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Die jemenitische Fotografin fordert Klischees heraus und sucht nach alternativen Diskursen.
Von Anahi Alviso-Marino | Okt 2010Nach dem 11. September 2001 sind die ideologischen Fallen, die in Bezug auf arabische und islamische Länder aufgestellt wurden, für viele visuelle Künstlerinnen und Künstler aus diesen Teilen der Welt zunehmend zu einem Fokus der Dekonstruktion geworden. Dieses Anliegen hat die jemenitische Fotografin Boushra Almutawakel, die damals gerade in den USA studierte, dazu gebracht, den Worten der ägyptischen Autorin Nawal al Saadawi über die den Blicken auf weibliche Körper innewohnenden Täuschungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Al Saadawi, weithin bekannt wegen ihrer Kritik am patriarchalischen Klassensystem und ihrem Eintreten gegen Klitorisbeschneidung, sagte einmal bei einer Lesung, dass sie das Gefühl hat, "Frauen, die den Hidschab oder Niqab [1] tragen, sind jenen Frauen, die Make-up auflegen, in dem Sinne ähnlich, dass sie alle ihre wahre Identität verbergen" [2]. Boushra Almutawakel, eine Pionierin unter den jemenitischen Fotografinnen, fand diese Gedanken anregend und beschloss, sie fotografisch zu interpretieren. Wie sie sich erinnert, kam es nach dem 11. September 2001 zu einer verstärkten Zuwendung zu "allem, was mit dem Nahen Osten zu tun hat", wobei Araber und Muslime entweder dämonisiert oder romantisiert wurden. "Teil dieser romantischen Sicht", äußerte sie, "ist die Art, Frauen aus dem Nahen und Mittleren Osten künstlerisch als exotische, mysteriöse Wesen darzustellen". Sie wolle mit ihrer Arbeit "westliche, arabische und islamische Sichtweisen und Stereotypen" herausfordern" und versuchen, "auf die Dinge aus anderen Perspektiven zu blicken und sich den vielen Ebenen anzunähern", die sie bei diesem Thema erkennt.
Hidschab Serie
Almutawakels Schaffen widerspiegelt ein Bemühen um Themen, die mit den Menschen allgemein und, wie sie selbst erklärte, speziell mit Frauen zu tun haben. Insbesondere interessiere sie sich dafür, "wie Frauen gesehen und zum Objekt werden sowie für frauenbezogene Themen wie Mutterschaft, feminine Kraft, Paare und solche Frauen, die durch kleine oder große Taten Veränderungen herbeigeführt haben". Ihre Hidschab Serie ist ein Beispiel für diese ästhetischen und diskursiven Bestrebungen, die sie dazu brachten, in den letzten zehn Jahren einige solcher Angelegenheiten genauer zu untersuchen. Unter ihren jüngsten Arbeiten im Rahmen dieser Reihe gibt es Fotografien mit der Fulla-Puppe, einer muslimisch angelegte Version der Barbiepuppen. Almutawakel, selbst Mutter von vier Mädchen, interessierten diese Puppen als eine Alternative zu der Art von Frau, die durch die Barbie repräsentiert wird. Sie begann Fullas zu porträtieren, die ihre verschiedenen Kleidungsstücke tragen, wie die traditionellen, außer Haus angelegten Abayas [3] und die knöchellangen Kleider, und die in den Outfits verschiedener Berufe erscheinen, wie die Fulla-Studentin oder -Doktorin. In jüngerer Zeit bezog sie in ihre Arbeiten mit dieser bescheidenen und frommen Version der Barbie das Spiel mit den Puppen und Inszenierungen ein, in denen die Fullas bestimmte Momente ihres fiktiven Daseins erleben. Fotografisch artikuliert sich das in einer Bilderserie, die Fulla mit ihren Klassenkameradinnen oder gemeinsam mit ihren Freundinnen betend zeigen, und das alles so, als wenn man die Bilder wie einen Fotoroman "lesen" würde.
Dieser spielerische, mit den Formen des Verschleierns verbundene Ansatz kommt aus einer Entwicklung ihres Schaffens, in der sie sich damit auseinandersetzt, dass in den letzten Jahren mehr und mehr Frauen im Jemen ihre Körper verhüllen [4]. Durch eine dekonstruktive Perspektive, die den weiblichen Körper als von Niqab, Hidschab oder Baltu verhüllt und enthüllt zeigt, spielt Almutawakel mit solchen Stereotypen und setzt die Frauen in einer scherzhaften Auseinandersetzung ins Bild. Dabei steht der Niqab selbst nicht im Zentrum der Kritik, sondern ist ein Mittel, die Augen der Frauen dabei zu zeigen, wie sie verdreht werden und Grimassen schneiden. Er bietet eine besondere Möglichkeit des Ausdrucks, und es geht nicht um die Positionierung der Frauen als Opfer ihrer Kleidung. Der Hidschab kann durchaus auch als eine Provokation gegenwärtiger politischer Diskurse über arabisch-muslimische Politik eingesetzt sein, denn die Künstlerin benutzt z.B. eine US-amerikanische Flagge, um das Haar eines amerikanischen Mädchens zu verhüllen. Der Hidschab und der Niqab erscheinen auch, wenn sie eine junge Frau bedecken, im Kontrast zu derselben, dann aber von Make-up "bedeckten" Frau. Almutawakel spielt ganz klar auf spaßige Weise mit solchen Widersprüchen, besonders in der Fotoreihe eines Paares in jemenitischer Kleidung, in der die Frau nach und nach enthüllt und der Mann zunehmend verhüllt wird, so dass am Ende die Frau normale Kleidung trägt und der Mann vollkommen von Baltu und Niqab verhüllt ist. Sie hat diese Kleidungsstücke als eine Erscheinung des alltäglichen Lebens in ihrem Umfeld verwendet und tut dies auch weiterhin. Über den Hidschab sagte sie, "ich habe ihn getragen, als ich im Ausland studierte, und ich trage ihn nach wie vor, ich spreche also aus meiner eigenen Erfahrung. Er ist ein sehr ikonisches und ausdrucksstarkes Zeichen, das unverzüglich Reaktionen hervorruft. Gerade jetzt sind Augen und Ohren auf uns gerichtet, und dies ist eine Möglichkeit, Vorteil aus einem derartigen Interesse zu ziehen und einen komplexeren Ansatz vorzuschlagen, als den von den Medien dargebotenen."
Stereotypen herausfordern?
Diese Experimente mit Identität haben sie dazu gebracht, sich selbst und die politische Verwendung ihrer Kultur in der Absicht zu erkunden, sich von üblichen orientalistischen Darstellungen abzuheben. Hinsichtlich des potenziellen Risikos, dass ihr Schaffen selbst als orientalistisch interpretiert werden könnte, sagte sie, sie würde sich darum bemühen, sich von der oberflächlich schönen Seite und von exotischen Darstellungen des Hidschab fernzuhalten, indem sie von ihrer persönlichen Erfahrung ausgeht. Dennoch könnte man argumentieren, ihr Werk würde das visuelle Klischee eines gewissen Typus muslimischer Frau weiterhin reproduzieren, das sie zugleich in Frage stellen will. Das Klischee eines Klischees? Da sie noch nicht alle Grenzen ausgetestet hat, hält sie ihr Schaffen nicht für kontrovers. In der Annahme, ihr Werk sei mehr an ein westliches Publikum gerichtet, erkennt sie auch an, dass sie vor den Reaktionen zurückschreckt, die von den Leuten in ihrem eigenen Land kommen könnten. Obwohl Fotografie in den visuellen Künsten des Jemen, wo Maler eine sich seit den 1960er Jahren entwickelnde Bewegung dominieren, einen anerkannten Platz erlangte, steht gerade diese Disziplin vor allem dann in der Kritik, wenn weibliche Körper dargestellt sind, insbesondere wenn es sich dabei um jemenitische Frauen handelt. Viele bildende Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Disziplinen zögern und neigen zur Zurückhaltung, wenn sie sich in ihren Werken den im Jemen als "eingeschränkt" geltenden Themen zuwenden (z.B. Körper, Religion und Kritik an der Regierung). Da weibliche Körper eines dieser heiklen Themen sind, könnte man annehmen, Almutawakels Schaffen würde zu denjenigen künstlerischen Äußerungen gehören, die gegenwärtig Kontroversen hervorrufen. Wie dem auch sei, das Schaffen von Boushra Almutawakel hat noch keinen alternativen Diskurs gegenüber den dominanten Sichtweisen arabisch-muslimischer Frauen oder dem Verschleiern erzeugt, aber es könnte auf dem Weg dorthin sein. Obwohl die Künstlerin eine gewisse Neutralität ihrer Auffassung und vor allem den Willen zur Hinterfragung verteidigt, hätte ihr Schaffen durchaus Potenzial, zur Transformation dominanter Diskurse von innen heraus beizutragen, besonders dann, wenn es sich mehr dem jemenitischen als einem westlichen Publikum zuwendet. Das bleibt abzuwarten.
Anmerkungen:
Anahi Alviso-Marino
Doktorandin an den Universitäten Paris 1-Sorbonne und Lausanne. Lebt derzeit in Maskat, Oman.