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Rezension der Ausstellung visueller Kunst, kuratiert von Abdellah Karroum. Mit zahlreichen Fotos.
Von Zineb ElRhazoui | Dez 2009Als eine rote Stadt aus Palmen eine Gruppe erlesener Künstler, Kritiker, Schriftsteller und Filmemacher zur dritten Arts in Marrakech Biennale willkommen hieß, war eine außergewöhnliche künstlerische und literarische Fusion durch die Klugheit der Teilnehmer und die Qualität der ausgestellten Werke zum Leben erweckt worden.
Die Kunst des Denkens in einer komplexen Form: das ist es, wie die Installationen anspruchsvoller Künstler aus aller Welt erscheinen, als sie Marrakesch besuchen, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Obwohl die visuellen Künste die zentrale Attraktion sind, präsentiert diese Edition der Biennale auch Literatur- und Filmprogramme. A Proposal for Articulating Works and Places (Ein Vorschlag, Werke und Orte zu artikulieren), kuratiert von Abdellah Karroum, ist eine der Gruppenausstellungen der Biennale. Die Arbeiten sind über viele Orte verteilt, so z.B. die Ecole supérieure des arts visuals (ESAV), Riad Magi und Kssour Agafay. Im Palais Bahia, wo die Mehrzahl der Werke installiert ist, trifft zeitgenössische Kunst auf ein Ensemble von Mosaiken und ornamentalen Holzdecken authentisch andalusischer Architektur.
Selten bietet sich einem Liebhaber konzeptueller Kunst die Gelegenheit, Arbeiten von Seamus Farrell, dem in Irland geborenen Künstler, der im Pariser Außenbezirk Montreuil lebt und arbeitet, in einem solchen Ambiente zu genießen. Sein Werk UN Circle Gwangju – Marrakech, eine Installation alter Autotüren in der Mitte des Hofes des Palais, ähnelt einer Maschine für Zeitreisen. In den meisten seiner Werke adaptiert Seamus Farrell Objekte, die aussehen als würden sie nicht mehr funktionieren, und verleiht ihnen ein zweites Leben, wobei er aber auch die Rolle des Künstlers und des Kunstwerks hinterfragt. Eine Ecke der Galerie füllt die Arbeit des marokkanischen Künstlers Mustapha Akrim, der in Rabate-Sale lebt und arbeitet. Chantier, oder Baustelle, ließ einige Betrachter glauben, es handle sich tatsächlich um eine Baustelle im Zuge der Restaurierung des Palais. Akrim, der seine Inspiration in der von ihm erlebten Wirklichkeit findet, geht dem Paradox nach, was das normale Werken von einem Kunstwerk unterscheidet und was es mit diesem verbindet. Nicht weit davon breiten sich Sofia Aguiars Zeichnungen von Insekten über die Wände eines Raumes aus. Aguiar, die in Lissabon und in Tanger lebt, setzt sich mit den reale Ängsten und Manien ihres Lebens auseinander. "Insekten versetzen mich in Schrecken, ich hasse sie. Deswegen zeichne ich sie obsessiv, um meine große Angst davor in den Griff zu bekommen", sagte die Künstlerin. Ihre prächtigen Miniaturen harmonieren mit den Ornamenten der großen Holztüren, als wären sie Verzierungen, die das Palais Bahia dekorieren. Sie rufen das glamouröse Leben der einstigen Bewohner und die Zeit in Erinnerung, bevor hier in dieser glanzvollen Stadt im Süden Marokkos der Ansturm der Touristen begann.
Eine der herausragenden Arbeiten in A Proposal for Articulating Works and Places stammt von der italienischen Künstlerin Loredana Longo und hat den Titel Nichts scheint wie es ist. Die in der ESAV ausgestellte Installation ist eine solitäre Zelle, deren Wände mit Spiegeln verkleidet sind, erhellt von einem flackernden Licht. Sie wirkt wie ein Spiegelkabinett für extravagante Vergnügungen. Obwohl sie an Metallketten hängt, steht die Zelle auf Beton. Der Spiegel reflektiert das Bild des Betrachters bis ins Unendliche und vermittelt dadurch den Eindruck von Schönheit und Freiheit. "Falsche Schönheit und illusorische Freiheit", erläuterte die Künstlerin, "denn trotz der ästhetischen Anziehungskraft der Installation, bleibt es eine Zelle, deren Zweck im Entzug von Freiheit besteht." Sie fügte hinzu, dass das flackernde Licht, obwohl es strahlend zu sein scheint, nichts anderes als ein Folterinstrument in der Zelle eines Gefangenen ist. Longo äußerte des Weiteren, nach einer Reihe von Arbeiten, die durch die Gewalt der Mafia in ihrem heimatlichen Sizilien beeinflusst sind, sei sie durch die politische Situation in Marokko zu dieser Arbeit angeregt worden: "Ich kam nach Marokko, bevor ich diese Installation in Angriff genommen hatte. Hier traf ich viele Journalisten und Menschenrechtsaktivisten und begriff, dass die Menschen noch immer für die elementarsten Freiheiten kämpfen und mit Strafverfolgung rechnen müssen, nur weil sie ihre Meinung äußern, und deshalb beschloss ich, eine Arbeit über die Frage der Freiheit zu präsentieren."
Longo ist nicht die Einzige, die Werke produzierte, in denen es um die Forderung nach ethischem Engagement geht. Die meisten Teilnehmer packten in ihren Installationen soziale, politische und ökonomische Probleme an. Zum Beispiel Batoul S'himi, eine in Martil (Marokko) lebende Marokkanerin, zeigt eine Arbeit mit dem Titel Druck der Welt. Obwohl sie ihren Ursprung im Alltagsleben einer marokkanischen Hausfrau hat, geht es darin um drängende globale Fragen wie Krieg und Hunger. S'himi wandelt gewöhnliche Haushaltsgegenstände, wie Koch- und Reinigungsgeräte, in Werkzeuge des Widerstands um. Ein Schnellkochtopf, aus dem die Weltkarte herausgesägt wurde, oder Farben aus marokkanischen Gewürzen: durch das Recyceln entstehen kraftvolle Kunstwerke, die zu dem gewalttätigen Kurs Stellung beziehen, den die internationale Politik eingeschlagen hat.
Auch der aus Belgien stammende und in Mexiko lebende Künstler Francis Alÿs präsentiert eine Arbeit, die durch die lokale Situation angeregt ist und während seines letzten Aufenthalts in Marokko produziert wurde. Überquere die Brücke nicht, bevor du am Fluss angelangt bist ist eine audiovisuelle Installation mit zwei Projektionsflächen, von denen die eine das südliche und die andere das nördliche Ufer der Straße von Gibraltar repräsentiert. In einer langen Reihe gehen Kinder von afrikanischer Seite aus in Meer, so als würden sie in Richtung Europa wollen. Sie halten kleine, aus Gummilatschen gebaute Schiffe in ihren Händen. Eine ebensolche Reihe verlässt das Ufer auf der gegenüberliegenden spanischen Seite in Richtung Marokko, bis sich beide am Horizont begegnen. Das ist eine höchst symbolische Arbeit, besonders angesichts der in dieser engen Durchfahrt so offenkundigen Dimension sozialer Unterschiede zwischen den Legionen afrikanischer Emigranten, die der Gewalt, dem Elend und der Verzweiflung auf gefährlichen Booten zu entfliehen versuchen, und dem Überfluss einer verschwenderischen Konsumgesellschaft, die im Schatten der von einer rigiden Einwanderungspolitik errichteten Bollwerke Europas zu einer Fata Morgana geworden ist.
Joseph Kosuth, ein Pionier der globalen Konzeptkunst, der zur Biennale als Ehrengast eingeladen ist, sagte, dass jedem Kunstwerk zwangsläufig politische Konnotationen innewohnen. Vielleicht kann Kosuth, einer der ersten, die Kunst unter dem Vorzeichen von Tautologie von ihren ästhetischen Dimensionen lösten, das heißt, einen Prozess vollzogen, der Ergebnisse wie in der Mathematik oder theoretischen Physik hervorbringt, in der Ausstellung A Proposal for Articulating Works and Places eine praktische Synopse seiner theoretischen Prinzipien der Kunst des Denkens bzw. der konzeptuellen Kunst finden. In diesem Programm ist das materielle Werk selbst nicht so wichtig wie das Denken, das es verkörpert, und die Art und Weise, in der es mit dem Ort koexistiert, an dem es ausgestellt ist, und das vor allem, weil die meisten der präsentierten Werke zu etwas Anderem hinführen.
Zineb ElRhazoui
Journalistin, lebt in Casablanca, Marokko. Mitbegründerin von MALI (Mouvement Alternatif pour les Libertés Individuelles).
Internationale AiM Biennale
(Arts in Marrakesch)
Dritte Edition
19. Nov. 2009 - 20. Jan. 2010
Marrakesch, Marokko
Kurator für visuelle Künste:
Abdellah Karroum