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Anmerkungen zum Verschleiern. 10 Künstler in Tanas Berlin. Idee: Nilüfer Göle; Kurator: Emre Baykal.
Von Sabine Vogel | Aug 2008Mit Kopftuch verbinden wir im Westen unweigerlich das Wort "Streit" [1], die Burka ist uns Synonym für islamischen Fundamentalismus und Frauenunterdrückung. Dass man das Thema auch viel sinnlich heiterer und undogmatischer angehen kann, zeigt eine Ausstellung, die in Istanbul produziert, dort im Oktober 2007 im Museum santralistanbul gezeigt wurde und nun im Berliner Kunstraum "Tanas" Station macht. "Mahrem - Anmerkungen zum Verschleiern" (footnotes on veiling), so ihr Titel, beruht auf einem Konzept der Sozialwissenschaftlerin Nilüfer Göle. Göles Untersuchung "nichtwestlicher Modernisierungsprojekte" hat der türkische Kurator Emre Baykal anhand künstlerischer Positionen auf visueller Basis fortgesetzt. Allein die Liste der beteiligten KünstlerInnen und ihrer migrierenden Nationalhintergründe gibt eine Vorstellung von ihrer Komplexität und Verschiedenheit.
Für ihre Auseinandersetzungen mit dem Verschleiern und Enthüllen, mit Intimität und Öffentlichkeit, der Politik der Sichtbarkeit und Verborgenheit ziehen die Künstler alle Register von verspielten (Selbst-) Inszenierungen bis zu subversiven Pixel-Minimalismen. In der märchenhaft schönen Rapunzel-Skulptur aus glänzenden schwarzen Haaren [2] von Mandana Moghaddam ist der weibliche Körper in seiner Verborgenheit aufgehoben, in seiner totalen Verhülltheit umso anwesender. Die Intimität des Unsichtbaren erreicht in Ebru Özseçen Luftkorsettagen das Gewicht des Fehlenden. Dagegen wird das Gesicht der Video-Performerin Nezaket Ekici mit jeder der 25 übereinander drapierten Kopfbedeckungen und der zunehmend panisch fixierten Tücher immer plastischer. Aus der Spannung von Innen und Außen (Inside-Outside), von Nähe und Ferne, verdichtet Parastou Forouhar ihre pittoresken Tapisserien der Grausamkeit. Unterkühlt (cool), fast in analytischer Kälte wird bei Samta Benyahia der ornamentale Orientkitsch magrebinischen Dekorums selbst zum Spitzenschleier der Architektur, und noch spröder wird der Widerspruch ästhetisiert in Shadi Ghadirian Ballettchoreografie, in der digitale Icons über den Computerbildschirm tanzen.
Opulenter analysiert der Filmemacher Kutlug Ataman vier gute Gründe, Perücken zu tragen zur Konstruktion und Maskierung von Identität (construct and disguise identity): Da sind der von der Polizei Gesuchte, der sich verstecken muss, die Journalistin, die ihre durch eine Chemotherapie ausgefallenen Haare verbergen will, die Studentin - als ausgelöschtes schwarzes Bild –, die nicht mit Kopftuch an die Uni darf und der Transvestit, dem die Verkleidung persönliche Freiheit verschafft.
Am lustigsten und denkwürdigsten zugleich ist jedoch das in bescheidenem Understatement präsentierte kleine Filmchen von Samer Barkaoui. Hier fotografieren sich drei völlig verschleierte Teenager abwechselnd zu zweit. Man sieht immer nur zwei kegelförmige Figürchen im Bildausschnitt des Fotoapparats und erkennt doch an ihrem giggelnden Lachen und ihrem zierlichen Herumflattern, dass man es mit jungen Mädchen zu tun hat. Wir sehen sie, obgleich sie verborgen sind. So viel Komik vermag zu provozieren: In Istanbul, wo die Ausstellung "Mahrem" zuvor gezeigt wurde, gründete eine stolz-religiöse Malerin daraufhin die Initiative zu einer "Kopftuch-Biennale".
Anmerkungen:
Sabine Vogel
Studierte Kunstgeschichte, arbeitete als Kuratorin und Koordinatorin bei Biennalen in Johannesburg und Istanbul (beides 1995) sowie im Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Seit 2000 Literaturredakteurin bei der Berliner Zeitung.
Kurator: Emre Baykal
Konzept: Nilüfer Göle
Künstler/-innen:
Kutlug Ataman
Samer Barkaoui
Samta Benyahia
Nezaket Ekici
Shahram Entekhabi
Bruna Esposito
Parastou Forouhar
Shadi Ghadirian
Mandana Moghaddam
Ebru Özseçen
Mahrem
Anmerkungen zum Verschleiern
15. Juni - 10. August 2008