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Definition/Übersetzung in Bezug auf lokales und globales Verständnis der Kunst des Nahen Ostens.
Von Nada Shabout | Aug 2009Die Interpretation von Kunstwerken hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die mit der Geschichte, Gesellschaft und Kultur sowohl der Werke an sich als auch derjenigen zu tun haben, die sie interpretieren. Selbst in einer durch das Visuelle dominierten Epoche sind Interpretation und Übersetzung wesentliche Instrumente, obwohl sie unweigerlich ihre eigene Komplexität mit sich bringen. Wir wissen, dass die Bedeutung eines Bildes konstruiert ist - und dass das Wort Teil dieser Konstruktion ist. Im Falle der im Nahen Osten produzierten modernen und zeitgenössischen Kunst ist die Beziehung zwischen dem Visuellen und dem Verbalen durch eine Fülle an Faktoren noch komplizierter, was meines Erachtens die Weiterentwicklung des Wissens auf diesem Gebiet gegenwärtig behindert.
Da ist zuerst die Problematik der umstrittenen Terminologie, die benutzt wird, um aus der Region stammende Kunst zu identifizieren. Die dem Komplex "Den Nahen Osten definieren" gewidmete Sitzung des Symposiums "Zeitgenössische Kunst im Nahen Osten" der Londoner Tate im Januar 2009 offenbarte die kritische und sensible Natur der damit zusammenhängenden Aspekte, die ansonsten lediglich als simples Problem einer Benennung erscheinen könnten. Viele von uns, die auf diesem Gebiet arbeiten, müssen in Ermangelung jedweden Einvernehmens hinsichtlich dieser Frage die von uns benutzte Terminologie laufend rechtfertigen und erklären.
Der geopolitische Terminus "Naher Osten" ist epistemologisch natürlich irreführend, weil er innerhalb des konstruierten binären Gegensatzes von Ost und West angesiedelt ist. Darüber hinaus kann er als Verbreitung einer feindseligen Rhetorik gewertet werden. Wie könnte der Begriff die Kultur der Region neutral repräsentieren, so wie das von deren Kunst immer erwartet wird? Obwohl der zeitgenössische Diskurs im Nahen Osten wie auch anderswo immer zur Akzeptanz und Befürwortung von Differenz aufruft, scheint es kein Entkommen aus der Essentialisierung der Region mit ihrer noch persuasiven imaginären Hinterlassenschaft im westlichen Bewusstsein zu geben. In den westlichen Medien ist der Nahe Osten oft als ein unveränderlicher, in den Doktrinen eines "aggressiven" Islam verwurzelter Monolith dargestellt. Demzufolge wird ein positiver Bericht über eine Ausstellung oder kulturelle Veranstaltung immer wieder so etwas anmerken wie dass "es im Nahen Osten nicht nur um Terror und Terrorismus geht". Solch eine Aussage versetzt die Kunstwerke und Veranstaltungen unverzüglich in nicht-ästhetische Gefilde.
Im lokalen Bereich hinterfragen Künstler der Region laufend die Gültigkeit von Gruppenetikettierungen. Was haben arabische Länder, Iran, die Türkei und Israel miteinander gemein? Die Frage ist im Hinblick auf die Einbeziehung von Israel natürlich besonders aufgeladen. Wenn man mit gewissen Gemeinsamkeiten zwischen arabischsprachigen Ländern argumentieren kann und akzeptiert, dass die Türkei und der Iran und die arabischen Länder eine lange gemeinsame Geschichte und sich überlappende und gegenseitig durchdringende Kulturen haben, wie kann dann aber die Einbeziehung Israels - mit seiner sehr jungen Erschaffung und modernen Geschichte, die eng mit westlichen Mächten verbunden ist - gerechtfertigt werden?
Der gelegentlich als eine Alternative benutzte Begriff "islamische Kunst" wird im Allgemeinen wegen seiner prä-modernen Konnotationen abgelehnt. Arabischsprachige Länder (was die Türkei, Iran und Israel ausschließt) sind üblicherweise unter der Rubrik "arabische Welt" zusammengefasst, wodurch die Benutzung des Begriffs "arabische Kunst" gerechtfertigt sein mag. Ich persönlich halte diesen Terminus durchaus für gültig, weil er die gemeinsamen historischen, linguistischen und kulturellen Wurzeln der betreffenden Länder anerkennt und dabei nicht die Unterschiede zwischen ihnen mindert. Dennoch akzeptieren viele arabische Künstler diese Bezeichnung nur widerstrebend, weil sie viel mehr die Eigenarten ihrer eigenen Kulturen hervorheben würden und weil sie die Verknüpfung des Begriffs mit Nassers Ideologie des Pan-Arabismus ablehnen.
Letztendlich gibt es - zumindest derzeit - kein Einverständnis hinsichtlich eines brauchbaren Begriffs für die visuelle Produktion der Region. Das ist heutzutage in diesem von Kategorisierungen besessenen Zeitalter, in dem man sich - zumindest rhetorisch - gleichzeitig gegen Essentialisierung ausspricht, wahrscheinlich ein Problem für alle geographischen Regionen. Bezeichnenderweise handelt es sich dabei um ein Problem, das sich in der englischen Sprache zu steigern scheint. In arabischen Ländern haben Künstler andere Sorgen und sind über die westliche Beschäftigung mit dieser Angelegenheit verdutzt. Nach ihrer Auffassung sind sie irakische, palästinensische, libanesische etc. Künstler und darüber hinaus auch Araber. Das negiert nicht die Bedeutung dieser Problematik und schreibt sie auch nicht der Linguistik als deren Sache zu. Nichtsdestotrotz wird die Diskussion dadurch korrekter Weise innerhalb eines euro-amerikanischen Diskurses angesiedelt, weil die den Begriffen zugewiesenen Bedeutungen im Großen und Ganzen ohnehin außerhalb der arabischen Welt konstruiert wurden.
Über die Frage einer aufgeladenen Terminologie hinaus werden kulturelle Interpretationen in Diskussionen über zeitgenössische Kunst im Nahen Osten durch den Einsatz der obsoleten euro-amerikanischen Dialektik von Tradition versus Moderne noch mehr problematisiert. Um das Gefühl der Schuld zu mindern, große Teile der Welt, darunter den Nahen Osten, aus den Diskursen über die Moderne ausgeschlossen zu haben, schlug die Postmoderne das Konzept der "alternativen Modernen" vor und trat für eine Vielfalt statt einer starren und einheitlichen Auffassung von Moderne ein. Aber, wie der amerikanische Literaturkritiker und -theoretiker Fredric Jameson argumentierte, vernachlässigt diese Auffassung einen der fundamentalen Aspekte der Moderne, nämlich den "weltweiten Kapitalismus" [1]. Darüber hinaus erscheint der Begriff "alternative Modernen" danach zu streben, der Moderne ihre Aggressivität zu verzeihen [2]. Differenz vermittels dieses Konzepts zu artikulieren spricht die Moderne allerdings nicht nur von ihren Antagonismen frei, sondern lässt es auch nicht zu, dass diese Differenz als autonom gesehen wird, weil man sie im Allgemeinen andauernd mit einer überlegenen westlichen Moderne vergleicht. Bestenfalls bemüht sich der Ausdruck darum zu erklären, warum gewisse Entwicklungen im Nahen Osten einem Pfad folgen, der sich von dem im Westen eingeschlagenen unterscheidet.
Die meisten Schriften über Kunst des Nahen Ostens kommen aus Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika. Im Prinzip - und im Zeitalter der Globalisierung und schneller Kommunikationskanäle - ist das kein Problem. Dieses außerhalb der lokalen Produktionszentren positionierten kritische Schreiben ist jedoch oft losgelöst von der historischen Entwicklung der Kunst, auf die es sich bezieht. Es gibt wenig akademisches Wissen über moderne Kunst, demgegenüber jedoch eine ständig wachsende Zahl an Katalogen von immer mehr Ausstellungen zeitgenössischer Kunst des Nahen Ostens. Der Wandel von einer Periode der Unsichtbarkeit zu einer der Feier von allem, was mit dem Nahen Osten zu tun hat, verstärkte ein Gefühl der Diskontinuität, bei dem die zeitgenössische Produktion als ein neues, losgelöstes Phänomen gesehen wird. Diese Dekontextualisierung hallt in der Verlagerung der Zentren einer Interpretation von der Region selbst nach außerhalb dieser Region wider, was ein durch die Diaspora und die Mobilität vieler zeitgenössischer Künstler verstärkter Trend ist. Schon bald wird sich vieles von der Kunst des Nahen Osten als nur entfernt mit der Region verbunden erweisen.
Diese Situation hat natürlich Auswirkungen auf die lokale Wahrnehmung und Rezeption zeitgenössischer visueller Produktion. Wenn der Sinngehalt von Kunstwerken gemäß den euro-amerikanischen Methoden, Terminologien, Theorien und Rhetorik konstruiert wird, wie kann er dann auch die lokalen Realitäten des Nahen Ostens tatsächlich erfassen? Und wie kann das über diese Kunst produzierte Wissen auf eine Weise übersetzt werden, die dortselbst verstanden wird? [3]
Disparitäten zwischen dem Globalen und dem Lokalen neigen dazu, durch thematische Ausstellungen übersteigert zu werden, kuratiert in der euro-amerikanischen Sphäre von nicht-lokalen, in der Kunst der westlichen Welt ausgebildeten Kuratoren, die auch diejenigen sind, die letztendlich den Großteil der Literatur zu diesem Thema produzieren. Die meisten Themen von Ausstellungen halten an dem fest, was ich als einen Neo-Orientalismus bezeichnen würde - einen neuen Nahen Osten, konstruiert im Westen als Antwort auf den traditionellen Orientalismus, sei es als Reaktion oder als Korrektur. Natürlich geht mit dem wachsenden Interesse an dem Thema eine zunehmende Zahl an Initiativen einher, die sich um eine Verständigung bemühen. Dennoch wird das Gebiet von gewissen Standards umrahmt, die solche Bemühungen in den kommenden Jahren weiterhin prägen werden (auch weil in den modernen Diskursen trotz der bahnbrechenden Arbeit von Edward Saïd gewisse Aspekte des traditionellen Orientalismus überlebt haben). Und die Kluft zwischen Kuratoren und Akademikern auf diesem Gebiet setzt sich fort, wobei die Kuratoren die größere Macht haben, die Diskurse zu prägen.
Zum Schluss möchte ich anmerken, dass diese Verlagerung von Zentren der Wissensproduktion die Entwicklung der Ausbildung auf den Gebieten der Kunst und Kunstgeschichte der Region beeinträchtigt hat. Als in den USA lebende Hochschullehrerin bin ich ständig dadurch behindert, dass Ressourcen fehlen, die helfen würden, die Kunst der Region besser zu lehren. Dieses Problem ist in der arabischen Welt natürlich weitaus gravierender, wo nur geringe Möglichkeiten zur Verfügung stehen und die meisten Lehrmittel in Englisch oder Französisch sind. Nichtsdestotrotz signalisieren einige ehrgeizige institutionelle Initiativen in der arabischen Welt sowie auch neue Forschungen und kritisches Denken seitens einer wachsenden Zahl an jungen Akademikern die Möglichkeit frischer Ansätze für künftige Fortschritte auf dem Gebiet.
Anmerkungen:
Nada Shabout
Assoziierte Professorin für Kunstgeschichte und Direktorin für Zeitgenössische Arabische und Muslimische Kulturstudien (CAMCSI) an der University of North Texas, USA. Gründungspräsidentin der Association for Modern and Contemporary Art of the Arab World, Iran, and Turkey (AMCA).
Im Auftrag des Nafas Kunstmagazins und der Tate ist dieser Artikel eine Reaktion auf Themen, die im Rahmen des Symposiums "Contemporary Art in the Middle East: A Two Day Conference at Tate Britain and Tate Modern" im Januar 2009 in London diskutiert worden sind. Gefördert vom World Collections Fund.