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Der Mann, der die Fotografie von Bangladesch stark verändert hat. Über seine Serie Migrant Soul.
Von Fariha Karim | Apr 2009"Wie ist Shahidul denn so?" fragte einer der anderen ausländischen Korrespondenten. Wir waren im Nordic Club in Dhaka, einem Ausländertreffpunkt im exklusiven Teil der Stadt.
Ich suchte nach Worten. Was könnte ich über diesen Mann sagen, meinen Onkel, den anerkannten Fotojournalisten, der Drik gegründet hat, die größte Fotoagentur von Bangladesch, den ersten asiatischen Vorsitzenden der Jury des World Press Photo Wettbewerbs, den Pionier bei der Einführung von Email im Land, den Mann hinter Chobi Mela, Asiens größtem Fotofestival, den Gründer des Pathshala South Asian Institute of Photography und der Majority World Agentur und den einzigen meiner Verwandten, der uns als Kinder in Theater und Kinos brachte, statt mich bloß zu fragen, ob es in der Schule gut läuft. Ich antwortete, indem ich das Einzige sagte, was mir gerade einfiel: "Er ist sehr beschäftigt."
Shahidul Alam hat das Antlitz der Fotografie in Bangladesch verändert. Während es früher ein nur von einer Handvoll Leuten ausgeübter Beruf war, konkurriert das Land heutzutage bei globalen Wettbewerben mit etablierten Nationen wie Frankreich, den USA und dem Vereinigten Königreich. Als eine erbitterte Kritik an den Gepflogenheiten des Establishments ist seinen Fotografien eine seltene Menschlichkeit zueigen. Wenn er bei der Sicherheitskontrolle auf Flughäfen gefragt wird, ob er irgendwelche scharfen Gegenstände mit sich führt, entgegnet er "nur meine Zunge", bevor er sein Objektiv in Anschlag bringt und ein freundliches Porträt schießt.
Hier soll es um eine seiner Arbeiten über Migration gehen, betitelt Migrant Soul. Die Erkundung des Weges von Wanderarbeitern aus Bangladesch durch das Vereinigte Königreich, Singapur, Dubai, Indien, Malaysia, Nepal und die Malediven ist eine Geschichte über Sehnsüchte und Erwartungen, Liebe und Verlust innerhalb der Dynamik der ökonomischen Realität und Kolonialgeschichte.
Er wählte dieses Thema, um die europäischen Stereotypen hinsichtlich der Migration herauszufordern. Aber er kam auch darauf als er sah, wie durch seine eigene Mittelklasseerziehung und "Familienwerte" Ungleichheiten fortbestehen, denen Arbeitsmigranten ausgesetzt sind, nachdem er Familienfotos von 21 Cousins betrachtet hatte, auf denen er der einzige noch in Bangladesch lebende war. "All das sind Leute gewesen, die privilegiert waren und das Beste bekamen, was mein Land zu bieten hatte, und dennoch beschlossen sie, Ländern zu dienen, die nichts in ihre Bildung investiert haben. Letztes Jahr überwiesen Arbeitsmigranten 6,7 Milliarden Dollar nach Bangladesch. Aber das sind Leute, die wie Abfall behandelt werden, und diejenigen, die das Meiste kassiert haben, werden respektiert."
Die Bilder der Serie Migrant Soul reichen vom Porträt eines kleinen Kindes auf einer Zuckerrohrplantage bis zu ramponierten Schuhe, vom zärtlichen Moment eines Paares auf dem Flughafen, das kurz darauf durch Tausende Meilen voneinander getrennt sein wird, bis zu einem Stacheldrahtzaun.
Auf einem der Fotos erscheinen drei Arbeiter während einer Pause vor den Petronas Towers in Kuala Lumpur ganz wichtig im Vordergrund, während der Wolkenkratzer in den Hintergrund gerückt ist. Ich fragte, ob das eine bewusste Entscheidung war, um die Arbeiter ins Zentrum zu setzen. "Metaphorik entsteht oft unbewusst", antwortete Shahidul. "Deine politische Sicht beeinflusst deine Bildauffassung. Kunst ist ein sehr machtvolles Werkzeug, eine Waffe für den Wandel. Für mich war es in diesem Falle vorrangig, sie als wichtige Individuen in diesen Raum zu setzen, aber auch die Distanz zwischen ihnen und den Zitadellen, die sie errichtet haben, aufzuzeigen. Die Arbeiter, die diese Türme zu bauen hatten, werden höchstwahrscheinlich nie in den schicken Boutiquen darin einkaufen."
Wenn Metaphorik von der politischen Sicht abhängt, was ist dann sein politisches Interesse? "Klassen", sagt er, "und soziale Unterschiede an sich. Die Arbeit, die ich mir vorgenommen habe, hat damit zu tun - die Abwrackwerft, die Arbeiten über sexuelle Minderheiten, HIV. Wir dürfen die Leute nicht auf Stereotypen reduzieren, sondern müssen sie als das anerkennen was sie sind, als menschliche Wesen mit Leben, die ereignisreich und leidenschaftlich und komplex sind."
Seine Laufbahn als Fotojournalist begann auf den Straßen. Für sein persönliches Projekt fotografierte er die Volksbewegung gegen den Diktator General Ershad von 1986 bis zu dessen Sturz 1990. Davor machte er für seinen Lebensunterhalt Arbeiten in der Mode-, Wirtschafts- und Werbefotografie. Anschließend reichte er seine Bilder zu Wettbewerben ein und erhielt als erster Asiat einen der begehrten Mother Jones Preise. Als er seine Bilder einem gemeinsamen Freund zeigte, traf er seine Partnerin seit nun schon 21 Jahren, Rahnuma Ahmed, eine Autorin und Anthropologin, die sich ebenfalls in der sozialen Bewegung engagiert.
Ich bat ihn, seinen Aktivismus zu beschreiben. Ich erwartete, dass er über die Agentur Drik reden würde, die gegründet wurde, um der westlichen Dominanz bei der visuellen Darstellung von Bangladesch etwas entgegenzusetzen, oder das Portal für Menschenrechte Banglarights.com oder Majorityworld.com, die weltweit erste Agentur für indigene Fotografen aus dem globalen Süden.
Stattdessen redete er über einen Jungen mit Namen Mizan, der im Haus seiner Mutter arbeitete. Er beschrieb, wie dieser üblicherweise von der Veranda aus durch einen Türspalt auf den Fernseher schaute, bis er ein Foto von ihm machte, es in einem Kalender druckte und dem Jungen und seiner Mutter ein Exemplar davon gab. "Von diesem Tag an saß auch Mizan im Raum und sah fern", erzählte er weiter. "Es ist eine kleine Begebenheit, aber sie war von Bedeutung. Wichtig war, dass ich in meinem eigenen Zuhause Dinge beeinflussen konnte."
Bei Shahidul hat man den Eindruck, dass es die alltäglichen kleinen Geschichten sind, welche die Saat ausmachen, aus der größere Institutionen erblühen. Ein kleiner Vorgang wird zu einer politischen Angelegenheit, verwirklicht durch eine neue Unternehmung oder Organisation. Er lebt nach seiner Überzeugung - mit dem Fahrrad fahren, statt mit dem Auto, ist eine politische Entscheidung, oder sich zu weigern, etwas anderes als Sandalen zu tragen - und das selbst bei formellen Anlässen. Für seine politische Überzeugung war er auch mit Gewalt konfrontiert. Als Drik im Februar 1996 der Bewegung gegen die militärische Unterdrückung unter Premierminister Khaleda Zia eine Plattform gab, wurde er von einer bewaffneten Bande angegriffen und verletzt als er von einem Besuch bei seinem sterbenden Vater im Krankenhaus zurückkam.
Es gibt eine oft zitierte Geschichte, die sich zutrug, als er während der Überschwemmungen 1988 eine Gruppe von Kindern fotografierte. Als er auf den Auslöser drückte, bemerkte er, dass der Junge, der am begierigsten darauf war fotografiert zu werden, blind ist. Warum ist diese Begebenheit so wichtig gewesen? "Es war eine Selbstverwirklichung. Ich habe den Jungen nicht nach seinem Namen gefragt. Das verfolgt mich immer noch. Dass ich so viel Bedeutung wie nur irgend möglich gebe, weil ich ein Journalist bin, ist etwas, das ich wie einen Schatz hüte und das ich hoffe, niemals preiszugeben. Für die Stummen kann ich eine Stimme sein. Dieser Junge erinnerte mich an die Macht meiner Position."
Es muss ein gewisses Opfer bedeuten, bei so viel künstlerischem Instinkt dennoch so viel Zeit mit organisatorischer Arbeit verbringen zu müssen. Wo sieht er sich selbst in 20 Jahren? "Ich möchte in der Lage sein, mich mit der Welt auf einem viel philosophischerem Niveau auseinanderzusetzen, aber dazu könnte es nur kommen, wenn das Feuer ausgelöscht wäre."
Fariha Karim
Freischaffende Autorin und Fotografin. Lebt in Dhaka, Bangladesch, und London, Vereinigtes Königreich.
Migrant Soul
Arbeitsmigranten aus Bangladesch