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Experimente, Interaktionen mit der Bevölkerung und Interventionen im öffentlichen Raum in Bahrain.
Von Anas Al-Shaikh | Nov 2009Garrulity of Places (Beredsamkeit von Orten) ist der Titel einer Reihe experimenteller Arbeiten, die mit der Bevölkerung interagieren und in den öffentlichen Raum in Bahrain intervenieren. Initiator und Koordinator ist Anas Al-Shaikh, beteiligt sind 11 weitere Künstlerinnen und Künstler. Das auf ephemere, interaktive und kritische Kunstpraxis konzentrierte Projekt vermittelte Erlebnisse, die sich ganz erheblich von den bisherigen künstlerischen Erfahrungen der meisten Teilnehmer unterscheiden. Besonderer Wert wurde auf Kooperation, Diskussion und Dialog gelegt, um unter den Beteiligten einen Bewusstseinsgrad und eine Interaktion zu entwickeln, die sie in die Lage versetzen, individuelle Haltungen gegenüber zahlreichen Themen einzunehmen und sich zu diesen in ihrer künstlerischen Arbeit zu äußern.
Die ersten 5 Projekte sind von Februar bis Juni 2009 in unregelmäßiger Folge immer Freitag morgens an verschiedenen Orten von Bahrain realisiert worden. Unter den Themen, mit denen sie sich beschäftigt haben, sind Umweltfragen (Privatisierung und Verschmutzung von Stränden), politische Themen (Jerusalem, Palästina) und ethische Aspekte (die Manipulation von Individuen und Gemeinschaften mit Hilfe der Technologie) gewesen. Drei weitere Vorhaben sind geplant, in denen es um Sektierertum, Subkultur und den Tod des Autors gehen soll. Die beiden Projekte, die auf die Interaktion mit den Leuten auf der Straße fokussiert sind, werden hier präsentiert.
Geschichten
Datum: Freitag, 10. April 2009
Ort: Lokaler Markt
Gegend: Isa-Stadt
Dieses Projekt wurde auf einem der belebtesten lokalen Märkte Bahrains in Isa-Stadt realisiert, wo Leute jeder Couleur neue oder gebrauchte Güter zu ziemlich niedrigen Preisen erwerben. Die Absicht bestand darin, eine Situation zu schaffen, um mit den Anwesenden in einen direkten Kontakt zu treten und sie zur Teilnahme und Mitwirkung zu ermutigen.
Auf einigen Tischen wurden Fotografien zusammen mit Audiogeräten ausgelegt, mit denen jeder beteiligte Künstler bzw. jede Künstlerin eine Geschichte aufgenommen hatte, die irgendwie mit den von ihm oder ihr mitgebrachten Fotos zu tun hat.
Die erste positive Reaktion kam von den offiziellen Sicherheitsbeauftragten des Marktes, die uns einen geeigneten Platz für die Präsentation unseres Projekts zur Verfügung stellten. Auch Inhaber von Geschäften für gebrauchte Möbel machten mit, indem sie uns Tische und Stühle liehen. Einer von ihnen baute sogar einen Sonnenschutz auf, um das Publikum vor der Hitze zu schützen.
Auf den ersten Blick schien es, als wären die üblichen an der Sonne getrockneten Güter ausgelegt worden, und zunächst konnten die Leute die Objekte in unserer Schau nicht identifizieren. Es gab unterschiedliche Reaktionen. Einige Leute hörten unsere Geschichten ohne jeden Kommentar. Andere hielten einige Sekunden in der Nähe inne und gingen weg als sie sahen, dass die Dinge nicht für den Verkauf bestimmt waren und wollten nicht einmal wissen, warum es an den Tischen einen solchen Menschenauflauf gab. Aber viele Leute nahmen sich die Zeit, sich hinzusetzen und die Geschichten anzuhören. Sie gingen sogar soweit, viele Fragen über diese Geschichten und das Projekt selbst zu stellen.
Bushaltestellen
Datum: 22. Mai 2009
Ort: Bushaltestellen an der Route Isa-Stadt - Manama
Gegend: der Norden von Bahrain
Nach dem Geschichten-Projekt sah es die Gruppe als wichtig an, mit solch einer Praxis fortzufahren, bei der es um die Kommunikation und Interaktion mit Leuten geht, die bei ihren alltäglichen Beschäftigungen sind. Zahra Khamis schlug vor, etwas im Zusammenhang mit dem lokalen Transportsystem zu tun, indem wir uns auf eine Fahrt mit dem Bus zwischen den zentralen Busbahnhöfen von Isa-Stadt und Manama begeben und entlang der Strecke an verschiedenen Haltestellen aussteigen, wo jeder bzw. jede von uns seine bzw.ihre eigene Idee zeigen oder aufführen könnte.
Dieses Mal waren wir nur zu dritt: Zahra Khamis, Hassan Al-Haiyki und ich, Anas Al-Shaikh. Die anderen Mitglieder der Gruppe konnten wegen der großen Hitze oder aus anderen Gründen nicht mitmachen. Wir wurden von Hooriya Mansoor begleitet, die bei der Dokumentation dieser Erfahrung mitwirkte. Es hatte keinerlei Koordination zwischen uns dahingehend gegeben, was wir bei den Zwischenhalts präsentieren würden. Aber als wir uns am zentralen Busbahnhof in Isa-Stadt trafen, stellten wir fest, dass die drei Ideen ohne jede vorherige Absprache gut zusammenpassten und sich komplementierten. Die Tour dauerte etwa zweieinhalb Stunden. Jede/r von uns konnte ihre/seine eigene Idee an jeder Bushaltestelle, an der wir ausstiegen, umsetzen:
Zahra hängte Fotos von Leuten und Arbeitern verschiedener Konfessionen und Nationalitäten auf, die sie zuvor aufgenommen hatte. Indem sie diese den Leuten an den Bushaltestellen zeigte, wollte sie die Botschaft vermitteln, dass es jemand gibt, der bzw. die ihre täglichen Sorgen teilt, obschon diese Menschen in anderen Verhältnissen leben mögen.
Hassan Al-Haiki hatte einen großen Spiegel mitgebracht, den er an den verschiedenen Haltestellen aufbaute, damit die Fahrgäste ihre Kleidung oder ihre Haare etwas zurecht machen können, während sie auf den Bus warten.
Wegen der hohen Temperaturen hatte ich diverse Schachteln Papiertücher dabei, die ich an Wänden und Pfeilern der Haltestellen befestigte, so dass sich die Fahrgäste und Passanten daraus bedienen konnten.
Die Leute waren verblüfft und wollten wissen, was an der Bushaltestelle vor sich ging. Einige Fahrgäste dachten, als sie unsere Kameras sahen, wir seien Journalisten, die eine investigative Reportage über den öffentlichen Nahverkehr machen. Sie begannen, sich über ihre Jobs zu beklagen, weil sie schikaniert werden, ihr Geld nicht bekommen und aus anderen Gründen. Sie baten sogar darum, dass wir ihre Beschwerden in der Zeitung veröffentlichen. Als sie aber merkten, was wir tatsächlich taten, änderten sich ihre Reaktionen unverzüglich. Einge versammelten sich vor den Fotografien und kommentierte diese mit ihren Freunden und mit uns. Viele nutzten den Spiegel, um sich herzurichten, und waren dankbar für die Papiertücher, mit denen sie sich an einem solchen heißen Tag den Schweiß abwischen konnten.
Anas Al-Shaikh
Künstler und unabhängiger Kurator. Seit 2002 Initiator von Gruppenprojekten mit zeitgenössischen Kunstpraktiken in Bahrain.
Garrulity of Places
(Beredsamkeit von Orten)
Projekt und Texte von Anas Al-Shaikh
Experimentelle Arbeiten, Interaktionen mit der Bevölkerung und Interventionen im öffentlichen Raum von Bahrain.
Februar - Juni 2009
Fotos der Projekte ►