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Modernes indonesisches Wayang Kulit (Schattenpuppentheater), das auf Nugrohos Comicfiguren basiert.
Von Alia Swastika | Feb 2009Die meisten javanesischen Kinder, vor allem die vor der Mitte der 1980er Jahre geborenen, sind mit dem traditionellen indonesischen Wayang Kulit (Schattenpuppentheater) und den damit verknüpften Geschichten von klein auf vertraut. Das Spiel gehörte zu den üblichen Treffen und wurde bei einigen familiären und sozialen Anlässen dargeboten, wie z.B. Hochzeiten, Geburtstagen oder Amtseinführungen. Nicht nur die Geschichten und die ästhetischen Aspekte der Aufführungen sind wichtig, sondern die gesamte Veranstaltung, durch die ein Gefühl des Beisammenseins entsteht. Das ist der Grund, weshalb die meisten Bemühungen, sich mit dieser traditionellen Darbietungsform auseinanderzusetzen und sie in einen modernen Kontext zu stellen, ein Weg sind, die Sehnsucht nach der Geschichte und den Geschichten der Vergangenheit nachzuzeichnen.
Eko Nugroho ist ein ganz normaler javanesischer Junge gewesen und hat solche Erinnerungen an das Schattenpuppenspiel. Er wuchs in einem Dorf auf, in dem das herkömmliche kollektive Leben noch erhalten geblieben war, wozu gehörte, dass das kulturelle Erbe von den Leuten tatsächlich gelebt wurde. Ausgehend von seinen Comicbüchern und einer Radiosendung begann Eko, eine engere Beziehung zu den Schattenpuppenfiguren aufzubauen, die im indonesischen Kontext im Allgemeinen mit dem Mahabharata und dem Ramayana (die beiden indischen Nationalepen, in alten Indonesien durch den Hinduismus verbreitet) verbunden sind. Während dieser Phase des Beobachtens "der Vergangenheit" genoss Eko zugleich die westliche Kultur, indem er Zeichentrickfilme im Fernsehen anschaute, Comicbücher las, Popmusik hörte oder ins Kino ging. Deswegen sind ihm die "Tradition" und das "Modernen" bzw. der "Osten" und der "Westen" immer gleichermaßen nah gewesen. Als Kind hat Eko alles einfach aufgenommen, das sich ihm darbot, und nach und nach hat sich seine ganz eigene Sicht der Welt herausgebildet.
Diese einzigartige Perspektive hat mit seiner Auffassung zu tun, dass die Kunst ein Weg ist, dem Publikum Ideen zu kommunizieren, und deshalb verbindet er Geschichten aus dem Alltag in seinem Umfeld mit der visuellen Bildwelt der populären Kultur. Eko ist in der Wahl seiner Medien sehr flexibel. Neben zweidimensionalen Werken - Zeichnungen auf Papier, Gemälden, Stickereien, Wandbildern - arbeitet er auch dreidimensional und mit Animationen. Er möchte immer zu den Leuten sprechen und zwar auf indirekte Weise, damit sie die Grenzen ihrer Vorstellungskraft erweitern. Der Wunsch, sich an ein größeres Publikum außerhalb der unmittelbaren Kunstszene zu wenden, und das Verlangen nach einer Reise zu den Erinnerungen seiner Kindheit haben ihn dazu gebracht, die Geschichte des traditionellen Schattenpuppenspiels aufzunehmen.
"Bungkusan Hati di Dalam Kulkas" (A Wrap of Heart in Freezer) ist eine gemeinschaftliche Performancearbeit, die auf Ekos Comicfiguren basiert. Das Hauptziel des Projekts besteht darin, eine zeitgenössische Schattenpuppendarbietung zu schaffen, nicht nur hinsichtlich der Form, sondern insbesondere, um den Geist der heutigen Gesellschaft einzufangen. Auf einer zeitgenössischen visuellen Bildwelt aufzubauen, so wie Eko das tut, ist die beste Strategie, die Sensibilität des heutigen Publikums anzusprechen. An dem Projekt beteiligt sind ein junger Dalang (Meister des Puppenspiels), Ki Catur Kuncoro, mit seiner hervorragenden Beherrschung der traditionellen darstellenden Künste, Joned Suryatmoko, ein Drehbuchautor mit realistischem Ansatz, der im modernen Theater tätige Bühnenbildner Andy Seno Aji, der Lichtgestalter Ignatius Sugiarto und der Komponist Yenu Ariendra, der zumeist mit digitalem Equipment arbeitet. Als Ausgangspunkt lasen sie Ekos Comics und versuchten, das Wesen seiner merkwürdigen Figuren zu erfassen und nachzuvollziehen, wie sich der Gedanke der Gewalt als ein Resultat seiner tief gehenden Beobachtung der Vorgänge in der heutigen Gesellschaft durch die jüngeren Werke zieht.
Wie in den Schattenspielen üblich, sind auch Ekos Figuren aus Leder hergestellt. Doch während die traditionellen Puppen normalerweise beidseitig bemalt sind und dadurch dunkle Schatten werfen, hat Eko nur eine Seite dünn koloriert, damit die Schatten seiner Charaktere in einer transparenten Farbigkeit erscheinen. In den Glaubensvorstellungen und Mythen des alten Java sind Schatten eine grundlegende Metapher. Darum hatten alle Charaktere und Requisiten des Schattenspiels eine verborgene Bedeutung, die vor dem Hintergrund der lokalen Weisheiten interpretiert werden muss. Indem sie als Schatten erscheinen, wird mit einem Widerspruch zwischen dem "Realen" und dem, was dahinter verborgen sein könnte, gespielt.
Für den Meister des Puppenspiels als traditionellen kulturellen Aktivisten ist es eine neue Erfahrung gewesen, im Rahmen einer solchen Kooperation in die Welt einer visuelle Imagination einzutauchen, die eine chaotische und dekonstruktive Interpretation des Universums impliziert. Eko selbst hat durch die Arbeit mit Leuten aus den darstellenden Künsten, insbesondere den aus einem traditionellen Bereich kommenden, die Fundamente des lokalen Wissens der javanesischen Gesellschaft besser verstanden. Der Autor des Stücks musste sich auf andere dramaturgische Möglichkeiten einlassen, denn die Schattenfiguren können nur mit Gesten und Text agieren, während Schauspieler durch ihre Mimik und ihre eigene Stimme nuanciertere Ausdrucksmöglichkeiten haben. Die größte Herausforderung bestand darin, sich über die Konventionen der traditionellen Wayang-Darbietungen hinwegzusetzen, um mit einer frischen und progressiven audiovisuellen Aufführung den Nerv der heutigen Zeit zu treffen.
In der Story des Stücks geht es um häusliche Gewalt und darum, welche weit reichenden Einflüsse diese hat. Angesprochen werden das "Private" und das "Öffentlichen", "männlich" und "weiblich", "Individualität" und "Gemeinschaftssinn" und anderes mehr. Die Handlung dreht sich um eine Familientragödie, in der Gewalt als ein Weg zur Lösung von Problemen benutzt wird. Ein Paar steckt in einer Ehekrise, die Frau hat eine Affäre mit einem Mann, der wegen seines transsexuellen Sohnes voller Komplexe ist, und nachdem ein Konflikt auf den anderen folgt, bringt der Ehemann seine Frau aus Eifersucht um, und am Ende sterben alle Protagonisten des Stücks. Die Geschichte wird in Bahasa Indonesia (der offiziellen Sprache Indonesiens) gespielt, was ebenfalls ein neuer Aspekt dieser Darbietungsform ist, denn die meisten Schattenpuppenstücke sind in Javanesisch. Der Einsatz zeitgemäßer Musik ist ein wichtiges Element der Aufführung, und an einigen Stellen hat der Puppenspielmeister neue Ansätze gefunden, die Geschichte zu erzählen, etwa in der Art von HipHop-Sängern.
Alia Swastika
Kuratorin, Forscherin und Autorin mit speziellem Interesse für Kulturstudien. Lebt in Yogyakarta, Indonesien.
Bungkusan Hati di Dalam Kulkas
(A Wrap of Heart in Freezer)
Schattenpuppentheater
Salihara Theater
Jakarta
16. Dez. 2008
Cemeti Art House
Yogyakarta
5. März 2009