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Floating Coffins, Saphir & MiddleSea - drei Videoarbeiten über Reisen, Migration und Verdrängung.
Von Joseph McGonagle | Apr 2009Zineb Sediras jüngste Ausstellung in New Art Exchange in Nottingham vereint drei neuere Werke: die Dual-Screen HD-Videoprojektion Saphir (2006), die HD-Videoprojektion MiddleSea (2008) und die neu in Auftrag gegebene, aus 14 Monitoren bestehende skulpturale Videoinstallation Floating Coffins (2009, Schwimmende Särge). Obwohl es sich um sehr verschiedene Arbeiten handelt, laden ihre formalen Ähnlichkeiten und die gemeinsamen Themen Migration, Verdrängung und das Meer dazu ein, sie als Trilogie zu vergleichen. Desweiteren bedeutet diese Ausstellung eine signifikant neue Stufe in Sediras Laufbahn.
Einige Jahre zuvor galt die Mehrzahl der Werke Sediras als direkt oder indirekt autobiographisch. Migration, Identität und Diaspora waren schon Schlüsselthemen, und in verschiedenen Arbeiten erschien sie selbst allein oder mit Familienmitgliedern. Das bestätigte sich in ihrer ersten großen Einzelausstellung Telling Stories with Differences (Geschichten mit Unterschieden erzählen) im Cornerhouse in Manchester (2004), die einen wichtigen Wendepunkt markierte und den Beginn dieser neuen Phase ankündigte. Obschon ihre vorherigen Arbeiten im Grunde niemals nur auf das Autobiographische fokussiert waren, signalisiert diese Ausstellung einen klaren Bruch und festigt die neue Richtung, in die sich ihr Schaffen bewegte. Selbst wenn die französisch-algerischen Beziehungen noch als Hintergrund erscheinen, vereinen der Sinn für das Mysteriöse, der explizite Fokus auf Komposition und formale Aspekte sowie die Betonung des Sounds statt des Dialogs diese drei Werke, um faszinierende Welten zu erschaffen, die über lokale Spezifika hinausgehen und universale Resonanzen fördern.
Angesiedelt im Zentrum von Algier, ist Saphir (2006) der Startpunkt. Durch die Fokussierung auf die Landschaft und das Terrain der Hauptstadt wird die dortige Rolle des Raumes und der Architektur heutzutage hinterfragt - wodurch eine einzigartige Kartographie entsteht, die die anhaltende Bedeutung der Migration und der zwischen Frankreich und Algerien hin- und herreisenden Diaspora nachzeichnet. Beide Monitore konzentrieren sich auf zwei schweigende Figuren: eine als französisch und mit pied-noir-Herkunft (von kolonialen europäischen Siedlern abstammend) beschriebene Frau, die im Hotel Safir gezeigt wird, und ein ortsansässiger algerischer Mann, der hinausgeht und auf das Meer starrt. Die sorgsame Kameraarbeit, die mehr auf die Sequenzen und den Schnitt der vordergründigen Ästhetik bemüht ist als um Politik, mit einem wiederkehrenden Fokus auf die Farben Blau und Weiß, der ausgeprägte, durch die Oszillation zwischen Bewegung und Statik generierte Rhythmus und das Fehlen von Dialogen oder einer direkten Erzählung - all das trägt zu einem kraftvollen Sinn für das Rätselhafte bei. Das Hotel wird auch im Herzen eines Transportknotenpunkts gezeigt, was dazu beiträgt, die Themen der Bewegung und Migration zu betonen und ein Palimpsest über Reisen und Verdrängung zu evozieren. Aber dieses ist ironisch: beide Charaktere scheinen auf dem Bildschirm in einem Stadium des Stillstands zu verharren, und sie sind in Aufnahmen eingebettet, die Zwänge suggerieren, und als ein solcher vibriert eine spürbare Spannung zwischen Bewegung und Verharren.
Diese Dynamik taucht in der begleitenden Arbeit MiddleSea (2008) wieder auf, in welcher der gleiche männliche Schauspieler erneut mitwirkt. Inszeniert auf einem zwischen Algerien und Frankreich segelnden Boot - aber ohne die Richtung jemals deutlich anzugeben -, ist der Film mehr auf die Reise selbst als auf die Abfahrt oder das Ziel fokussiert und präsentiert eine poetische Vision der Migration. Die Kombination aus geschickt kombinierten Nahaufnahmen und Szenen in Zeitlupe verstärken das, und das Schwarzweißfilmmaterial, das für Rückblenden steht, zerreißt darüber hinaus jedwede Teleologie. Die traumartige Qualität der Bilder unterstreichen die Ablehnung eines dokumentarischen Ansatzes: nichts über das Leben dieses Mannes wird enthüllt, er bleibt still und namenlos. Er wird auch immer allein gezeigt: dies ist eine persönliche, statt einer kollektiven Reise, und demzufolge gerät die Migration zu einer einsamen Erfahrung.
Seine Isolation wird von häufigen Aufnahmen des weiten leeren Meeres gespiegelt, das nur selten nicht im Bild ist und sich als Hauptprotagonist dieses bemächtigt. Wie der Titel zudem nahelegt und weil diese Strecke Frankreich von Algerien trennt, wird das Thema des Dazwischen betont - wiederholte Bilder des allein herumlaufenden und still wartenden Mannes implizieren, dass auch er sich im Limbus befindet. Aber das ist sowohl eine akustische wie auch eine visuelle Erfahrung: der prominente Soundtrack und die gesteigerte Lautstärke fügen weitere Texturen hinzu, und die Soundcollagen sind bemerkenswert: in einem Moment scheinen Interferenzen von Radiowellen mit dem Lärm von Hubschraubern zu verschmelzen, was militärische Implikationen nahelegt und als eine weitere zeitgemäße Erinnerung an die Grenzen der "Festung Europa" funktioniert. Anderswo präsentiert das Zischen und Knacken eines Radios, das die verschiedenen Frequenzen abtastet, aber nie einen klaren Empfang hat, Kommunikation als verschlüsselt: das Rätsel steigernd, aber auch verdeutlichend, wie Ätherwellen Ländergrenzen überwinden können.
Dergleichen steht in scharfem Kontrast zur jüngsten Arbeit, Floating Coffins (2009, Schwimmende Särge), in der das, was Pressetexte zur Ausstellung als den "größten Schiffsfriedhof der Welt" bei Nouadhibou in Mauretanien beschreiben, von der äußeren Welt abgespalten erscheinen mag. Die Bilder hier sind durch verrostende Schiffe bestimmt, und in der Ferne werden Männer aus der Gegend gezeigt, die diese langsam von Hand zerlegen, um jedwede übrigbleibende Werte zu bergen. Wenn man diese drei Werke als Trilogie sieht, dann gibt es trotz des Ortswechsels eine logische Fortsetzung. Hier sind die Blickwinkel nicht einzeln oder dual, sondern sie sind durch 14 an drei Wänden angebrachte Monitore unterschiedlicher Größe multipliziert. Peripheres Sehen kann die drei Wände zwar erfassen, aber nicht alle Bilder können gleichzeitig verfolgt werden: die Platzierung und die verschiedenen Größen der Monitore, die Mischung der auf ihnen gezeigten Bilder und die Schnitte und Abfolgen zwingen den Betrachter stattdessen dazu, abwechselnd vor bestimmten Bildschirmen zu verweilen. Wieder hat das Akustische eine Schlüsselbedeutung, durch im ganzen Raum aufgehängte Lautsprechern, die die Leere mit Sound füllen. Das Arrangement der Monitore, die mit Rhizomen ähnelnden Kabeln verbunden sind, lässt sie selbst wie einen Organismus erscheinen, dessen biologischer Rhythmus von der Abfolge ein- und ausgeblendeter Bilder diktiert zu sein scheint.
Gegenüber früheren Arbeiten erscheint das Ökologische hier tatsächlich als ein Hauptthema: dieser Friedhof wird vor allem als ein Umweltschaden sowie als eine sozioökonomische und menschliche Katastrophe gezeigt, mit Einheimischen im weiteren Sinne entweder als Trauernde, die diese "Särge" pflegen, - oder aber als lebende Tote. Während es bei Saphir und MiddleSea um die Themen des Reisens und der menschlichen Migration handelt, scheint hier ein Weggehen unmöglich zu sein: die diesen nautischen Kadavern zugebilligte Prominenz rückt die Gewichtung eindeutig weg von jeglichen Versuchen der Lebenden, die Flucht zu ergreifen. Im Unterschied zu Saphir und MiddleSea scheint hier nichts transitorisch zu sein: selbst wenn die Schiffe noch mehr schwimmend als schon gesunken wirken, ist ihr permanenter Verfall schlichtweg näher am Fegefeuer als nur ein vorübergehender Zustand.
Die mauretanische Küste mag für viele westliche Betrachter eine weit entfernte Welt bleiben, doch indem ihre Rolle als Müllhalde herausgestellt wird, verweist dieses kraftvolle neue Werk von Sedira nachdrücklich auf die krasse Realität postkolonialer ökonomischer und Machtbeziehungen.
Joseph McGonagle
Dozent für Kulturstudien in der französischsprachigen Welt an der University of Manchester, Vereinigtes Königreich. Gegenwärtig leitet er zusammen mit Edward Welch von der University of Durham ein Forschungsprojekt über die visuelle Repräsentation französisch-algerischer Beziehungen seit 1954.
Zineb Sedira
Floating Coffins, Saphir and MiddleSea
7. Februar - 19. April 2009