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Geduld ist schön: vielschichtige Zeichnungen mit Stickereien und Mashrabiya mit Textfragmenten.
Von Juliet Cestar | Dez 2008Von Ende November 2008 bis Mitte Januar 2009 ist die erste Einzelausstellung der ägyptisch-deutschen Künstlerin Susan Hefuna in London zu sehen. Sie findet in der renommierten Albion Gallery statt, nachdem Hefuna in diesem Jahr schon in der New Yorker Niederlassung von Albion ausgestellt hatte.
Hefuna ist von der abstrakten Form von Strukturen angezogen, sowohl von organischen, wie etwa Molekülen, DNA oder Modulen, als auch von architektonischen Strukturen, wie Stadtansichten und Mashrabiyas (die geschnitzten hölzernen Schirme, die man in vielen historischen Häusern in Kairo und im Nahen Osten findet).
Als ihre frühen Zeichnungen Anfang der 1990er Jahre in Deutschland und in Kairo gezeigt wurden, war Hefuna zunächst überrascht und später beeinflusst von den sehr verschiedenen Reaktionen, die sie hervorriefen. In Deutschland sind die Zeichnungen in erster Linie als abstrakte Kunst interpretiert worden. In Ägypten hingegen erkannte das Publikum sofort die vertraute Form der Mashrabiya. Hefuna wurde bewusst, dass die Lesart ihres Werkes nicht allein von diesem selbst, sondern auch vom Kontext abhängt, in dem es ausgestellt wird - dass "es nicht eine Wahrheit gibt, sondern Schichten von Interpretationen und Wahrnehmungen".
In den darauffolgenden Zeichnungen, Installationen und Fotografien setzte sie weiterhin die Metapher der Mashrabiya ein, um mit der Idee zu spielen, was verborgen und was sichtbar ist. Traditionellerweise schützten Mashrabiya die innere Welt von der Außenwelt, indem sie das Licht filtern und es einem ermöglichen, zu beobachten, ohne gesehen zu werden. Die Mashrabiya schaffen eine Separation - innen von außen, Frauen von Männern, Familienmitglieder von Außenstehenden, haram von hallal (das Verbotene vom Erlaubten). Die Mashrabiya erlaubten ursprünglich nur eine Blickrichtung - von innen nach außen -, doch Hefuna hat Wörter in ihre Mashrabiya-Skulpturen einbezogen, die vom Betrachter nunmehr von beiden Seiten gelesen werden können. "Die Mashrabiya sind für mich zu einem Symbol geworden, das in zwei Richtungen mit der Möglichkeit eines Dialogs agiert, statt sich verschließen."
Die Skulpturen enthalten Wörter in Arabisch, Englisch und Deutsch - Patience is Beautiful (Geduld ist schön), Smile (Lächeln), Enta Omri (Du bist mein Leben). Die Interpretation hängt nicht nur davon ab, ob man die Sprache versteht, in der die Wörter geschrieben sind, sondern auch davon, auf welcher Seite des Schirms man steht. Von der Rückseite aus betrachtet ist der Text allerdings umgedreht und schwer zu entziffern.
Indem sie Text in einer anderen Sprache in die traditionell arabischen Mashrabiya einbezieht, schafft Hefuna nicht nur die Möglichkeit eines Dialogs, sondern fügt ein unbequemes Element in eine für den Schutz gedachte häusliche Vorrichtung ein. Selbst in der Behaglichkeit des Zuhauses kann man sich noch als Fremder fühlen. Der Bruch ist jeder Identität inhärent. Aber indem sie arabische Gemeinplätze wie "Geduld ist schön" wörtlich überträgt, zeigt Hefuna persönliche Erfahrungen des Verlusts von Bedeutung beim Übersetzen auf. So wie bei der Metapher der Mashrabiya gibt es immer etwas dazwischen. Mit Hefunas Worten: "Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, die Welt ohne einen Schirm sozialer und kultureller Projektionen zu sehen."
Aus der Distanz ist der Text in Hefunas Mashrabiya-Skulpturen leicht zu entschlüsseln. Aus der Nähe ist er hingegen schwer zu lesen. Das Zuhause ist immer weit weg und durch das Versprechen der Rückkehr idealisiert. Doch tatsächlich stimmen die Details nie so richtig mit den Erwartungen überein. Obwohl sie viele Jahre sowohl in Ägypten als auch in Deutschland verbracht hat, äußerte Hefuna: "Ein Gefühl des ständigen Beobachtens, wo immer ich auch lebe oder hingehöre, durchdringt mein Schaffen".
Hefunas vielschichtige Zeichnungen, die auch in ihrer Ausstellung in der Albion Gallery gezeigt werden, sind mit der Hand durch mehrere Schichten Pauspapier durchgedrückt, wodurch eine fast dreidimensionale Wirkung entsteht. Seit kurzem fügt sie in ihre Zeichnungen auch gestickte Texte ein, indem sie die Schichten des Pauspapiers zusammennäht. In einer Zeichnung ist das Wort ATTENTION (Achtung) auf die Oberfläche gestickt. An manchen Stellen, an denen der Faden nicht richtig durchgezogen wurde, erscheinen auf dem Papier nur Einstiche. Der Text ist nicht immer leicht zu entziffern. Er könnte z.B. als AT TENSION (unter Spannung) gelesen werden. Die Schichtung und Doppeldeutigkeit der Zeichnungen eröffnet viele Interpretationsmöglichkeiten, je nach der Wahrnehmung - von modernistischen Gittern über Mashrabiyas bis zu Stadtlandschaften und sogar bis hin zu sozialen und politischen Kommentaren. Der schwerlich lesbare Text und die Einstichstellen spielen auf Brüche in Identitäten und verborgene Bedeutungen an.
Susan Hefuna ist auf vielfältige Weise der Inbegriff einer wahrhaft "globalisierten" Künstlerin, die in einer "globalisierten" Welt lebt. Als Stadtbewohnerin in Deutschland und Ägypten lebend, verbringt sie einen Großteil ihres Lebens auf der Durchreise und arbeitet mehr "on the road" als im herkömmlichen Künstleratelier. Über die Künstlerin und ihr Schaffen ist schon ausgiebig im Zusammenhang mit Multikulturalismus und kulturübergreifender Kommunikation geschrieben worden, aber erfrischenderweise, und nicht um auf einen Zug aufzuspringen, hat sich Hefuna entschieden, sich mit ihrem eigenen Erbe mehr oder weniger als einem Bild auseinanderzusetzen, das es zu untersuchen, aufzubrauchen und zu kommentieren gilt. Entgegen einer universellen oder immanenten Anziehungskraft haben die Reaktionen auf ihr Werk immer wieder gezeigt, dass, anders als Hefuna selbst, die Interpretationen hartnäckig lokal und letztendlich persönlich bleiben.
Juliet Cestar
Kuratorin, Autorin und Fotografin, spezialisiert auf aktuelle Kunst aus dem Nahen Osten. Arbeitete im Asia House in London; jetzt bei Rose Issas Beyond Arts Productions.
Mashrabiya-Schirme, Zeichnungen, Fotografien und Installationen
25. Nov. 2008 - 12. Jan. 2009