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Erhitzte Debatten über die stark reduzierte Auswahl der Jury des 20. Salons der Jugend in Kairo.
Von Omnia ElShakry | Apr 2009Obwohl man durchaus erwartet hatte, dass die Diskussion über die offizielle Juryauswahl des 20. Jährlichen Salons El Shabab angespannt sein würde, konnte niemand ahnen, wie erhitzt die Debatte über die Entscheidung des Komitees letztendlich wurde. In der Tat ist die Auseinandersetzung mit all den Schreiduellen, dem melodramatischen Verlassen des Raumes und zornigen und geknickten Künstlern sehenswert gewesen. Während drei Mitglieder der Jury (Bassam El Baroni, Hassan Khan und Wael Shawky) bereits neben Mohammed Tala’at (Direktor von Qasr el Funun, dem Palast der Künste des Kulturministeriums) saßen und auf die Ankunft des Juryvorsitzenden (Ahmed Shiha) und des Leiters des Sektors Schöne Künste im ägyptischen Kulturministeriums (Mohsen Sha’alan) warteten, nahm die Anspannung und ängstliche Erwartung des Publikums ständig zu. Nachdem er die verbleibenden Namensschilder weggenommen hatte, stellte Tala’at die eigenwilligen Jurymitglieder einem Publikum vor, das ungeduldig eine Erklärung für die enge Auswahl von nur etwas mehr als 100 Künstlern aus über 1.100 Bewerbern erwartete, denn ein solcher Vorgang passierte zum ersten Mal in der Geschichte des Salons. Die Messlatte lag sehr hoch - immerhin ist die Einbeziehung in den Salon bei jungen Künstlern sehr begehrt, gilt sie doch als offizieller Start einer Künstlerkarriere -, und der Umgang mit der Frage der Jugend in den Mainstreammedien (mit der allgegenwärtigen Diskussion über eine "Jugendkrise") ist bezeichnend für die Art und Weise, wie die ägyptische Gesellschaft ihren eigenen Platz in der Kunstwelt sieht und ihre postkoloniale Zukunft hinterfragt.
Die erste, an Hassan Khan, Künstler und Jurymitglied, gerichtete Frage war, ob die extreme Selektivität des Gremiums mit den persönlichen künstlerischen Auffassungen der Mitglieder des Auswahlkomitees zu tun hat oder ob sie auf einer Reflexion über den gegenwärtige Stand der Arbeit junger ägyptischer Künstler beruht. Die auf dem Podium sitzenden kämpften vereint und einzeln darum, das Konzept des gegenwärtigen Salons als das einer Ausstellung zu erläutern. Da es sich um einen Wettbewerb handelt, sollte der Salon den höchst möglichen Standards entsprechen, statt einfach nur einen bestimmten Prozentsatz der eingereichten Arbeiten aufzunehmen. Die anwesenden Jurymitglieder machten darauf aufmerksam, dass der Idee, der Salon solle eine Art Sortimentsangebot und eine Form der blinden Ermutigung der Jugend sein, etwas Herablassendes innewohnt. Wael Shawky erinnerte das Publikum ständig daran, dass die Ausstellung der Entstehung einer zeitgenössischen künstlerischen Bewegung in Ägypten dienlich sein soll.
Doch die weitaus heißesten Diskussionen gab es über spezifische Fragen der Ästhetik, was die ungemein politische Natur ästhetischer Kriterien im ägyptischen Kontext illustriert. Vom Podium wurde insbesondere der Aspekt des Mediums und die falsche Auffassung angesprochen, das Medium selbst mache schon den "zeitgenössischen" Charakter eines Kunstwerks aus. Aus diesem Grunde hoben die Jurymitglieder hervor, dass nur drei Videos und ein paar Installationen ausgewählt worden sind, während figurative Kunst ziemlich prominent vertreten ist (was durch die gewagten und aufrüttelnden Gemälde von Marwa El-Shazly und Ahmed Fuad Saleh, die das Podium umrahmten, unterstrichen wurde). Die Frage des Mediums erreichte eine geradezu hysterische Steigerung, als jemand aus dem Publikum explizit nach der Platzierung von Skulptur fragte - seriell und im Doppel aufgestellt im Untergeschoss sowie in einer Galerie der oberen Etage und in dialektischer Spannung zu einer Fotoserie. Die an Godard erinnernden Fotos von Mohamed Ahmed Mansour zeigen den Künstler an einer Reihe von Orten, z.B. einer Tankstelle oder einem Supermarkt, mit solchen Sprüchen in einer Sprechblase wie "es ist meine liebste Tankstelle", wodurch die Rolle des Künstlers ziemlich selbstbewußt in den Vordergrund des Werkes gerückt wurde. Allein schon die Erwähnung der Entmonumentalisierung von Skulptur (im direkten Gegensatz zur Monumentalisierung des Autos in Mahmoud Hamdis Installation am äußeren Eingang zur Ausstellung) brachte Mohsen Sha’alan spontan zu dem Einwurf, Ägypten sei doch wohl immerhin das Land der Skulptur.
Auf einem mehr theoretischen Niveau sprachen die Jurymitglieder die Unangemessenheit brachialer Symbolisierung oder der Übermittlung einer Botschaft als dem einzigen künstlerischen Mittel der Kommunikation an. Desweiteren ging es um das Konzept der Moderne oder vielmehr - wie Bassam El Baroni ausführte - um die problematische Art und Weise, wie eine bestimmte Idee oder ein Bild der Moderne verfolgt wurde. Hartnäckige Leute aus dem Publikum, die eine lineare Auflistung der erforderlichen Qualitätsmerkmale "guter Kunst" haben wollten, waren enttäuscht, als sie stattdessen etwas über die nahezu unbeschreiblichen Erwartungen hörten, dass Kunst etwas bewegen solle (yilmas shi’), und zwar in einer persönlichen formalen Sprache. Die Schwierigkeit, den Begriff einer derivativen Kunst zu erläutern, ist jedoch nicht so sehr eine Frage der Theorie als vielmehr eine der Macht gewesen. Das bedeutet, nur sehr wenige ältere Künstler sprachen das Podium auf die theoretischen Grundlagen seiner Entscheidungen an, sondern es wurde vielmehr klar, dass die Juryentscheidung ihren Machtwunsch über den Haufen geworfen hatte, das eigene Bild durch die Reproduktion der künstlerischen Stile und Darstellungsweisen von ihnen als Mentoren unendlich reproduziert zu sehen. Tatsächlich stürmten vier wütende Vertreter des Kunstestablishments bei der bloßen Erwähnung des Wortes "derivativ" aus dem Saal.
Der unglücklichste Aspekt der erhitzten Debatte ist wahrscheinlich gewesen, dass sie von der Stärke und Neuartigkeit der Ausstellung ablenkte. Die reduzierte Zahl der Exponate machte es schließlich erst möglich, solche Arbeiten wie Lamia Moghazys großformatige Malerei eines Fernsehbildschirms sowie Ahmed Badry Alys riesige silberfarbene Blöcke (Suni’a al-sin) im Eingangsbereich zu platzieren. Das gigantische Ausmaß der letztgenannten Installation ist gedacht, dass man sie am besten aus den oberen Bereichen des Ausstellungsortes sehen und lesen kann - ironischerweise von der Skulpturengalerie aus (ent-monumentalisiert durch ihre Platzierung im Untergeschoss). Doch es war die viszerale und zurückhallende Klangfülle von zwei der stärksten Stücke der Ausstellung, die das Publikum daran erinnerten, dass es in diesem Salon letztendlich um Kunstwerke geht. In Sounds cells: an Electro-Magnetic orchestra wiederbelebte Magdi Mostafa die starke Energie der Technologie des Raumklangs der 1950er und 1960er Jahre in einer dunklen Zellenstruktur, und mit dem Werk 80 Millionen, der Einwohnerzahl Ägyptens, produzierten Eslam Zen Elabden und Mohamed Hossam eine brilliante Videoinstallation, in der die frenetischen und ansteckenden Töne der tabla (ägyptische Trommel - Anm.d.Ü.) den Galerieraum füllten, bis die Betrachter schließlich bemerkten, dass das trommelnde Duo (in perfekter musikalischer Synchronität) ohne Trommeln spielte.
Die Kunstszene wird gespannt auf die Reaktion des Establishments warten - was wird das Kulturministerium tun? Wie wird diese Ausstellung künftige Salons beeinflussen? Wird das Trio erneut gebeten werden, auf dem Podium der Jury zu sitzen? Tatsächlich wurde während der Podiumsdiskussion angekündigt, dass der Sektor Schöne Künste des Kulturministeriums versprochen hat, eine theoretische Studie der zum Salon eingereichten Werke zu veröffentlichen, verfasst von den Jurymitgliedern Hassan Khan und Bassam El Baroni. Egal ob das wirklich passiert, in jedem Falle bedeutet der 20. Salon eine Öffnung, einen Bruch in dem Gebäude der Macht und eine Hoffnung auf eine künftige Verständigung.
Omnia ElShakry
Historikerin an der University of California, Davis. Schreibt gegenwärtig über Ästhetik und Politik im zeitgenössischen Ägypten.
20. Salon El Shabab
(Jugend-Salon)
29. März - 29. April 2009
Qasr el Funun
Palast der Künste
Kairo, Ägypten
Präsident der Jury: Ahmed Shiha
Jurymitglieder:
Sahar El Amir
Hassan Khan
Wael Shawky
Moataz El Safty
Mohamed Radwan
Bassam El Baroni
Hend Adnan
Kommissar: George Fikry