das wir in Spanien, Amerika und den arabischen Ländern realisieren. Das geschieht neben den vielen Programmpunkten über arabische Länder, die wir an sich schon nach Lateinamerika bringen, damit das Wissen über diese aktuelle Wirklichkeit auch dort verbreitet wird, wo es noch weniger bekannt ist als in Europa.
H. & B.: Welches sind die Höhepunkte, die von der Casa Árabe geplant oder in Vorbereitung sind, speziell im Bereich von Kunst und Kultur?
G. M. M.: Derzeit bereiten wir eine Ausstellung über das moderne und innovative Schaffen arabischer Kalligraphie vor, in der fünf der gegenwärtig besten Kalligraphen vorgestellt werden. Zu zeigen, wie man ausgehend von einer der klassischsten Kunstformen innovativ sein kann, ist eine hervorragende Möglichkeit, feste Vorstellungen und Stereotypen in dem von mir zuvor schon erläuterten Sinne zu durchbrechen.
Ein wichtiges Highlight des Jahres 2011 ist alles was mit dem 1300. Jahrestag der Ankunft der Araber in Spanien (711) zu tun hat. Es ist von großer Bedeutung, dass die Casa Árabe dieses Ereignis, das unsere Geschichte nahezu acht Jahrhunderte lang maßgeblich bestimmte, analysiert, darüber reflektiert und debattiert. Immerhin handelt es sich um ziemlich viel mehr Jahrhunderte als seit dem Ende der arabischen Präsenz in Spanien 1492 bis heute vergangen sind. All das geschieht mit einem Grundanliegen: die Vergangenheit verstehen, um die Gegenwart besser interpretieren zu können. In diesem Rahmen veranstalten wir in Córdoba, wo wir eine Niederlassung haben, vom 4. bis 6. Februar 2011 die Encuentros Averroes [benannt nach dem spanisch-arabischen Philosophen, Arzt und Mystiker, auch als Ibn Ruschd bekannt, 1126 Córdoba - 1198 Marrakesch - Anm. d.Ü.], die dem "Paradigma von Córdoba: drei Religionen und eine andalusische Kultur" gewidmet sind. Es ist eine Reihe von Rundtischgesprächen über Erfahrungen der Vergangenheit, die sich an ein breites Publikum und an die Massenmedien richten und sowohl die verherrlichenden wie auch die negierenden Mythen demontieren sollen, indem sie die Gegenwart im Lichte der weit zurückreichenden Beziehungen zwischen der islamischen Welt und dem Westen untersuchen. Neben den Debatten wird es Film- und Musikprogramme geben.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
Casa Árabe und ihr Internationales Institut für Arabische und Muslimische Studien in Madrid und Córdoba, Spain.