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Mit ihrem expressiven Minimalismus schlägt die Gruppe eine neue Richtung in der Kunst Marokkos ein.
Von Jesús M. Castaño | Jan 2009In der zeitgenössischen marokkanischen Kunst sind zwei Hauptströmungen zu beobachten: eine aus der Kontinuität geborene, deren Ausgangspunkt die traditionelle Kunst ist, während die andere, eindeutig innovative, ihre Ausdrucksweise in der Radikalität eines persönlichen schöpferischen Abenteuers sucht.
Mit der Ausstellung von Collectif 212 in der Casa Árabe de Madrid (Arabisches Haus) ging es uns keineswegs um einen umfassenden Überblick über die Kunst Marokkos, eines Landes mit einer überaus komplexen Geschichte. Diese Entscheidung beruht auf persönlichem Engagement und Komplizenschaft. Ich habe es meiner Erinnerung überlassen, die Bilder auszusuchen. Natürlich ist es eine westlich geprägte Erinnerung, doch bemühte ich mich darum, die Spiegelung eines Europa zu vergessen, das durch die heilige Halluzination geblendet ist, die ihre in den Narzissmus eingefangene Kunst allgegenwärtig dominiert. Es ist ein auch durch die Beschleunigung der Kommunikation in unserer heutigen Zeit und einen herabsetzenden Ethnozentrismus kontaminierter Blick. Man wird sicher mit mir darin übereinstimmen, dass sich in Marokko ein visuelles Vokabular entwickelt, das mit der Produktion der jüngsten westlichen Künstlergeneration unmittelbar verbunden ist und den Eindruck vermittelt, dass es im Grunde in der ganzen Welt schon eine einzige visuelle Sprache gibt. Die Kommunikationswege zwischen den Kontinenten haben sich auf eine nie dagewesene Weise verkürzt, und die gegenseitige Abhängigkeit nimmt weiter zu. Die westliche Kunst öffnet sich den erfrischenden Impulsen von außen, weil von den von dort kommenden Werken eine ganz besondere Anziehungskraft ausgeht.
Collectif 212 trägt zur Kunst unserer Zeit Identität und Persönlichkeit bei. Die Namen der Mitglieder der Gruppe erscheinen immer öfter in der internationalen Kunstszene, da ihre Arbeiten in große Ausstellungen und Biennalen einbezogen werden. In dieser Gruppe, die anderen als Modell und Bezugspunkt dienen kann, ziehen alle einen Nutzen aus einem solchen fruchtbaren Zusammenschluss. Wenn man die Werke der einzelnen Künstler betrachtet, stellt man fest, dass nicht alle gleichermaßen und in jedem Falle den aktuellsten Ausdrucksformen zuzuschreiben und gegenseitige Einflüsse nicht unbedingt offenkundig sind. Obwohl in der Gruppe keine bestimmte Tendenz vorherrscht, gibt es einige Übereinstimmungen, die keineswegs als nur generationsbedingte Zufälligkeiten gewertet werden können. Es handelt sich u.a. um einen von Bernard Collet beschriebenen "expressiven Minimalismus" bei allen Gruppenmitgliedern, den sie bei der Herausbildung ihres kritischen Bewusstseins entwickelt und in verschiedenen Äußerungen zum Ausdruck gebracht haben. Collectif 212 ist allen künstlerischen Manifestationen gegenüber offen. Eine der Absichten besteht in einem Zusammenschluss der Kräfte, um die marokkanische Kunst aus einer Zeit der Beschränkungen und der Mittelmäßigkeit herauszuholen, maßgeblich verursacht von einem aus der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation resultierenden Pessimismus. Es handelt sich um VertreterInnen einer neuen marokkanischen Künstlergeneration, die ihre Kultur voranbringen, hinterfragen und mit ihr in Dialog treten. Beim Betrachten ihrer Werke stechen sofort diejenigen hervor, die mit sehr verschiedenen Medien, Techniken und in unterschiedlichen Ausdrucksweisen geschaffen wurden, und das mit der Fähigkeit, eine Art von Energie zu übermitteln, die direkt mit dem Leben von heute verknüpft und in die Zukunft projiziert ist: das künstlerische Schaffen als eine besondere und einmalige Lebensform, die sich sowohl zu anderen Daseinsweisen des individuellen Lebens - der des Betrachters - als auch zu dem, was man unter kollektivem und sozialem Leben versteht, ins Verhältnis setzt.
Über den künstlerischen Anspruch der Mitglieder hinaus will Collectif 212 eine Bewegung mit ethischer Verankerung und eine auf das Umkrempeln des kreativen Schaffens in Marokko orientierte Aktivität sein, die neue und vielversprechende Richtungen einschlägt. Der künstlerische Rang der Beteiligten hält jeder Prüfung stand, und noch mehr die Tatsache, dass diese Künstler auf höchster Ebene Mitakteure eines Wandels in Marokko sind. Eine ihrer wichtigsten Botschaften lautet, dass eine künstlerische Erneuerung immer möglich ist, wenn sie als kollektive Anstrengung derjenigen geschieht, die bereit sind, ihre Erfahrungen zu teilen und neue Wege einzuschlagen.
Jesús M. Castaño
Kulturmanager, Kunstberater, Kurator in Spanien. Hochschulabschlüsse in Jura, Kunstgeschichte und Anthropologie.
Collectif 212
Mitglieder:
Amina Benbouchta
Hassan Echair
Safaa Erruas
Jamila Lamrani
Imad Mansour
Myriam Mihindou
Younès Rahmoun
Ausstellung der Gruppe in der Casa Árabe, Madrid
18. Nov. 2008 - 11. Jan. 2009
Kurator:
Jesús M. Castaño
(Fundación ArtSur)