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Die 11. Edition präsentiert ein solides Statement zur Notwendigkeit der Politisierung von Kultur.
Von Özge Ersoy | Okt 2009In der Türkei kamen politisch konfrontative zeitgenössische Kunstpraktiken in den Jahren nach dem Militärputsch von 1980 auf. In jener Zeit begannen Künstler damit, die Staatsideologie, developmentalistische Ideale sowie den Putsch selbst scharf zu kritisieren. Sie gingen auch zu den orthodoxen Auffassungen auf Distanz, von denen die linken Bewegungen in den 1960er und 1970er Jahren geschwächt worden waren. Doch gleichzeitig wuchsen das Misstrauen und die Intoleranz gegenüber zeitgenössischer Kunst, und das vor allem wegen der zunehmenden Investitionen privater Unternehmen auf diesem Gebiet, zu denen es im Kontext einer neu eingeführten neoliberalen Ökonomie kam. Allerdings scheinen die Proteste und öffentlichen Diskussionen im Zusammenhang mit der 11. Internationalen Biennale Istanbul leidenschaftlicher als je zuvor zu sein. In diesem Artikel werde ich auf die diesjährige Biennale vor dem Hintergrund der zurückliegenden Editionen eingehen und belegen, dass sie ein solides Statement hinsichtlich der dringenden Notwendigkeit einer Politisierung der Kultur präsentiert hat und dabei in der Türkei auf starken Widerstand gestoßen ist.
Die 1987 initiierte Internationale Biennale Istanbul hatte keinerlei Schwierigkeiten, sich in die neue Dienstleistungsökonomie der Türkei einzufügen. Da sich die Stadt darum bemühte, sich selbst zu vermarkten und mehr Touristen anzuziehen, begrüßte sie eine internationale Kunstveranstaltung wärmstens, die Kunstwerke mit alter Architektur, einschließlich byzantinischer Bauten und ehemaliger nationaler Gewerbestätten, in Dialog brachte. Dieser merkwürdige, bewusste oder unbewusste Flirt zwischen Gebäuden und Kunstwerken blieb ein Kernpunkt der Biennale. Allerdings haben die Kuratoren der Biennale 2005, Vasıf Kortun und Charles Esche, einen abrupten räumlichen Wandel vollzogen, indem sie die Ausstellungen und Veranstaltungen von den historischen Orten weg bewegten. Stattdessen positionierten sie diese in der Gegend von Galata/Beyoglu, die als eine geschäftige Handels- und Gewerbezone bekannt ist und seit kurzem zu einem Zentrum der Kunst und Kultur geworden ist. Dieser räumliche Übergang signalisiert auch einen ideologischen Wandel der Biennale. Die Ausstellungen wurden von den Vierteln, die sie beherbergten, aufgesaugt, während sich die Kunstwerke durchaus in den öffentlichen Raum einfügten, statt eine Verlängerung des touristischen Blicks zu bleiben.
Verschiedene Fraktionen der türkischen Kunstszene stellten sich der Biennale Istanbul von Anfang an entgegen. An der Kunst der Moderne orientierte Schulen (meist auf Malerei aufbauend) und kommerzielle Galerien haben die Biennale oft kritisiert. Sie haben die Stärke und das Format der Kunstwerke, die geringe Anzahl der in die Ausstellungen einbezogenen türkischen Künstler und das angebliche Ansinnen der Biennale, nur international wahrgenommen zu werden, in Frage gestellt. Bei der 10. Internationalen Biennale Istanbul 2007 mit dem Thema "Nicht nur möglich, sondern auch nötig: Optimismus im Zeitalter des globalen Krieges" sind diejenigen, die politische Kritik äußerten, lautstärker als jemals zuvor gewesen. Sie bezogen sich nicht so sehr auf die Kunstwerke selbst als vielmehr auf Hou Hanrus kuratoriales Statement, in dem er die Türkei als Beispiel für von oben erzwungene Modernisierungsprojekte in der nicht-westlichen Welt anführte. Es stimmt, dass die Biennale von 2007 chauvinistische, nationalistische Gelüste anheizte, aber die Proteste und Verurteilungen der Biennale sind auch von den Mainstreammedien mit Aufmerksamkeit bedacht worden. Dadurch wurde die Biennale-Diskussion über die Kunstkreise hinaus in eine breitere Öffentlichkeit getragen.
Ich würde behaupten, dass die 11. Internationale Biennale Istanbul ein voll entwickeltes politisches Statement einführte. Das Kuratorinnenkollektiv What, How & for Whom (WHW - Ivet Ćurlin, Ana Dević, Nataša Ilić, Sabina Sabolović und der Grafikdesigner Dejan Kršić) entschieden sich, die Biennale in den Kontext von Bertolt Brechts emanzipatorischer Kunsttheorie und Praxis zu stellen, was beinhaltet, dass das künstlerische Schaffen in der Lage sei, das Alltagsleben und sogar die Politik zu verändern. Die Prämisse dieses Schritts ist nicht, Brechts Philosophie neu zu entdecken, sondern vielmehr darauf hinzuweisen, was Kunst und Kultur heutzutage über den Ästhetizismus hinaus möglicherweise zu sagen hätten. Die Kuratorinnen präsentieren die Biennale als eine Plattform, die Kritizität und intellektuelle Agitation generiert. Sie betonen politische Willensbildung und, was noch wichtiger ist, die Politisierung der Kultur. Dennoch hält sich WHW von Urteilen oder Verlautbarungen zur politischen Geschichte der Türkei zurück, so wie dies Hou Hanru bei der letzten Biennale versuchte, weshalb die diesjährige Biennale für oberflächliche Kritik weniger angreifbar zu sein scheint. Stattdessen bringt das Kuratorinnenkollektiv globale Themen zur Sprache: politische Unempfindlichkeit und Gefühllosigkeit. Es nimmt Brecht, eine von der marxistischen Linken verehrte Figur, auch als Bezugspunkt und zielt vielleicht darauf ab, zwischen verschiedenen linken Lagern zu vermitteln und damit eine größere, am transformativen Dialog interessierte Gruppe anzusprechen.
Hier sind ein paar Beispiele der Kritiken an der diesjährigen Biennale. DirenIstanbul, eine Protestgruppe, die vor allem für Demonstrationen gegen die Treffen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank bekannt ist, beschrieb die Biennale als eine "absurde Kakophonie 'radikaler' Statements, die durch den Raum schwirren wie bis zum Überdruss wiederholte Zungenbrecher". Nach ihrer Auffassung propagierten die Kuratorinnen "Statements wie 'Sozialismus oder Barbarei', die durch den Salon hallten, der mit [ihren] Sponsoren, Leibwächtern und Ministern mit falschem Lächeln und Geruch nach altem Wein angefüllt war", wobei sie sich auf die Eröffnungszeremonie bezogen. [1] In ihrem offenen Brief an alle Künstler und Kuratoren verkündeten sie: "... wir kämpfen ... und leisten in den Straßen Widerstand, nicht in Geschäftsräumen, die für tolerierte institutionelle Kritik reserviert sind, damit sie ihr Gewissen entlasten können." [2] In einem Interview mit WHW äußerten die Autoren und Herausgeber Yücel Göktürk, Ulus Atayurt und Erden Kosova: "Die Tatsache, dass Koç [das Unternehmen, das die Biennale 2009 sponsert] und Brecht nebeneinander gestellt sind, bringt ein Gefühl der Ausbeutung hervor und veranlasst das Publikum, der Biennale fernzubleiben." [3] Der Künstler Cavit Mukaddes schrieb: "Brecht verbrachte sein ganzes Leben im Widerstand. Wer kann es wagen, solch banale Stumpfheit mit dieser monumentalen Figur der Humanität und Literatur zu assoziieren? Seit wann ist Brecht zu eurem Clown geworden?" [4]
Obwohl diese Zitate nur einige Kritiken karikieren, deuten sie doch auf gewisse Auseinandersetzungen hin: politisch engagierte Kunst ist zu einem populären Marketinginstrument für Kunstveranstaltungen geworden; es ist illusorisch zu glauben, dass diese Kunstevents soziale und politische Veränderungen herbeiführen würden; es ist ein Widerspruch und für viele sogar empörend, dass die Kuratorinnen Brecht als einen Bezugspunkt für eine Biennale benutzen, die von einem der größten Industrie- und Finanzunternehmen der Türkei gesponsert wird. Es scheint, als wenn solche Argumente noch keine substantiellen Diskussionen über die emanzipatorische Kraft der Kunst angekurbelt hätten. Stattdessen sind sie einseitige Nörgelei geblieben, die sich auf das Verhältnis zwischen den rhetorischen Mitteln der Biennale und ihren Sponsoren konzentriert. Diesen Argumenten begegnet WHW, indem das Kontroverse des Sponsorings der Biennale zwar anerkannt, aber auch gefragt wird: Wenn ihr mit eurer politischen Position am Mainstream partizipiert, welche Kompromisse müsst ihr dann eingehen? Wie könnt ihr eure Position aushandeln, wenn ihr ideologisch eingeschränkt seid? Wenn es nichts anderes neben den allgemeinen Machtstrukturen gibt, wie könnt ihr dann die Instrumente des existierenden Systems nutzen, um euch auszudrücken?
Seien wir mal ehrlich: die Istanbul Biennale ist keine revolutionäre Institution und die Kuratorinnen tragen keine revolutionären Hüte. Bei dem kuratorialen Vorschlag von WHW geht es um die Politisierung der Kultur. Lineare kausale Zusammenhänge zwischen Kunst und Politik zu suchen, ist nicht nur naiv, sondern auch irreführend. Solche Ausstellungen und Kunstorganisationen wie die 11. Internationale Istanbul Biennale ändern das existierende System nicht, aber sie haben das Potenzial, Alternativen vorzuschlagen. Dieses inhaltliche Anliegen, das nicht direkt etwas mit politischer Verantwortung zu tun hat, scheint der größte Vorzug zeitgenössischer Kunst zu sein. Die Biennale muss noch heiße, tiefgreifende Debatten über Kunst, Kultur und Politik entzünden. Sie kann zur Verständigung zwischen verschiedenen Gruppen führen, um alternative Realitäten zu entwerfen und vielleicht kollektive, auf Veränderungen abzielende Diskussionen anregen. In Zeiten, in denen die Beziehungen zwischen der Gesellschaft und der Kunst derart fragil sind, frage ich mich, weshalb wir uns nicht entscheiden darüber zu reden, warum, wie und mit wem [What, How & for Whom - WHW] dieser Raum der Imagination geschaffen werden kann.
Anmerkungen:
Özge Ersoy
Kuratorin und Autorin, derzeit Projekt-Managerin von Collectorspace in Istanbul.
11. Biennale Istanbul
12. September - 8. November 2009
Istanbul, Türkei
Thema: What Keeps Mankind Alive?
(Denn wovon lebt der Mensch?)
Kuratorinnen: WHW
What, How & For Whom