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Israelisch-palästinensischer Konflikt & libanesischer Bürgerkrieg. 5 Künstler im Centre Pompidou, Paris.
Von Olivia Hampton | Mai 2008Zornig in die Luft gereckte Fäuste, hochgehobene blutüberströmte Körper, zerstörte Wohnhäuser und Läden. Bilder aus dem Herzen des Nahen Ostens, einer Region, die sich in unserem kollektiven Bewusstsein untrennbar mit Blutvergießen und Gewalt verbindet. Ausgehend von einem Ort, an dem jeder Stein eine Geschichte hat - und zwar eine immer wieder von anderen angefochtene - konfrontieren palästinensische, israelische und libanesische Künstler uns mit unseren Vorurteilen, fordern uns dazu auf, ein wenig weiter zu blicken.
Im Centre Georges Pompidou in Paris entfesseln fünf junge Künstlerinnen und Künstler stark subjektive Ansätze, um ihre gemeinsamen Verbindungen zum israelisch-palästinensischen Konflikt und zum libanesischen Bürgerkrieg anzusprechen. Da kein Ende der Jahrzehnte langen Gewalt in Sicht und der Frieden so schwer fassbar wie die Objektivität ist, bringen uns subjektive Methoden der Realität vor Ort näher.
In Drei Plakate (2003) rekonstruiert Rabih Mroué das Videozeugnis eines Märtyrers, indem er Filmmaterial aus dem libanesischen Bürgerkrieg der 1980er Jahre benutzt, das in den Büros der Kommunistischen Partei gefunden wurde. Mroué hinterfragt die Instrumentalisierung des Märtyrertodes als Ideal sukzessiver Ideologien - von der linksgerichteten bis zur islamistischen. Ahlam Shibli widmet der Geschichte ihres palästinensischen Heimatdorfes Al-Shibli eine Fotoserie, die eine Vergangenheit voller Ungewissheit offenbart, denn die meisten ursprünglichen Einwohner flohen nach dem Krieg von 1948.
In Tabiaah Samitah (Stillleben, 2007) erkundet der in Beirut lebende Akram Zaatari, wie sich ein ehemaliger libanesischer Widerstandskämpfer seine Identität as Soldat wieder aneignet, indem er langsam und still seine Uniform anlegt. Mohammad Abu Hammane, ein früheres Mitglied des libanesischen Widerstands, erscheint neben einem jüngeren Mann (Ghayth el Amine) in einem 11 Minuten langen Kurzfilm, der speziell für diese Ausstellung entstand. Obwohl Abu Hammane am Ende des Videos mit einer geschulterten Waffe weggeht, entscheidet sich sein jüngerer Kollege zu bleiben, wahrscheinlich um die militärische Operation, um die es ging, auszuführen. Zaatari nahm das Video im Dorf Hubbariyeh in Süd-Libanon auf, wo die Fedayeen [1] in den späten sechziger Jahren nahe dem Gebiet der umstrittenen Shebaa Farmen einen befestigten Stützpunkt unterhielten.
Um die Verquickung einer militarisierten Politik mit dem täglichen Leben geht es in Flachrelief II (2004) von Yael Bartana. In der Art eines skulpturalen Flachreliefs reflektiert Bartana in der vierteiligen Videoinstallation in bewegten und Standbildern über die Geschichte ihrer Heimat Israel. Bartana manipuliert Sequenzen von sich über die Bildschirme bewegenden Figuren digital in der Weise, dass sie einer militärischen Formation ähneln. Das Geheimnis bleibt, ob diese Frauen und Männer im Namen des Friedens oder des Krieges marschieren, woraus die unentrinnbare, einen nicht loslassende Dualität folgt: Kann es Frieden ohne Krieg geben? Kann es Krieg ohne Frieden geben? Die schiere Zahl der Soldaten und Polizisten in Jerusalems Straßen erinnert auf beklemmende Weise daran, dass für viele der Frieden nur zum Preis militärischer Aktionen zu haben ist. Dieser scheinbare Widerspruch durchzieht auch die der Kombination dokumentarischer Aufnahmen von Friedensmanifestationen palästinensischer und israelischer Demonstranten und das Ganze beobachtenden Militäreskorten und Luftschiffen, die den Protest von oben filmen, so dass keine Bewegung den Objektiven der Überwachungskameras entgeht. Durch solche Rituale - militärische, politische, religiöse, konsumierende - wird der menschliche Körper privater Kontrolle entzogen und zu einem öffentlichen und politisierten. Unter Bartanas Händen verlassen Ton und Bild ihre ursprüngliche Bestimmung und werden Elemente des künstlerischen Ausdrucks.
Bartana, zusammen mit den anderen in der Ausstellung präsentierten Künstlern, stimuliert unsere Sinne, um uns die Verzweigungen des Konflikts ein wenig näher zu bringen. Aber zwischen dem passiven Betrachter und dem aktiven Teilnehmer verbleiben unzählige Grade der Trennung.
In Rollenbesetzung (2007) hält Omer Fast das Publikum dazu an, sich mit dieser Distanz auseinanderzusetzen. Fast, der 1972 in Israel geboren wurde und in Berlin lebt, vermengt nahtlos die Handlungen zweier tragischer Ereignisse, die von einem Sergeant der US-Armee erzählt wurden: ein schief gelaufenes Date mit einer deutschen Freundin und die versehentliche Tötung eines irakischen Zivilisten. Rollenbesetzung überdehnt die Linie zwischen Wahrheit und Fiktion, die oftmals von der wiederholten Ausstrahlung von Fernsehbildern des Krieges verwischt wird. Jawohl, Krieg ist ein Spektakel, scheint Fast zu behaupten.
Auf einer Seite der paarweise in einem verdunkelten Raum hängenden Projektionsflächen erscheint Fast (der Interviewer) auf einer Projektion und der Irak-Veteran (der Interviewte) ist zeitgleich auf der anderen Projektion in einem auf einer Militärbasis in Texas aufgezeichneten Interview zu sehen. Die gegenüber liegende Projektion zeigt derweil Aufnahmen der Erschießung sowie des Soldaten und seines Rendezvous. Hier werden die beschriebenen Szenen von Schauspielern in plakativen, melodramatischen Posen in stummen Tableaus dargestellt. Manchmal zieht Fast den Vorhang des Stückes zurück, um die Schauspieler - noch immer unbewegt - ohne ihre Kostüme bei der Probe im Studio zu zeigen. Die Bilder wechseln zwischen beiden Seiten der Projektionen ohne erkennbare Pause der Tonspur.
Der Soldat erinnert sich an den Zwischenfall der Erschießung: "Zu der Zeit war ich wie Sch***! Wissen Sie, ich muss in den Knast. Ich habe gerade einen Mann erschossen, der nicht getötet werden musste. Mir war nicht klar, dass so etwas später ignoriert würde," und fuhr dann gleich fort, "Aber ich bin zum Heck des Wagens gerannt und ich erinnere mich, dass ich brüllte 'Und ruf mich nie wieder an!', und ich knallte die Tür zu. Und sie konnte nicht in das Tor hineingehen." Wir als Betrachter werden ohne kaum etwas mehr als eine Pause in der Stimme des Erzählers vom Irak nach Deutschland versetzt.
Demzufolge macht Rollenbesetzung die fragmentierte Qualität unserer Erinnerung und der vagen Erzählung vergangener Ereignisse sowie unsere sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne bewusst - die Szenen wechseln, bevor unsere Gedanken folgen können. Omer Fast dekonstruiert diese imaginierten Realitäten, bevor er sie wieder zu einer ganz unterschiedlichen "Wahrheit" zusammensetzt, die alles andere als authentisch ist.
Vielleicht passt es sehr gut, dass der Titel der Ausstellung auf einen Roman zurückgeht - Niespokojni (Die Unruhigen) von Leo Lipski -, der von den Vorahnungen der grauenhaften Ereignisse vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs handelt, die Künstler haben. Indem sie über die Ursprünge des Konflikts reflektieren, hoffen die Künstler in dieser Ausstellung, uns den Schlüssel für eine Vermeidung künftiger Schrecken und Zerstörung auszuhändigen.
Anmerkung:
Olivia Hampton
In Paris geborene Autorin und Kunstkritikerin; assoziierte Produzentin des NHK (Japan Broadcasting Corporation) Washington Bureau, USA.
Kuratorin: Joanna Myktowska
Les Inquiets
(Die Unruhigen)
Fünf Künstler unter dem Druck des Krieges
13. Feb. - 19. Mai 2008