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Radierkunst als Lebensform. Sanjayas Ausstellung "Ideocracy" in der Nationalgalerie Indonesiens.
Von Carla Bianpoen | Jan 2009In Indonesien hat die grafische Kunst nie die gleiche Wertschätzung erhalten wie andere Disziplinen, z.B. die Malerei. Das heißt nicht, dass es dort keine Künstler gäbe, die sich der Grafik widmen. Die Druckgrafik gehörte sogar schon zum Lehrplan der Abteilung für Visuelle Künste des Bandung-Instituts für Technologie (ITB), der ersten offiziellen Kunstschule Indonesiens nachdem das Land 1945 die Unabhängigkeit erlangt hatte, wo Mochtar Apin (1923-1994) lehrte, einer der herausragenden Maler, der lange Zeit in Europa gelebt hatte.
In Bandung existierte schon zuvor eine Ausbildungsstätte für Lehrer als Teil der Technische Hogeschool. Diese wurde 1959 zur Fakultät für Schöne Künste und Design des Bandung-Instituts für Technologie erhoben, deren Orientierung gen Westen und auf die Kunstentwicklung in Europa gerichtet war. Die grafischen Künste sind Teil des Ausbildungsprogramms gewesen, und zu den anfänglichen Techniken des Holz- und Linolschnitts kamen Lithographie, Radierung und Siebdruck hinzu. Druckgrafik wurde auch an anderen Kunstschulen Indonesiens gelehrt, weshalb es nicht so überraschend ist, dass sie ziemlich beliebt wurde. Doch obschon durchaus viele die Radierung in ihr Schaffen einbezogen, bevorzugten die meisten den Siebdruck und das Grafikdesign.
Tisna Sanjaya (geb. 1968) hingegen, ein sehr vielseitiger und außerordentlich kreativer Künstler, hat die Radierung zu seiner Lebensform. Tisna sagt, "Radierung ist wie eine lange Meditation, die sich von der Vorbereitung der ersten Druckplatte bis zu den vielen Schichten am Ende erstreckt". Für ihn ist das Arbeiten an einer Grafik ein Beobachten jeder Facette dieses Prozesses, ein Abwägen der zu benutzenden Werkzeuge und chemischen Substanzen, ein Eintauchen in die tonalen Effekte der Aquatinta, was ihn dazu bringt, über die vielen Seiten des Lebens zu sinnieren.
Zweimal in seiner künstlerischen Laufbahn lebte Tisna Sanjaya in Deutschland. Von 1991 - 1994 hatten ihm der DAAD und das Goethe-Institut ein Stipendium für ein Studium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig verliehen, das er 1994 mit einem Diplom abschloss. 1997 konnte er sich Dank eines DAAD-Stipendiums erneut ein Jahr lang in Deutschland aufhalten, dieses Mal als Meisterschüler bei Prof. Karl-Christoph Schulz an der HBK Braunschweig. Die Erfahrung in Deutschland hat einen maßgeblichen Einfluss auf sein Kunstschaffen. Allein, als Ausländer inmitten des düsteren Wetters, von dem Leben in Deutschland so stark geprägt ist, fand er sein innerstes Selbst, indem er sich in seine Kunst vertiefte. Nichts anderes ist von Bedeutung gewesen; er lebte dort allein mit seiner kreativen Kraft, und angetrieben von seinem kreativen Drang brachte er während jener Zeit in Deutschland seine besten Radierungen zustande.
Als ein Künstler, der sich seit seiner Kindheit sozial engagierte und aus einer tief religiösen muslimischen Familie kommt, ist er schon sehr früh von der klassischen europäischen Radiertechnik und insbesondere von den deutschen Expressionisten fasziniert gewesen, so von Käthe Kollwitz, die sich mit ihrer Kunst trotz aller Schwierigkeiten für einen Wandel der Gesellschaft engagierte. Tisna Sanjaya benutzt die Technik, um einen persönlichen Standpunkt auszudrücken, indem er die reale Bedeutung einer Existenz in der heutigen Zeit im indonesischen Kontext zu erfassen versucht. Ebenfalls schon seit seiner Jungend fasziniert ihn das Theater, was sich in seiner "Deutschen Periode" noch verstärkte, als er durch Jörg Immendorf (1945-2007) beeinflusst wurde, der oft große Bilder voll von einem buchstäblichen Theater der Dekadenz und bühnenhaften Kompositionen malte, die auf die illusionären Aspekte der Kunst anspielen. Weiterhin beeinflussten ihn, hinsichtlich der Benutzung von Farbe als einem besonderen Akzent, Otto Dix (1891-1969), der große deutsche Expressionist, der für seinen einzigartigen und grotesken Stil berühmt ist, und ... Josef Beuys (1921-1986).
Als er seine einsame Abgeschiedenheit in Deutschland durchlebte, wurde seine Trauer über die Repression zuhause in Indonesien noch schmerzlicher. Die repressiven Maßnahmen des Suharto-Regimes, das 1966 and die Macht gekommen war, richteten sich gegen einfache, unschuldige Menschen und erstickten jede Art des freien Ausdrucks. Im friedlichen Ambiente Braunschweigs ließ Tisna Sanjaya all seine Trauer, Sorge, scharfe Kritik und seinen Ärger in Werke einfließen, die sowohl seine künstlerische Kraft als auch seine tiefe Anteilnahme widerspiegeln.
In seiner 13. Einzelausstellung mit dem Titel "Ideocracy: Rethinking the Regime of Etching" im Dezember 2008 in der Nationalgalerie in Jakarta trat das deutlich zutage in den Werken Teater, Teater Absurd, Teater Rhinoceros, Pesta Pencuri (Fest der Diebe), 32 etsa membosankan (32 langweilige Radierungen). Alle beziehen sich auf die damaligen Verrücktheiten auf der politischen Bühne Indonesiens sowie auf Tisnas tiefe Trauer über die dortige Repression, die den Menschen nicht nur das Leben nahm, sondern auch das kreative Denken und die kulturelle Entwicklung tötete.
Andere Werke aus dieser Periode, wie Hentikan Kekerasan (Stoppt Gewalt) und Katarsis, zeigen in Käfigen aus dicken Linien gefangene Figuren oder Gesichter und offenbaren seine Betrübnis über das, was den Künstlern passiert war. Natürlich verstärkten sich seine Gedanken über die Situation in Indonesien durch Geschehnisse in anderen Ländern und durch das, was er über internationale Ereignisse las.
Der Einfluss der europäischen Klassiker ist auch in seinen jüngsten, in Mischtechnik realisierten Werken zu sehen. In den großen Arbeiten, insbesondere einer 2008 entstandene Serie von 14 Tafeln mit dem Titel Amnesia Cultura, setzen sich seine früheren Überlegungen aus jener Zeit fort, in der er Radierungen schuf. Dazu gehören all die Themen von Repression, Gewalt und Not, wozu er seinen aus Asche und pulverisierter Holzkohle geformten Körperabdruck ins Bild setzt.
Asche und pulverisierte Holzkohle sind auch weiterhin Elemente seiner Installationen. Als eines seiner Werke von Straßenkehrern, die es für Müll hielten, verbrannt wurde, fegte er die Asche zusammen und füllte sie in kleine Flaschen, die später in einer neuen Arbeit erschienen, einer Installation, in der es um das Leben nach dem Tode geht. Und als ein Feuer einen großen Büchermarkt in Bandung zerstörte, sammelte er die Überbleibsel auf und erschuf die verbrannten Bücher in der Installation Palasari neu.
Obwohl Tisna Sanjaya auf seinem vortrefflichen Weg voranschreitet und sein Schaffen längst auch mit Mitteln vollzieht, die weit über die Radierung hinausgehen, benutzt er weiterhin den sorgfältigen, mehrstufigen Prozess, an den er als Radierer gewöhnt ist. Indem er dies tut, behält er die Integrität, die einen wahrhaften Künstler ausmacht, bei.
Carla Bianpoen
Kunstkritikerin, lebt in Jakarta, Indonesien. Senior Editor von C-Arts Magazine und regelmäßige Autorin der Jakarta Post.
Kuratoren:
Jim Supangat
Ritzki A. Zaelani
Ideocracy
Das Regime der Radierkunst neu denken
18. - 31. Dezember 2008