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Interview mit Sultan Sooud Al-Qassemi über seine Sammlung und neue Stiftung in Sharjah.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Jun 2010Haupt & Binder: Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Kunst entdeckt? Seit wann sammeln Sie Kunst und wie würden Sie den Fokus Ihrer Sammlung charakterisieren?
Sultan Sooud Al-Qassemi: Ich bin in Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgewachsen und auf Grund der lebendigen Kunstszene der Emirate eröffneten sich mir dadurch viele Gelegenheiten, unterschiedliche kulturelle Aktivitäten kennenzulernen. Darunter sind die Sharjah Biennale, die jährliche Buchmesse sowie diverse zusätzliche Kunstausstellungen. In Würdigung seiner Verdienste um die Förderung der Kultur, der Bildung und der Künste wurde Sharjah 1998 von der UNESCO zur allerersten "Arabischen Kulturhauptstadt" ernannt. Als Student der American University in Paris hatte ich Mitte der 1990er Jahre das Privileg, viele Museen und Galerien von Weltrang zu besuchen, obschon sich mein Studium auf Betriebswirtschaft konzentrierte. In dieser Zeit entdeckte ich die Existenz spezialisierter Museen, in denen nicht nur die Geschichte eines Sammlers zum Ausdruck kam, sondern auch das Anliegen, für das er bzw. sie sich einsetzten. Viele Sammler nutzten Museumsräume, um darzustellen, an was sie glauben - und ich wollte gern in ihre Fußstapfen treten, wenngleich mit einem deutlich arabischen Geschmack. Das ist die maßgebliche Motivation meiner Kunstankäufe in den folgenden Jahren.
Haupt & Binder: Warum haben Sie sich entschlossen, eine Stiftung zu gründen? Welche Rolle sehen Sie für die Barjeel Art Foundation im Kontext der Kunstszene der Vereinigten Arabischen Emirate und der Region?
Sultan Sooud Al-Qassemi: Ich hatte immer die Absicht, meine persönliche Kunstsammlung zu zeigen, sobald mir ihr Umfang und ihre Qualität ausreichend groß genug erscheinen. Eine Möglichkeit dafür ergab sich, als mir die für die Entwicklung des Al Qasba Viertels in Sharjah zuständige Behörde großzügig anbot, die Sammlung dort für einen gewissen Zeitraum unterzubringen. Al Qasba ist ein Kulturzentrum, das sich zwischen zwei bevölkerungsreichen und vielfältigen Stadtgebieten in Sharjah und Dubai befindet. Die Barjeel Art Foundation hat die Absicht, das Allerbeste der modernen und zeitgenössischen arabischen Kunst zu zeigen. Einige Arbeiten aus der Sammlung sind u.a. bereits in London in der Al Qattan Foundation und der Saatchi Galerie ausgestellt gewesen.
Die Barjeel Art Foundation ist die erste private Kunststiftung in den VAE, deren vorrangiges Ziel es ist, von in der Region und der Diaspora lebenden arabischen Künstlern geschaffene Werke zu präsentieren und dadurch öffentlich zugänglich zu machen. Die Kunstszene unseres Landes ist sehr dynamisch. Allein in Dubai sind in den letzten paar Jahren mehr als zwei Dutzend Galerien eröffnet worden, darunter die Meem Galerie, die ich zusammen mit Mishal Kanoo und Charles Pocock gründete. Im März 2010 ist Meem als erste und bislang einzige Galerie mit dem Sheikh Mohammed Bin Rashid Patron of the Arts Award ausgezeichnet worden. Gleichzeitig erhielt ich persönlich während der Zeremonie den Patron of the Arts Preis für Verdienste um die Kunst der VAE.
Haupt & Binder: Im März 2010 eröffnete die Barjeel Art Foundation ihren Ausstellungsraum in Al Qasba in Sharjah. Wie funktioniert dieser? Ist er nur Ihrer Sammlung vorbehalten oder werden dort auch Ausstellung von Gastkuratoren und Gastkünstlern gezeigt? Welche Aktivitäten sind geplant?
Sultan Sooud Al-Qassemi: Die Barjeel Art Foundation ist Teil des neu entwickelten Maraya Art Centre in Al Qasba - einem dynamischen Zentrum mit drei Ebenen, auf denen jeweils eigene Absichten und Ziele vertreten werden. Im ersten Geschoss befindet sich ein interaktiver Arbeitsbereich für die Gemeinschaft, genannt Shelter (Unterschlupf). In der zweiten Ebene ist der Ausstellungsraum der Barjeel Art Foundation, und die dritte Ebene beherbergt einen Raum für Ausstellungen von Werken jüngerer Künstler aus der Region.
Von zentraler Bedeutung für die Vision von Barjeel ist die Schaffung eines interaktiver Rahmens für die arabischen Kunstwerke der Sammlung, um diese angemessen betrachten und würdigen zu können. Die Stiftung soll mit ihrem Raum eine Plattform für den kritischen Dialog über Kunst etablieren. Ein vorrangiges Ziel von Barjeel war es, den Kunstwerken der Sammlung größere öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Es schien uns ein idealer Anfang zu sein, den Raum zunächst dem Publikum zugänglich zu machen, damit es kommt und in wechselnden Ausstellungen eine Auswahl von Kunst sieht. Wir haben während der Kunstmesse Art Dubai zahlreiche Führungen für Besucher veranstaltet, darunter Studenten, Lehrkräfte, Touristen, Kuratoren, und gerade erst vor kurzem kamen der Generalkonsul von Japan, der Botschafter von Österreich in den VAE und der Präsident von Christie’s Europe and the Middle East.
Unser nächster Schritt wird sein, Schulen, Universitäten und Kulturinstitutionen zu empfangen, damit sie unsere Räumlichkeiten für kritische Betrachtungen, Seminare und Diskussionen über zeitgenössische Kunst nutzen und interaktive Besuche der Ausstellungen hoffentlich auch in ihre Lehrpläne aufnehmen. Wir möchten die Kunstwerke auch regional und global zirkulieren lassen, indem wir sie lokalen und internationalen Ausstellungen, Präsentationen, Messen und Kunstprogrammen zur Verfügung stellen. Leihgaben aus der Sammlung sind schon für Ausstellungen in Abu Dhabi, Berlin, Stuttgart, Marokko und Miami zugesagt worden.
Haupt & Binder: Was ist der Hauptfokus der Eröffnungsschau von Barjeel "Peripheral Vision"? Als anatomischer Begriff bezeichnet "peripheres Sehen" die Fähigkeit, Objekte und Bewegungen außerhalb des Fixationspunktes zu erfassen. Welchen metaphorischen Bezug hat dieser Titel zu Ihrem Konzept und Ihren Intentionen?
Sultan Sooud Al-Qassemi: Die Definition des peripheren Sehens war ein Ausgangspunkt des Konzepts unserer ersten Ausstellung, wobei es darum ging, regionale Themen, Geschichten und Bemühungen zu artikulieren, mit denen sich nach unserer Auffassung jede Künstlerin und jeder Künstler in ihren bzw. seinen Werken auseinanderzusetzen bemüht. In diesen zeitgenössischen Werken geht es um solche Themen wie kulturelle Hybridität und wie sich arabische Identität in einem Stadium konstanter Transformation befindet. Wir möchten zeigen, wie nuanciert und sich laufend verändernd und erneuernd Kunst der arabischen Welt ist. Verschiedene Aspekte der sozialen, politischen und geographischen Gegebenheiten, die verborgen oder außerhalb des Blickfeldes sein könnten, möchten wir herausstellen.
Haupt & Binder: Wenn Sie auf das Geschehen in der Kunstszene der VAE und der Region im letzten Jahrzehnt zurückblicken, was halten Sie für besonders bemerkenswert?
Sultan Sooud Al-Qassemi: Obwohl die Kunstszenen in den Emiraten Abu Dhabi, Dubai und Sharjah immer lebendig waren, ist mir aufgefallen, dass sie in der letzten Dekade hinsichtlich der Qualität und des Inhalts der produzierten und ausgestellten Werke wagemutiger geworden sind. In den Arbeiten wenden sie sich einer Vielfalt wichtiger Themen zu wie Menschenrechten, Frauen- und Geschlechterrollen und Rechten von Kindern, was in diversen Ausstellungen in den VAE in Erscheinung getreten ist. Auch in anderen Orten der arabischen Welt wie z.B. Bahrain, Beirut und Kairo gab es eine Erneuerung der dortigen kulturellen Szenen durch Festivals und Kunstausstellungen.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
Peripheral Vision
14. März - 15. August 2010
Eröffnungsausstellung